Unsere Burscheider Originale sind unsterblich
Da musste im Erzählcafé nur ein Name fallen und alle wussten auf Anhieb Bescheid: Settchen Strutz bleibt unvergessen.
Burscheid. Wenn es unter den agilen Burscheider Senioren auch nur noch wenige Bewohner gibt, die als originelle Personen mit gediegenem Witz und eigenem Kopf allgemein als „Original“ bekannt sind, erinnern sich ältere Burscheider noch sehr deutlich an die skurrilen und liebenswürdigen Marotten früherer Burscheider Originale.
Das Erzähl-Café im Seniorenheim unter dieses Thema zu stellen, war ein weiterer Glücksgriff der Initiatoren des Seniorenbeirats der Stadt. Nach der Begrüßung durch Barbara Sarx, als Vorsitzende des Seniorenbeirats, übernahm der Ur-Burscheider Klaus Hopstätter (81) das Mikrofon. Aus seinen reichbestückten Unterlagen brauchte er nur einen Namen in die Runde zu werfen: „Settchen Strutz“.
Viele der Anwesenden hatten die adrette, agile Frau mit einem Korb voller Berliner Ballen am Arm noch persönlich erlebt. Die Fußballer am Griesberg kauften ihr für ein paar Groschen Entgelt gerne ihre süßen Gebäcke ab, später auch Eis und türkischen Honig. Sie fuhr sogar mit, als die Burscheider in Wipperfürth spielten und hatte für „ihre“ Sportler hundert belegte Brötchen im Gepäck!
Neben dem originellen, geschäftstüchtigen „Settchen“ — Lisette Strutz, gab es in den Jahrzehnten von 1940 bis Ende der siebziger Jahre Burscheider Originale vergleichbarer Art. So auch Emil Pieper. Er war bekannt als „freier“ Verkäufer jeder Art von Gegenständen -und wie es unter de Hand hieß, ab und zu mit „gefundenen“ Hundewelpen.
Alles transportierte er in einem großen Jutesack. Dass er dieses, jetzt leere, grobe Stück einmal einem jungen, weiblichen Fahrgast im „Balkan-Express“ anbot, damit ihren Minirock zu verlängern, ist nur eine der vielen Histörchen um seine Person.
Ob ihn sein Pastor bei der Taufe des elften Pieperkindes wirklich ermahnte: „Emil, jetzt ist aber Schluss! Jetzt wird endlich geheiratet!“?
Einige Originale der Gegend bekamen ihr Image durch eine treffenden Spitznamen. Bei dem Klinkenputzer mit Haushaltsartikeln im Bauchladen vergaß man seinen Rufnamen und sagte nur: „Da kömmt der „Falldoor“ — unverhofft fiel er mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus und fragte eindringlich: Brukkt är jet?“.
Manchmal genügt ein einziger Vorfall, um einen originellen Charakter zur Gänze einzustufen. Als der trinkfreudige Rudolf Sauer bei Nacht seinen Heimweg nach Kämersheide nicht fand, bat er den Himmel um einen weiteren Blitz als Leuchte. Leider wurde er nicht erhört, so entfuhr ihm das derbe: „Dann l.m.a.A.“ Im nächsten Moment saß er bis zum selbigen im angeschwollenen Bach und korrigierte sich: „So war dat nich gemeent.“
Bauernschläue, gradlinige Offenheit und kuriose Sprüche von Burscheider Originalen fielen nach und nach den meisten der 25 Besucher im Gemeinschaftssaal des Seniorenheims ein. Darin spielten ehemalige Mitarbeiter der weltbekannten Firma Goetze-Werke oft eine Rolle. Anton Selbach legte den Weg zur Arbeitsstelle von Solingen-Landwehr meistens zu Fuß zurück, bekam aber aus anderem Grund seinen Spitznamen „Ferkes-Tünn“ verliehen.
Barbara Sarx gab einen Gedanken weiter: „Kann es sein, dass hauptsächlich Männer als Originale bekannt wurden?“ Von den Tischen stiegen nach einigen Minuten aber dann auch mehrere Frauengestalten aus den Erinnerungen auf. Darunter noch recht präsent: Else Kuppels, Modegeschäft an der Hauptstraße neben Metzger Daum & Eickhorn. Keine Frau verließ ihren Laden ohne einen Kleiderkauf.
Das gute Stück war zu groß? Kann nicht sein! Else raffte den Stoff am Rücken zusammen — vor dem Spiegel sah alles perfekt aus. „Alles klar! Passt haargenau!“
Als die Lachmuskeln der Gäste schon fast erschöpft waren, holte Otto Claas (91) erst zu seiner humorvollen und spannenden Lebensgeschichte aus. Er, als das noch äußerst lebendige männliche Original, faszinierte durch seine konzentrierte, übersichtliche Erzählung auch dann noch sein Publikum und wurde mehrfach ermuntert, noch weiter zu berichten. Sarx nahm sofort die Gunst der Stunde wahr und engagierte den Senior für eines der nächsten Erzähl-Cafés mit seinen kompletten Original-Berichten. Sie wird ihn bis dahin deutlich vor Augen haben als „den Werkmeister im blauen Kittel, angetan mit den Lackschuhen seiner Rekrutenzeit!“
Ein weiteres noch sehr aktives weibliches Original hat sicher ebenfalls viel zu erzählen. Lore Rackwitz (91) wäre als wertvolle Erinnerungs-Schatzkiste eine weitere Caféstunde wert. Mit einem heiteren Gedicht über ein Gespräch der Glocken in Köln schloss Hopstätter den interessanten Nachmittag.