Esskultur in Düsseldorf „Wir verstehen uns als Retter der türkischen Küche“

Düsseldorf · Orhan und Orkide Tançgil sind die Gesichter von „Koch Dich Türkisch“. In ihrem Düsseldorfer Laden verkaufen sie ihre selbst geschriebenen Kochbücher, vertreiben türkische Feinkost und veranstalten Kochkurse. Anfang März vergrößern sie sich von 70 auf 500 Quadratmeter.

Orhan und Orkide Tançgil im neuen Ladenlokal an der Flurstraße 5. Es gibt mehr Platz für die Kochschule, aber auch für Veranstaltungen wie Lesungen und Poetry-Slams.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Wenn Orhan Tançgil seinen Werdegang nachzeichnet, dann muss er am Schaufenster sitzend nur mit ausgestrecktem Arm in alle Himmelsrichtungen zeigen. „Ich bin in Flingern aufgewachsen“, holt der 45-Jährige aus. Erst besuchte er die Paul-Klee-Schule, dann das Goethe-Gymnasium. Aus Kindertagen kennt er auch noch die Auseinandersetzung im Kiez, zwischen der „Hermannplatz-Gang“ und der „Fürstenplatz-Gang“. „Ein rauer Ton herrschte hier“, erinnert er sich. Heute schätzt er Flingern für seine Authentizität. „Die Leute sind nicht abgehoben, sie probieren Dinge aus und unterstützen andere, wenn sie ihre Sache gut machen.“ Dass seine Frau und er heute in der Lage sind, mit ihrem Ladenlokal „Koch Dich Türkisch“ umzuziehen und sich von 70 auf rund 500 Quadratmeter zu vergrößern, sei genau dieser Unterstützung geschuldet. „In einem anderen Stadtteil hätte unser Konzept wahrscheinlich nicht  funktioniert“, glaubt er.

Und dieses Konzept hat drei Standbeine: einen Kochbuch-Verlag, einen Online-Handel von Büchern, türkischer Feinkost und Wein sowie eine Kochschule. „Wir sehen uns als Retter der türkischen Küchenkultur“, sagt Tançgil. „Deshalb geht das eine nicht ohne das andere.“ Er und seine Frau Orkide wollen mehr als nur Kochbücher schreiben, mehr als nur türkische Zutaten verkaufen und mehr als eine Kochschule sein, in der gezeigt wird, wie das Messer richtig gehalten wird. „Es geht darum, die türkische Kultur kennen und verstehen zu lernen“, sagt der Sohn türkischer Arbeitsmigranten. Das Credo von „Koch Dich Türkisch“: Integration geht durch den Magen.

Und deshalb gibt es streng genommen noch ein weiteres Standbein: den Food-Blog, mit dem Orhan Tançgil die Rettungs-Mission zu Studentenzeiten ursprünglich startete. „Ich studierte in Stuttgart und vermisste die türkische Hausmannskost meiner Mutter sehr“, erzählt er. Weil sich seine Mutter aber weigerte, ihren Sohn an ihrem Wissen teilhaben zu lassen („heirate lieber eine gute Frau, die für dich kocht!“), recherchierte der damalige Student selbst. Doch entweder kamen die Rezepte nicht an die Hausmannskost seiner Mama heran oder sie richteten sich an die türkische Hausfrau, die offenbar weder Mengenangaben noch eine genaue Zubereitungsanleitung braucht und den jungen Deutsch-Türken komplett überforderten.

Orhan Tançgil filmte seine Mutter beim Zubereiten der Gerichte

Schließlich überredete Tançgil seine Mutter, ihm einige Rezepte vorzukochen. „Ich stellte eine Videokamera auf, filmte Mama beim Kochen und stellte den Film ins Netz“, sagt er. Parallel ging er mit dem Blog „Koch Dich Türkisch“ online – mit Rezepten in deutscher Sprache und „auf deutsche Art“, also mit exakten Mengenangaben. Dazu schrieb er Geschichten über die Herkunft des Gerichts, über Essgewohnheiten und kulinarische Bräuche in der Türkei. „Es war Anfang 2000. Das Internet und vor allem die sozialen Netzwerke waren erst im Kommen. Dennoch gab es ein großes Feedback, das mich bestärkt hat, weiterzumachen“, sagt Tançgil.

Zurück in Düsseldorf arbeitete er zunächst in einem Medienunternehmen, der Blog und die Videos blieben sein Hobby. Schließlich lernte er seine heutige Frau Orkide kennen, und die Liebe ging – wie könnte es auch anders sein – durch den Magen. „Wir haben dann auch mit Freunden gemeinsam gekocht, mieteten dafür Kochschulen an“, sagt er.

In der Elternzeit der ersten gemeinsamen Tochter fassten die beiden den Mut, den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen. Das Paar gründete einen Verlag und verfasste das erste Kochbuch „Sofra“ – bodenständige türkische Hausmannskost. Ein Jahr später folgte das zweite. Beide verfasst in einem Hinterhofbüro an der Flurstraße. Wenig später erfolgte der Umzug in ein 45 Quadratmeter großes Ladenlokal auf der Birkenstraße. „Wir hatten vorne ein Regal mit unseren Kochbüchern stehen, und die Leute kamen tatsächlich und kauften sie“, erinnert sich der 45-Jährige.

Doch schon bald kamen die Kunden zurück und fragten, wo einige der Zutaten zu finden seien, die zur Zubereitung benötigt wurden. „Und zu dem Essen wollten sie türkischen Wein trinken. Typisch deutsch: Wenn schon, denn schon“, sagt er und lacht. So war die Entscheidung zum zweiten Standbein gefallen: Die Tançgils verkauften Feinkost und Wein und bauten parallel den Online-Shop auf.

Immer mehr Kunden verfolgten auch ihren Food-Blog und fragten nach Kochkursen. Schließlich zog „Koch Dich türkisch“ noch einmal einige Meter weiter in das 70 Quadratmeter große Ladenlokal an der Birkenstraße 86, um Platz für eine Kochschule zu haben. Seitdem können Paare, Mutter-Tochter-Gespanne, Männer, die ihre türkische Freundin beeindrucken oder Frauen, die die türkische Schwiegermutter überzeugen wollen, Mädels-Truppen, Firmengruppen oder neugierige Hobbyköche an mehreren Abenden der Woche türkische Küchenkultur kennenlernen.

Doch der Kochkurs startet nicht am Herd. Orhan Tançgil macht mit der Gruppe immer erst einmal einen Abstecher in den türkischen Supermarkt um die Ecke. Dort erklärt er den Teilnehmern dann, mit welchen Lebensmitteln sie es zu tun haben, dass die Türkei, obwohl drittgrößtes Exportland für Tee, keine Tee-, sondern eine Kaffeekultur ist und dass 60 Prozent der türkischen Bevölkerung Alkohol trinkt, der türkische Wein aber nicht sehr bekannt ist.

Mittlerweile arbeiten die Tançgils an ihrem fünften Kochbuch. Orkide recherchiert zurzeit im Internet, durchforstet türkische Food-Blogs und Reise-Foren nach Gerichten, die in bestimmten Regionen der Türkei beliebt, deren Rezeptur aber weitestgehend unbekannt sind. In den kommenden Wochen wird dann auch der komplette Umzug an die Flurstraße 5 abgeschlossen sein. Platzprobleme sollten die Tançgils dann nicht mehr haben: Das neue Ladenlokal bietet Platz für ein Lager und „Versandcenter“ im Keller, einen großzügigen Verkaufsraum und einen Arbeitsbereich mit Computern, an denen der Online-Shop betreut wird. Im 120 Quadratmeter großen, lichtdurchfluteten Raum können dann auch Kochkurse mit größeren Gruppen sowie Lesungen, Poetry-Slams und andere Events stattfinden. Anfang März wird es die große Eröffungsfeier im neuen Laden geben. Dann sind vor allem die Nachbarn aus Flingern herzlich eingeladen, die die Tançgils seit ihren Anfängen unterstützen und damit maßgeblich dazu beitragen, das Ziel der Beiden zu erreichen: deutsch-türkische Freundschaft in Düsseldorf zu leben.