Mike Kremer: Ich erlebe die Situation mit gemischten Gefühlen. So richtig bewusst geworden ist mir das Ganze am Samstag, als ich in Jogginghosen zu Hause vor dem Schreibtisch gesessen bin. Normalerweise hätten wir an Karneval um diese Zeit schon die vierte Bühne hinter uns gehabt. Anderseits genießen wir die Pause durch den Lockdown, auch wenn das Fehlen der Auftritte dem Künstlerherz schon weh tut. Wir nutzen die freie Zeit, um neue Songs zu schreiben, da wir planen, in diesem Jahr noch ein neues Album herauszubringen. Dazu kommt, dass wir in der glücklichen Lage sind, durch die abgesagten Auftritt nicht in finanzielle Probleme zu kommen. Wir haben immer gut gewirtschaftet und konnten uns so auch Rücklagen sichern. Die Frage ist natürlich, wie lange die Zwangspause noch dauert.
Kultur „Wichtig ist jetzt, dass sich alle an die Regeln halten“
Wie erleben Sie die Situation im Lockdown?
Was hat sich im Vergleich zum Frühjahr geändert?
Kremer: Die Panik in der Bevölkerung ist etwas zurückgegangen. Man hat sich an das Thema Corona gewöhnt und weiß, wie man damit umgeht. Für uns Musiker ist die Situation gleich schwierig, da alle 160 Auftritte jetzt in der Session weggefallen sind. Das trifft eine Band im Winter noch härter als im Frühjahr.
Es gibt digitale Plattformen, die das karnevalistische Geschehen jetzt ins Internet holen.
Kremer: Das ist eine positive Entwicklung, wir haben uns auch schon daran beteiligt. Es ist eine coole Idee, sich online seine eigene Sitzung zusammenzustellen. Allerdings würden wir als Band nicht unbedingt auf eigene Streamingkonzerte setzen. Das braucht viel technische Erfahrung und eine entsprechende Ausrüstung, die ziemlich teuer ist. Außerdem fühlt sich so ein Streamingkonzert ohne Publikum komisch an. Wir brauchen die Hitze des Saals und die Leute, die unsere Songs mitsingen. Was wir machen werden, sind Autokino-Konzerte, für die wir im Februar angefragt worden sind. Die Erfahrung im Sommer war durchaus positiv. Da hat man zwar einen Haufen Blech vor sich, aber trotzdem weiß man, dass Menschen in den Autos sitzen, die man auch sehen kann. So hat man zumindest etwas Kontakt und bekommt Resonanz. Wie das jetzt im Winter wird, wissen wir noch nicht. Bei den niedrigen Temperaturen werden die Leute wohl die Motoren laufen lassen. Wie sich so ein lautes Brummen auf das Konzert auswirkt, bleibt offen.
Wie finden Sie es, dass in Köln der Karneval trotz der Pandemie stattfindet?
Kremer: Wenn digitale Lösungen es sicherstellen, dass sich kein Mensch in Gefahr begibt, finde ich das in Ordnung. Karneval ist ein essenzieller Teil unserer Kultur und der Kölner Identität. Es gibt schöne Ideen wie den Rosenmontagszug im Puppenspiel. Da kann man Karneval erleben, ohne dabei auf Menschenmassen zu treffen.
Werden Sie selbst auch Karneval feiern?
Kremer: Das Feiern mit Freunden kommt für mich wegen der Infektionslage auf keinen Fall infrage. Das wäre ein klarer Verstoß gegen die Regeln. Aber meine beiden Kinder, die aktuell tageweise in der Notbetreuung im Kindergarten sind, werden dort in ihren sehr kleinen Gruppen sich verkleiden und etwas feiern. Wir werden wohl auch zu Hause gemeinsam singen und so Spaß haben. Gerade Kinder dürfen jetzt nicht die Leidtragenden sein.
Wie erleben Sie jetzt in der Session Ihren Berufsalltag?
Kremer: Normalerweise sind wir jetzt, außer am Montag, jeden Tag auf den Bühnen unterwegs. Das nicht tun zu können, ist schon ungewohnt. Aber langweilig wird es mir trotzdem nicht. Ich habe mit Markus Wallpott, dem Präsidenten der Bürgergarde Blau-Gold, eine Softwarefirma, in der wir Buchungssoftware entwickeln. Daran arbeite ich im Moment viel. Außerdem habe ich zu Hause mein Kellerstudio, in dem ich schon mal die halbe Nacht sitze und neue Songs schreibe.
Wie schätzen Sie als Band die Perspektive für dieses Jahr ein?
Kremer: Das ist ganz schwer einzuschätzen, da alles davon abhängt, wie gut wir die Pandemie jetzt in den Griff bekommen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir im Sommer wieder bei Konzerten unterwegs sind. Es wird aber sicher noch Einschränkungen geben, um das Publikum vor Infektionen zu schützen. Dazu zählen der Mindestabstand und Soforttests beim Einlass. Auch die Autokino-Formate werden gefragt sein. Wichtig ist jetzt, dass alle sich an die Regeln halten. Nur dann ist bald wieder Normalität denkbar.
Wie wird sich die Kölner Kulturszene verändern?
Kremer: Ich mache mir durchaus Sorgen um die Musikkultur und das nicht nur in Köln, sondern bundesweit. Ich habe das ungute Gefühl, dass viele Menschen das Interesse an Kultur verlieren, auch weil man diese kaum noch live erleben kann. Dass die Räuber jetzt ihren Bassisten verloren haben, zeigt, dass es wohl Veränderungen geben wird. So mancher Kollege, wird in den nächsten Wochen und Monaten erkennen, müssen, dass er alleine von der Musik nicht mehr leben kann und dass er sich deshalb beruflich neu orientieren muss. Wir können aber auch etwas für unsere Musikkultur tun, wenn wir zusammenhalten und neue Kooperationsformen finden.
Welchen Tipp haben Sie jetzt für die Zwangspause zu Hause?
Kremer: Uns als Familie fällt bei schlechtem Wetter auch mal die Decke auf den Kopf. Deshalb versuchen wir so oft wie möglich, rauszugehen und bei einem Spaziergang die Natur zu genießen. Wir haben es da leicht, da bei uns der Wildpark Dünnwald direkt um die Ecke ist.