Regen, Hagel, Sturm — jeden Tag ist Freibadwetter

Im Wuppertaler Freibad Mählersbeck gibt es eine eingeschworene Gruppe von Frühschwimmern, die erst das Becken verlassen, wenn Blitze am Himmel zucken.

Foto: Stefan Fries

Wuppertal. André Vorberg öffnet um 7.57 Uhr das Kassenhäuschen im Freibad Mählersbeck. Auf diesen Moment warten bereits 15 Gäste mit Schwimmtasche. Dass die grauen Wolken über dem Becken jeden Moment Nieselregen bescheren könnten, stört niemanden. Für die Dauergäste ist das morgendliche Schwimmen auch bei ungemütlichen Temperaturen ein Muss. Freibadwetter ist immer.

Stephanie Wolf legt in der Freibadsaison täglich 1500 bis 2000 Meter im Wasser zurück — und das seit 33 Jahren. „Wenn ich krank bin, melde ich mich telefonisch beim Bademeister ab, damit sich niemand Sorgen macht“, sagt die 51-jährige Wuppertalerin, die wegen einer Wirbelsäulenkrümmung mit dem Schwimmen angefangen hat. Die zweifache Mutter hat sogar einst ihren Polterabend im Vereinshaus auf dem Freibadgelände gefeiert und früher ihre beiden Kinder mit ins Bad gebracht. Die wurden einfach im Bademeisterhäuschen abgegeben. Erst im Maxi-Cosi, später auf dem Bobby-Car, dann auf dem Fahrrad.

Über die Jahre begleitete Wolf am Beckenrand zusätzlich ihr Husky Leika. Wie man sich im Freibad erzählt, soll ihr der vierbeinige Begleiter auch schon mal mit der Schnauze das Handtuch gereicht haben. Seit einigen Jahren hat Leika jedoch aus Hygienegründen Beckenverbot. Stephanie Wolf hat im Bad trotzdem genügend Gesellschaft. Sie zählt rund 20 Bekannte zum „harten Kern“, der sich jeden Tag mit ihr in die türkis schimmernden Fluten stürzt.

Um Punkt 8 Uhr breiten sich im Freibad Mählersbeck die ersten Wellen aus. Die Frühschwimmer fackeln nicht lange. Selbstverständlich liegt kein einziges Handtuch auf der Liegewiese. Die meisten der Gäste mit Dauerkarten sind nach einer Stunde intensivem Schwimmen schon wieder auf dem Nachhauseweg, Sandra Hoven schaut sich das Spielchen als Schwimmmeistergehilfin schon seit 24 Jahren an. „Wir hatten über Jahre auch eine Familie zu Gast, die ganz in der Nähe gewohnt hat und direkt im Bademantel zu uns gekommen ist“, berichtet sie. Das Freibad Mählersbeck und die Dauergäste sind ihr ans Herz gewachsen. „Die Leute sind hier offener und entspannter. Vielleicht liegt das an der Lage mitten in der Natur“, sagt Hoven. Sie weiß, dass es auch ganz andere Badegäste gibt. Im Winter arbeitet sie in einem Hallenbad, wo die Frühschwimmer eher Einzelkämpfer sind. „Da heißt es dann: meine Bahn, mein Spind, meine Dusche.“

Anders im Freibad. Gestern ist die Gruppe nach dem Schwimmen noch gemeinsam zum Frühstück gegangen, um den 80. Geburtstag „vom Gerd“ nachzufeiern. Selbstverständlich krault sich das Geburtstagskind heute wieder durch die Wellen. Als Gerd Ruckert für eine Pause die Schwimm-Brille vom Gesicht zieht, ist er kein bisschen außer Atem. „Ich schwimme täglich einen Kilometer. Das kommt irgendwann ganz automatisch — ohne Anstrengung.“

Vor 75 Jahren war Ruckert erstmals im Freibad Mählersbeck. Noch heute erinnert er sich daran, wie er als fünfjähriger Bub vom Fünf-Meter-Turm gesprungen ist. „Da habe ich meine erste D-Mark gewonnen. Der Vater eines Freundes hatte mit mir gewettet, dass ich mich das nicht traue“, erzählt Ruckert. Wer weiß, vielleicht hat dieses Schlüsselerlebnis etwas damit zu tun, dass der 80-Jährige heute so schwimmbegeistert ist — und seit dem diesjährigen Eröffnungstermin im Mai keinen Tag im kühlen Nass ausgelassen hat. Auch wenn Ruckert schon gestehen muss, dass es in den ersten Tagen schon Überwindung gekostet hat, bei einstelligen Temperaturen die Alltagskleidung abzustreifen.

Schwimmen im Regen hat für den 80-Jährigen allerdings einen gewissen Charme. Ein Vorteil: Das Becken ist auf jeden Fall nicht überfüllt, denn ohne Sonnenstrahlen verirrt sich kein Schön-Wetterschwimmer in die Mählersbeck. Helga Müller (83) — Saisonkarte seit 1974 — kann dem Schwimmen bei Regen sogar etwas ganz Besonderes abgewinnen. „Dann ist das Wasser weicher. Richtig schön.“ Erschüttern kann den Schwimm-Drang des „harten Kerns“ eigentlich nichts. Selbst bei Gewitter krault der ein oder andere noch gemütlich weiter. Stephanie Wolf bringt es auf den Punkt: „Wir schwimmen so lange, bis uns die Bademeister aus dem Becken holen.“

wz.de/regenzeit