Museum Ludwig Über den Wert der Zeit
Köln · Alle zwei Jahre zeigt das Museum Ludwig Gegenwartskunst aus seiner Sammlung in einer neuen Präsentation. Ab dem 10. August wird der Blick auf verschiedene Verständnisse von Zeit gelenkt und darauf, in welcher Form Künstlerinnen und Künstler das Thema in ihren Arbeiten aufgreifen.
Viele von ihnen machen mit ihren Arbeiten darauf aufmerksam, dass Kunst in der Gegenwart erfahren wird. Zugleich werden Erinnerung, Gedächtnis und Geschichtsschreibung befragt. Die Klammer der Präsentation bildet die Vorstellung vom „Wert der Zeit“ – einem gesellschaftlich bestimmten Wert, dem die abstrakte, messbare Zeit zugrunde liegt.
Ausgangspunkt ist Walter Benjamins eindringliches Bild des „Engels der Geschichte“, mit dem er 1940 das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellte. Benjamin entwarf damit das Denkbild für eine kritische Geschichtsschreibung, die von den ökonomischen Bedingungen ausgeht. Es findet sich in verschiedenen Facetten in den ausgestellten Werken wieder. In ihnen kommt Zeitlichkeit zum Tragen, Vergangenes wird im Verhältnis zum Gegenwärtigen reflektiert oder Zukünftiges antizipiert.
Im Internet erscheint die Vergangenheit gegenwärtig
Gegen den Glauben an eine kontinuierlich fortschreitende Entwicklung setzt zum Beispiel Guan Xiao in ihrer Installation „The Documentary: Geocentric Puncture“ von 2014 die Zeitwahrnehmung des Internets, in der Vergangenheit gegenwärtig erscheint. In diesem Sinne ist auch der Titel „Geozentrische Wunde“ zu verstehen. Ein veraltetes Weltbild, nach dem die Sonne um die Erde kreist, lebt im 21. Jahrhundert in der Vorstellung fort, dass der Mensch das Zentrum der Welt bilde.
Haegue Yang aus Südkorea wiederum nimmt in „Mountains of Encounter“ von 2008 ein verborgen gebliebenes historisches Ereignis zum Anlass für eine raumgreifende und die Besucherinnen und Besucher einbeziehende Installation: Das Zusammentreffen des koreanischen Unabhängigkeitskämpfers Kim San mit der US-amerikanischen Journalistin Nym Wales (alias Helen Foster Snow), das Teil weltumspannender Prozesse war.
Die abstrakte, messbare Zeit wird in weiteren Werken thematisiert. Sie bestimmt den Warenwert der Arbeitskraft und organisiert gesellschaftliche Zeit. Eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern beschäftigt sich mit dieser Frage. Zu ihnen gehört Harun Farocki, der in seiner Videoinstallation Gegen-Musik von 2004 nach dem Vorbild der Filmemacher Dziga Vertov und Walter Ruttmann ein Porträt der belgischen Textilstadt Lille zeigt - nun aber als Montage von vorgefundenen, operativen Bildern, die laut Farocki die Stadt „ebenso rationalisiert und geregelt wie ein Produktionsprozess“ zeigen. Der Wert der Zeit verweist auf die Ökonomien der Zeit.
Die Präsentation „Über den Wert der Zeit“ stellt Kunst der Gegenwart aus den vergangenen 20 Jahren vor. Exemplarisch sind vier weitere Arbeiten aus den 1960er und 1980er Jahren einbezogen. Die mediale Vielfältigkeit ist außerdem in den Mittelpunkt gestellt. Kurze Texte führen in die einzelnen Werke ein. Darüber hinaus ist die Präsentation um Zitate von den ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern sowie von Walter Benjamin und seinem Zeitgenossen, dem Philosophen und Ökonomen Alfred Sohn-Rethel, ergänzt.