Kölner Philharmonie Publikum unterbricht Konzert: Fremdenfeinde im feinen Zwirn?
Nach einer durch Proteste erzwungenen Konzert-Unterbrechung in Köln diskutieren Künstler, Veranstalter und Medien über Rassismus.
Köln/Bonn. Schon als der gefeierte iranische Cembalist Mahan Esfahani auf Englisch eine Einführung in das Werk gegeben habe, hätten Einzelne „Reden Sie doch gefälligst Deutsch!“ gerufen. Bei der eigentlichen Aufführung hätten Teile des Publikums dann durch Lachen, Klatschen, Pfeifen „und andere Geräusche des Missfallens“ den Abbruch der Darbietung erzwungen, berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über einen Eklat, der sich am Sonntagnachmittag in der Kölner Philharmonie ereignete und seitdem für teils hysterische Diskussionen sorgt.
In einem Saal für klassische Musik habe es „einen derartigen Chauvinismus zuletzt vor siebzig, achtzig Jahren“ gegeben, textete die „Neue Osnabrücker Zeitung“ dunkel. „Ein Teil des Publikums reagierte total unangemessen“, befand der „Express“, andere urteilten „peinliches Benehmen“ („Stern“) und „dreiste Reaktion des Publikums“ („Focus“). Die „Welt“ erkannte in den Protesten den „Ausdruck einer zunehmenden Verrohung der Sitten im scheinbar so geschützten Konzertsaal“, der WDR titelte: „Philharmonie-Publikum pöbelt gegen iranischen Musiker“ und forderte die Besucher seiner Internetseite zur Diskussion auf: „Was darf sich ein Konzertbesucher rausnehmen?“
Gemessen an den heftigen Beschimpfungen des Publikums ist vergleichsweise wenig geschehen: Im Rahmen des Konzert-Abos „Sonntags um vier“ verstand ein Teil des Publikums (rund 1800 Besucher) zunächst die englische Einführung Esfahanis zum Stück „Piano Phase“ (1967) des US-Komponisten Steve Reich nicht — und lehnte das sehr minimalistische 16-Minuten-Stück anschließend lautstark ab.
„Dass eine kleine Minderheit mit ihrem ungehörigen Verhalten das Konzert dermaßen stören konnte, erschreckt und verärgert uns gleichermaßen“, so der Veranstalter, „diese Respektlosigkeit richtete sich nicht nur gegen die Komposition, sondern auch und vor allem gegen unseren Gast Mahan Esfahani.“
Das wäre erstaunlich, denn das gleiche Publikum hörte Mahan Esfahani davor bei zwei Stücken von Johann Sebastian Bach sowie zwei modernen Stücken von Fred Frith und Henry Mikolaj Górecki weitgehend störungsfrei zu. Bei Reichs „Piano Phase“ sei die Stimmung dann gekippt, so Manuel Brug, Feuilletonredakteur der „Welt“, der den Eklat weniger als fremdenfeindlich denn als symptomatisch für ein sich änderndes Verhalten „an diesem eigentlich heiligen Ort“ betrachtet: „Immer mehr Besucher nehmen keinerlei Rücksicht mehr auf die Künstler und die anderen im Saal. Da fallen Wasserflaschen um, Telefone klingeln und piepen, Mails werden geprüft, man spricht ungeniert mit dem Partner — so wie zu Hause bei Kommentaren vor dem Fernseher.“
Die Online-Redaktion der „Zeit“ erschütterte sich gestern, es sei „nicht die nächste ,Sturmabteilung’ sozial schwacher Ungebildeter“ gewesen, „die am Sonntag in der Philharmonie wie in einem späten Weimar gegen die Avantgarde anbrüllte“, sondern „wütende alte Männer, Abonnenten, sogenannte Bildungsbürger. Akademiker, die vor der Veränderung der Welt — und sie verändert sich jetzt! — so viel Angst haben, dass sie die eigene (Kultur-)Geschichte vergessen.“
Der Verdacht, bei den Störern (überwiegend im Senioren-Alter) handele es sich um Fremdenfeinde im feinen Zwirn, passt zu einem Argwohn in Teilen des Kulturbetriebs gegen das eigene Publikum. In einer aktuellen „Nathan“-Inszenierung des Regisseurs Volker Lösch an den Kammerspielen wird auch einer tatsächliche Umfrage im Bonner Publikum zitiert. „Die sind nicht so weit von dem, was aus Pegida-Kreisen kommt, es sind Ängste vor Überflutung, Überfremdung, von dem Verlust der eigenen kulturellen Identität“, wird Lösch in einem Kultur-Magazin zitiert. In der Inszenierung des Lessing-Klassikers beklagt denn auch ein Sprech-Chor aus muslimischen Schülern den bürgerlichen Rassismus der Mitte.
Misstrauen bis Verachtung des Publikums gehörte immer schon zur intellektuellen Folklore. „Das Publikum ist im ganzen nicht fähig, irgendein Talent zu beurteilen“, maulte bereits Goethe. Lange erzog sich der Kulturbetrieb ein Publikum, von dem er gewohnt war, es im Stile von Peter Handkes Publikumsbeschimpfung (1967; „Ihr Pöbel, ihr Schweinefraß, ihr Protze, ihr Niemande, ihr Dings da“) zu diffamieren und sich zugleich fürstlich von ihm subventionieren zu lassen. Dass die Regel, wonach das zahlende Publikum zwar klatschen oder buhen, aber das Bühnengeschehen nicht unterbrechen darf, keinesfalls immer galt und noch vor 100 Jahren Uraufführungen und Premieren moderner Musik- und Ballett-Stücke gern in Tumulten untergingen, hat der Kulturbetrieb dagegen inzwischen vergessen.
Dabei sind deutliche Publikums-Reaktionen gerade in der Kölner Philharmonie so ganz ungewöhnlich nicht, auch wenn es heute nicht mehr zu Szenen wie bei der Ballett-Pantomime „Der wunderbare Mandarin“ von Béla Bartók 1926 in der Kölner Oper kommt: Pfiffe, Buh-Rufe, knallende Türen und ein Aufführungsverbot durch den damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer aufgrund unmoralischen Inhalts. Dagegen kommt Esfahani zurück: Am 1. März 2017 soll er das unterbrochene Reich-Stück in der Kölner Philharmonie noch einmal aufführen. Er hat die Einladung bereits angenommen.