Herr Lilienthal, als ich vom Stück mit dem Titel „Homeoffice“ hörte, hatte ich drei Gedanken. Der erste: Wie aktuell das Theater doch ist! Der zweite: Die Bühne versucht, populärer zu werden. Schließlich: Eigentlich ist über das Homeoffice doch schon alles gesagt.
Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus „Das Homeoffice ist unsere neue Realität“
Interview | Düsseldorf · Ein Gespräch mit dem Dramaturgen über das neue Stück, das im Schauspielhaus Uraufführung feiert.
Zum Saisonende gibt es am Düsseldorfer Schauspielhaus eine Uraufführung mit einem Stoff, der viele Menschen betrifft: das Homeoffice. Der berühmte japanische Theaterregisseur Toshiki Okada hat dazu das Buch geschrieben und führte Regie. An diesem Samstag wird „Homeoffice“ im Großen Haus erstmals zu sehen sein. Ein Gespräch mit einem der Dramaturgen des Stücks, dem Berliner Matthias Lilienthal, der für seine Arbeit als Intendant an den Münchner Kammerspielen ausgezeichnet wurde.
Lilienthal: Na ja, mich interessiert am Theater schon, wie die neuen Realitäten aussehen. Ein Teil davon ist, dass wir beide gerade nicht in einem netten Café in der Nähe des Schauspielhauses zusammensitzen, sondern sich jeder daheim vor seinem Bildschirm platziert hat.
Wird das Homeoffice als eine Lebens- und Arbeitsform nicht mehr aus unserem Leben verschwinden?
Lilienthal: Vom jetzigen Zustand wird sich ein Teil unseres Lebens mit Sicherheit wieder zurückbewegen. Aber das Homeoffice ist eine neue Möglichkeit, die bleiben wird. Und so fanden auch die ersten Gespräche zum Stück zwischen Toshiki Okada – 1000 Kilometer von Tokio entfernt –, Makiko Yamaguchi in Tokio und mir, der in Berlin saß, jeweils daheim statt.
Das Stück hat drei Dramaturgen. Neben ihnen sind das noch Makiko Yamaguchi und Robert Koall. Das klingt nach komplexen Abstimmungen.
Lilienthal: Wir sind eine Kuschelgruppe: total nett und sensibel zueinander. Zumal das Japanische das Wort Nein nicht kennt. Wenn also ein Treffen nicht um 12 Uhr möglich ist, wird das so nicht gesagt, sondern dann die Frage gestellt, ob man sich auch zu einer anderen Uhrzeit treffen könnte. Das ist auch sehr interessant bei den Probearbeiten, wenn Schauspielerinnen und Schauspielern nichts untersagt wird, sie aber auf andere Möglichkeiten hingewiesen werden. Und es funktioniert.
Haben Sie durch die Arbeiten mit dem Stück für sich etwas Neues zum Thema Homeoffice erfahren können?
Lilienthal: Ach, es ist einfach erst einmal schön, die sieben Schauspieler zu beobachten. Es ist wie ein großes Wimmelbild. Okada hat eine sehr choreografische Art und Weise, mit Schauspielern zu arbeiten. In dieser Ästhetik kommt mit dem Homeoffice noch mal eine andere Dimension dazu, wenn sieben Personen isoliert voneinander spielen. In den Proben rede ich dann manchmal von Autismus, auch wenn es natürlich kein korrekter Gebrauch des Wortes ist. Aber dieser Vereinsamungsprozess des Homeoffice bekommt noch einmal eine ganz andere Dynamik – auch auf der Bühne: Die Schauspieler waren bei den Proben oft verzweifelt, weil sie in zwei Meter Entfernung voneinander nicht miteinander richtig spielen konnten.
Was sind die Begleiterscheinungen solcher Begegnungen aus inzwischen eingeübter Distanz?
Lilienthal: Es ändert sich unsere Körperlichkeit, es ändert sich unser Reden, es ändern sich unsere Entscheidungen. Das sieht man deutlich in Berlin; dort steht ein Drittel der Innenstadt leer. Innenstädte haben auch dadurch ihre Funktion verloren.
Verändern wir uns auch selbst?
Lilienthal: Ich liebe es, rauszugehen, und ich hasse es, daheim dauernd eingesperrt zu sein. Das Büro ist für mich eine sehr effiziente Möglichkeit, mich von meiner Familie zu erholen. Und die Wohnung bietet mir die effiziente Möglichkeit, mich vom Theater zu erholen. In dem Moment, in dem alles nur im Homeoffice stattfinden würde, bräche mein psychisches System zusammen.