Orchesterverein Hilgen: Bachseits des Mainstreams

Begegnung mit einem grandiosen Werk.

Hildesheim. Es ist Freitagabend gegen 21 Uhr. Der Arbeitstag ist beendet, die zweieinhalbstündige Autofahrt nach Laatzen nahe Hildesheim auch. Und es bleibt noch Zeit, in die OVH-Probe im Raum „George“ des Copthorne Hotels zu huschen. Johannes Stert lässt gerade kurze Passagen seiner Komposition üben, scherzt über die Lesebrille, die ihm das Orchester zu seinem 49. Geburtstag geschenkt hat.

Dann folgt zum Abschluss das Finale von „Bachseits“ — und die erhabene Wucht des Werks presst den überwältigten Zaungast mit ihrer ganzen Emotionalität in den barock verschnörkelten Polsterstuhl. Ein Moment der Atemlosigkeit.

Im April und Mai 2011 hat Stert das Stück während seines Engagements in Kopenhagen geschrieben. Als Inspiration diente die Ciaccona in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Eine erste Brücke zum assoziativen Titel. Aber er legt noch weitere Spuren aus — zum Abseitigen beispielsweise, dem Verlangen nach einem musikalischen Ausdruck jenseits des Mainstreams der Blasmusik.

Seine Welturaufführung erlebte „Bachseits“ beim Landeswettbewerb im vergangenen Jahr in Paderborn, seinen Durchbruch aber zweifelsohne jetzt in Hildesheim. Die Fantasie in vier Sätzen — verboten ist es jedenfalls nicht, in ihr nicht nur Bach, sondern auch murmelnde Bäche, Strudel, Untiefen, breite Ströme und gewaltige Wasserfälle zu erkennen.

Vom weichen Zauber in der Elegie über das flirrende Perlen im Intermezzo bis — ja bis zu einer Emotionalität, die das Orchester wie die Zuhörer in einer Art auswringt und durchwalkt, die an den Rand der Fassungslosigkeit führt. Wen dieses Stück nicht bewegt, den bewegt überhaupt nichts mehr.

Und das Orchester bewegt sich mit ihm über seine Grenzen hinaus. Vermutlich gelingt das nur, weil es seinem Dirigenten so vertraut und der wiederum seinen Musikern so viel zutraut. Weil er, wie er selbst sagt, „alle Farben des Blasorchesters herausholen möchte“. Und am Ende stehen alle, Publikum wie Musiker, ergriffen in einer Klangkathedrale und staunen darüber, was möglich ist.

Möglich ist, trotz eines solch grandiosen Werkes einen Wettbewerb nicht zu gewinnen. Unmöglich ist, mit solchen Aufführungen im Gepäck nicht erhobenen Hauptes nach Burscheid zurückzukehren.