Schule Auf dem Stundenplan: Mathe und Verantwortung

Am Freien Christlichen Gymnasium besuchen alle Siebtklässler ein Schuljahr lang jede Woche eine soziale Einrichtung. Sie sollen Verantwortung für sich und andere übernehmen. In ihrer Freizeit. Das ist verpflichtend, eine Note gibt es dafür aber nicht.

Joel besucht jeden Freitag eine Kita. Die Kinder freuen sich immer, ihn zu sehen. Auch Streitereien zu schlichten, gehört zu seinen Aufgaben.

Foto: Ines Arnold

Shifte muss nicht lange überlegen. Beim Blick auf die Karten, die verschiedene Gefühle von wütend bis glücklich symbolisieren, deutet sie sofort auf das gähnende Monster. „Manchmal bin ich echt sehr müde“, sagt die Zwölfjährige und lächelt schwach. Shifte geht in die 7c des Freien Christlichen Gymnasiums (FCG) in Reisholz und besucht einmal in der Woche nach dem Unterricht einen Kindergarten. „Wenn ich dann aber da bin, ist es auch immer schön“, sagt sie. Dann wollen die Vier- und Fünfjährigen mit ihr toben, Fangen und Verstecken spielen. Und die Müdigkeit ist wie weggeblasen. Das Gefühl, den Termin eingehalten, die Kinder nicht enttäuscht, sie zum Lachen gebracht und sogar Streit geschlichtet zu haben, aber bleibt.

Genau darum geht es der Schule. „Die Schüler sollen lernen für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Etwas von dem abzugeben, was sie haben - Zeit. Sie sollen aber auch erleben, dass andere etwas nötig haben“, erläutert Lehrer Kai Regener die Idee des Schulfachs. Pünktlich und regelmäßig zu erscheinen, Rückmeldung oder auch Kritik der Vorgesetzten anzunehmen, Ältere zu unterstützen, Vorbild für Jüngere zu sein und auch mal Konflikte zu schlichten, an all das sollen die Schüler im Laufe des Schuljahres herangeführt werden.

Im Schuljahr 2012/2013 führte die private Ersatzschule das Fach erstmals im Rahmen des Ganztags ein, allerdings war das Angebot damals noch freiwillig. Den Siebtklässlern wurde angeboten, einmal in der Woche außerhalb der Unterrichtszeit 90 Minuten lang in einer sozialen Einrichtung tätig zu sein. Im Sportverein, in der OGS, dem Kindergarten, der Gemeinde oder einem Seniorenheim. Im darauffolgenden Schuljahr wurde das Fach dann verpflichtend und ist seitdem fester Bestandteil des Schulprogramms.

Im zweiten Schulhalbjahr der Klasse 6 suchen sich Schüler eine Einrichtung aus, bewerben sich, stellen sich dort vor. Mit Bewerbungstraining oder Berufsorientierung wie sie in den weiterführenden Schulen erst in Klasse 8 beginnt, soll das aber nicht verwechselt werden. „Das ist höchstens ein positiver Nebeneffekt“, meint Regener. Nach einem Schuljahr in einer Kita, einem Seniorenheim oder einer Grundschule wisse ein Schüler zumindest, ob ein sozialer Beruf für ihn überhaupt jemals in Frage kommt.

Einige Einrichtungen haben laut Regener jedoch zunächst Vorbehalte, ob die Kinder nicht zu jung sind, der Zeitpunkt mit zwölf oder 13 Jahren nicht doch zu früh gewählt ist. „Der Zeitpunkt hat sich als ideal herausgestellt. In dem Alter lassen sich die Schüler gerne auf ein solches Projekt ein. Sie finden sich in ihrer Zwischenrolle sehr wohl — sie sind weder gleichberechtigter Spielpartner noch Erzieher oder Lehrer“, erklärt er. Auch die Pubertät grätscht noch nicht dazwischen. „In Klasse 8 hätten wir eventuell mehr Probleme mit Schwänzern.“ Die gibt es zwar auch in der siebten Klasse, sind laut Regener aber die Ausnahme.

Die Schüler werden in der Einrichtung durch das Personal betreut, in der Unterrichtszeit finden Vorbereitungs- und Reflexionstreffen statt. So auch heute. Kai Regener hat die Gefühlsmonster-Karten auf dem Boden in der Mitte des Stuhlkreises verteilt, um den Schülern den Einstieg in die Gesprächsrunde zu erleichtern. Joel zögert nicht lange und macht den Anfang. Er zeigt auf das rote Monster mit der Sonnenbrille auf der Nase. „Bei mir läuft im Moment alles sehr cool in der Kita“, sagt er. Jeden Freitag nach Schulschluss besucht er die Benrather Einrichtung. „Ich helfe dann beim Nachmittagssnack, es gibt immer Müsli für die Kinder“, erzählt er. Ein Junge sei immer ganz aufgeregt, renne zur Gitarre und wolle etwas vorgespielt bekommen. Der Umgang mit den Kleinen ist für Joel neu, er selbst ist Einzelkind. „Aber es gefällt mir mit den Kindern zu spielen.“

Klassenkamerad Pascal engagiert sich beim Kinderturnen seines Sportvereins TBH. Die Rolle des Schlichters ist für ihn dabei ganz neu. „Da gibt es drei Jungs, die immer andere ärgern und andere Kinder mit Bällen abschießen“, sagt er. „Wenn ich sie zur Rede stelle, sind sie ganz nett, aber dann machen sie einfach weiter.“ Die Unsicherheit deswegen ist dem Zwölfjährigen deutlich anzusehen. Aber auch so etwas gehört dazu, erklärt Regener: „Die Schüler werden mit solchen Konflikten ja nicht allein gelassen“, sagt er. Als Schüler aber mal zu erleben, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen, sei eine wertvolle Erfahrung.

Mindestens einmal besucht die betreuende Lehrkraft des FCG die Schüler in der Einrichtung. Am Ende des Schuljahres stellen sich die Schüler gegenseitig ihre Erfahrungen aus dem Schuljahr vor. Auch ein Zeugnis über die Tätigkeit mit Bewertungskriterien wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Sozialverhalten wird nach Rücksprache mit dem Personal von den Lehrern ausgestellt. Eine Note gibt es aber nicht. Auch auf andere Fachbereiche habe es keine Auswirkungen, sollte das Sozialpraktikum nicht ideal gelaufen sein. Das sei bisher sowieso ganz selten vorgekommen, resümiert Regener.