Vor 80 Jahren Bomber-Absturz über Haan als Mahnung
Haan · Seit 1952 findet jedes Jahr zwei Sonntage vor dem ersten Advent in Deutschland der Volkstrauertag statt. Dabei wird unter anderem der Millionen Opfer beider Weltkriege gedacht. In Haan gab es vor fast genau 80 Jahren ein besonders tragisches Ereignis.
Es war am Abend des Allerheiligentags 1944. Auf dem Rückflug vom Ruhrgebiet, wo über Oberhausen 4,3 Tonnen Bomben abgeworfen worden waren, geriet der Halifax-Bomber mit der Kennung NP 709 unter Flakbeschuss. Der Pilot der am späten Nachmittag in Linton-on-Ouse gestarteten und nun schwer getroffenen Maschine der Royal Air Force zog einige Kreise, wohl um der Besatzung Zeit zu verschaffen, sich mit dem Fallschirm zu retten.
Über dem Ittertal brach ein zwei Meter langes Flügelstück ab, auf dem Karl-August-Jung-Platz schlug ein Triebwerk auf. Ein weiterer Motor ging südlich der Bahnlinie verloren und wurde in den 1970er-Jahren bei Ausschachtungsarbeiten für ein neues Bett des Thienhausener Baches gefunden. Andere Kleinteile des Flugzeugs fanden sich nach dem Krieg auf Feldern in der Umgebung.
Gegen 21 Uhr stürzte die Maschine auf die Steinstraße. Die rund 4000 Liter Kerosin für den Rückflug und die Munition für die neun Bordgeschütze sorgten für eine gewaltige Explosion.
Der Haaner Manfred Kohl hat sich viele Jahre mit den Kriegsereignissen beschäftigt und bedrückende Fakten zusammengetragen: Im Moment des Aufpralls müssen sich noch drei Soldaten an Bord befunden haben. Der Pilot saß bis zur Unkenntlichkeit verbrannt angeschnallt in seinem Sitz. Einen Toten fanden Anwohner auf dem Bürgersteig. Ein dritter soll brennend noch ein paar Schritte gelaufen sein, bevor er starb. Eine vierte Leiche wurde in einem nahen Wäldchen mit verbrannten Resten eines Fallschirms gefunden. Ein fünfter Soldat lag zerschmettert auf der alten Müllkippe an der Eisenbahnstraße.
Manfred Kohl hat weltweit in Militärarchiven recherchiert, aber auch zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen geführt. Werner Beeker etwa, der den Absturz in Unterhaan erlebte, berichtete Kohl von zwei aus Richtung Tenger kommenden jungen Leuten mit Lederjacken, Rollkragenpullovern und Stiefeln, die er und sein Vater kurz nach dem Absturz der Halifax gesehen hätten. Von der Steinkulle aus beobachteten die Haaner, wie SS-Leute, die damals in der Schlagbaumer Schule stationiert waren, die beiden Soldaten festnahmen. Werner Beeker konnte sich noch erinnern, dass einer der SS-Leute sagte: „Die legen wir um!“ Der andere habe widersprochen. Einem der beiden jungen Männer scheint die Flucht gelungen zu sein. Im Gartengelände „Schacht“, etwa 1500 Meter entlang der Bahnstrecke in Richtung Ohligs gelegen, sollen ihn nach Aussage eines Zeitzeugen aus Solingen seine Häscher „gestellt“ haben.
Zwei Tage nach dem Absturz des Flugzeugs aus dem 426. Geschwader der Royal Air Force wurden auf dem evangelischen Friedhof an der Alleestraße vom damaligen Pastor Hess vier „identifizierte“ und zwei „unbekannte“ Insassen der Maschine bestattet.
Im Zuge der Recherchen aber erfuhr Manfred Kohl, dass die Besatzung eines Halifax-Bombers aus sieben Männern bestanden hatte. Wo war also der siebte Soldat? War ihm die Flucht gelungen? Sein Schicksal blieb ungeklärt. Fragen stellte niemand - auch nicht die Royal Air Force, die im Mai 1947 die sechs Särge exhumieren und dann auf dem Soldatenfriedhof in Rheine bestatten ließ.
Auch wenn die Ereignisse Jahrzehnte zurückliegen, wurde es doch sehr persönlich: Der britische Schauspieler William Oxborrow besuchte 2011 die Gartenstadt und traf Manfred Kohl. Oxborrows Onkel, Thomas E., war der Funker in der abgestürzten Maschine. Er war damals 22 Jahre alt. Im Nachlass der Mutter hatte Oxborrow einen Brief von Thomas E. an seine damalige Freundin gefunden: „Liebe Joan, du weißt bereits, dass ich in einem Geschwader bin. Habe zwar noch nicht viel geflogen, aber wir haben heute drei Stunden in der Maschine Abläufe geübt. Ich denke, noch einige Flugstunden, dann werden wir endlich Operationen starten.“ Diese Zeilen stammen vom 22. Oktober 1944. Zehn Tage später war Thomas E. tot.