Sie dürfen sich zu Beginn vorstellen, dass Sie die Wahl im September gewinnen, sich aber einer anderen politischen Mehrheit im Stadtrat gegenübersehen. Herr Geisel, wie würden Sie mit einer schwarz-grünen Mehrheit im Rat umgehen?
Kommunalwahl Jeder gegen jeden: Die Oberbürgermeister-Kandidaten von CDU und SPD im Duell
Düsseldorf · Thomas Geisel und Stephan Keller diskutieren über Mittel gegen eine Dieselfahrverbot, Kinderbetreuung – und den Fall einer Niederlage bei der Wahl im September.
Es war das letzte Treffen in unserer Reihe „Jeder gegen jeden“. Jeweils zwei der Oberbürgermeister-Kandidaten, die eine mehr oder minder gute Chance haben, bei der Kommunalwahl im September zu gewinnen, trafen sich in den vergangenen Wochen zum Gespräch in unserer Redaktion. Dabei ging es nicht um Konflikte, sondern um die Unterschiede in den Programmen und Positionen. Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) und Herausforderer Stephan Keller (CDU), die einander seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Düsseldorfer Verwaltung duzen, diskutierten über die Umweltspuren und mögliche Alternativen, die Familienpolitik sowie das Verhältnis zwischen Landeshauptstadt und Land. Zum Schluss stellten wir beiden die Frage, was sie machen, sollten sie nicht Oberbürgermeister werden.
Geisel: Ich schätze die Wahrscheinlichkeit als nicht sehr hoch ein.
Keller: Dass Du am 27. September noch Oberbürgermeister bist?
Geisel: Nein, die Wahrscheinlichkeit einer schwarz-grünen Mehrheit schätze ich nicht sehr hoch ein. Aber grundsätzlich gilt: Die Verwaltung wirbt für Mehrheiten. Ich bin ohnehin etwas skeptisch, Kommunalpolitik als reinen Parlamentarismus mit Fraktionszwang und Koalitionen zu sehen. Es gibt in vielen Kommunen auch Modelle, in denen es sehr gut funktioniert, wenn der Oberbürgermeister mit allen gutwilligen Fraktionen konstruktiv zusammenarbeitet.
Herr Keller, was würden Sie machen, wenn Sie OB würden, es aber eine erneute Ampel oder ein rot-rot-grünes Bündnis im Rat gäbe?
Keller: Ich glaube, dass es nach der nächsten Wahl wieder klarere Mehrheiten geben wird. Ich halte das für wichtig und ich halte auch viel von einer stabilen Kooperation. Ich glaube auch, dass die Vorzeichen dafür ganz gut stehen und zwar unter Einschluss der CDU, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die CDU die stärkste Kraft wird.
Wir wollen über die Umweltspur sprechen. Herr Keller, Sie haben gesagt, dass Sie die Spur abschaffen, wenn Sie Oberbürgermeister werden wollen. Was aber wollen Sie dann tun, um ein Dieselfahrverbot zu verhindern?
Keller: Die Umweltspur verfehlt aus meiner Sicht ihr Ziel. Wir haben zum Beispiel an der Merowingerstraße immer noch den schlechtesten Grenzwert Nordrhein-Westfalens. Das zeigt, dass es das falsche Instrument ist. Die Umweltspuren haben den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Man hat nichts dafür getan, die Kapazitäten im ÖPNV zu erhöhen und die Leute wirklich zum Umstieg zu bewegen. Dieses starre System mit der Reservierung bestimmter Flächen für einen Verkehrsträger führt dazu, dass das System insgesamt schlechter wird. Die Staus haben zugenommen und die Rheinbahn ist unpünktlicher geworden. Deshalb ist die Umweltspur das falsche Rezept.
Und was ist das richtige Rezept?
Keller: Das richtige Rezept ist eine Verkehrssteuerung über Ampelkoordination, die Digitalisierung des Verkehrs, der Ausbau des ÖPNV und der Park&Ride-Plätze.
Geisel: Du hast die Frage nicht beantwortet. Die Frage war, wie es uns gelingt, Dieselfahrverbote abzuwenden. Ich darf nochmal dran erinnern: Das war eine gemeinsame Initiative mit der Umweltministerin, CDU, und der Regierungspräsidentin, CDU, die sagten, es wird nicht ausreichen mit den bisherigen Maßnahmen im Luftreinhalteplan zu bestehen. Deshalb bedurfte es einer zusätzlichen Maßnahme. Dass die Maßnahme erfolgreich ist und die Stickoxid-Werte signifikant abgesenkt wurden, ist ohne Frage. Deshalb ist es ziemlich kühn zu sagen, dass man die Umweltspur wieder abschafft. Der Luftreinhalteplan ist ein Plan der Bezirksregierung, das heißt, Du müsstest schon ziemlich rabiat gegen die schwarz-gelbe Landesregierung vorgehen – auf die Gefahr hin, dass die Deutsche Umwelthilfe erfolgreich dagegen klagt. Wir haben jetzt ein Tableau von Maßnahmen vorgelegt, mit dem wir sehr zuversichtlich sind, vor Gericht bestehen zu können, und die Umweltspur ist ein wesentlicher Bestandteil davon.
Keller: Ich bleibe dabei: Der Ansatz, den Verkehr besser zu machen durch die Bevorzugung einzelner Verkehrsträger auf eigens dafür vorgesehenem Raum, ist verfehlt. Die Rheinbahn ist weder schneller noch pünktlicher geworden.
Müsste dann die Bevorrechtigung der Rheinbahn nicht noch weiterausgebaut werden, um sie schneller zu machen?
Keller: Nein. Ich muss das System so steuern, dass das Gesamtsystem stabil bleibt. In dem Maße, in dem ich eine starre Bevorrechtigung einführe, geht das System in die Knie. Wo ich Staus produziere, behindere ich im Gesamtsystem auch den ÖPNV.
In diesem Zusammenhang spielt auch der Radverkehr eine wichtige Rolle. Wie kann man dafür größere Fortschritte machen als bisher?
Geisel: Wenn ich mit Radfahrern spreche, und ich kann das auch aus eigener Erfahrung bestätigen, sagen sie, es ist ein Riesenunterschied erreicht, was das Thema Platz und das Thema Komfort für Fahrradfahrer angeht. Wir sind, und das war durchaus auch Dein Verdienst als Verkehrsdezernent, weggekommen von niveaugleichen Radwegen mit Fußwegen, weil das eine Sicherheitsfrage ist. Wir haben den Straßenraum neu sortiert zugunsten des Fahrrads.
Keller: Dafür war die Planung für das Radnetz eine gute Konzeption, das 300 Kilometer umfasste und das nur zu einem Bruchteil umgesetzt wurde.
Geisel: Wir können doch jetzt nicht die Backen aufblasen und so tun, wenn Keller hiergeblieben wäre, dann hätten wir heute 300 Kilometer Fahrradwege. Das ist doch absurd.
Keller: Aber wir müssen das doch anpacken.
Geisel: Das tun wir doch, Schritt für Schritt.
Keller: Aber da ist Tempo erforderlich.
Herr Keller, Sie haben zu Beginn gesagt, dass die CDU die stärkste Fraktion wird und voraussichtlich auch an einer Mehrheit im Stadtrat beteiligt ist. Ist dieses Tempo, das Sie für den Radwegebau fordern, mit Ihrer Fraktion überhaupt machbar?
Keller: Natürlich wäre das mit der CDU machbar. Wir arbeiten sehr engagiert in der Fachgruppe mit. Und die schnelle Umsetzung des Radhauptnetzers ist Kernbestandteil des Programms der CDU.
Geisel: Das höre ich gerne. Auch weil der verkehrspolitische Sprecher der CDU vor kurzem noch Parkgebühren für Fahrräder gefordert hat.
Wir kommen zum Thema Familienpolitik. Herr Keller, wie ist Düsseldorf bei der Kitabetreuung aufgestellt?
Keller: Seit den Zeiten von Joachim Erwin gut. Gerade mit der Beitragsfreiheit für über Dreijährige haben wir als familienfreundliche Stadt gepunktet. Das ist in den vergangenen Jahren nicht wesentlich schlechter geworden. Aber wir müssen jetzt die Weichen richtig stellen. Was mir nicht so gut gefällt ist, dass wir über 60 Prozent der Betreuung von unter Dreijährigen über Tagespflege abdecken. Da würde ich mir den Kita-Anteil deutlich höher wünschen, weil das das Angebot ist, das die Eltern bevorzugen. Wir sollten auch überlegen, ob wir diesen erfolgreichen Weg, frühkindliche Bildung kostengünstig oder gar beitragsfrei zu machen, nicht weitergehen können, das also auszudehnen auf die unter Dreijährigen. Das ist in Corona-Zeiten ein schwieriges Unterfangen, ich halte es aber grundsätzlich für erstrebenswert, in diese Richtung zu denken.
Geisel: Das ist natürlich eine Errungenschaft, die zur Attraktivität der Stadt beiträgt. Wir müssen gucken, was realistischerweise schaffbar ist. Das Thema Beitragsfreiheit ist besonders wichtig dort, wo die Kita ein Angebot zur Ermöglichung von Chancengleichheit ist.
Keller: Das Thema hat ja zwei Seiten. Man kann überlegen, ob das eher eine Subvention für Besserverdienende ist. Ich denke aber, es ist konsequent, wenn wir ein Bildungsangebot machen, von dem wir wollen, dass es möglichst viele Kinder in Anspruch nehmen, das beitragsfrei ist. Nochmal: Die Quote der Tagesbetreuung im U3-Bereich ist mir zu hoch. Das ist kein mangelnder Respekt vor denen, die Tagespflege machen, aber es ist nicht das Angebot, das Eltern sich wünschen.
Was wollen Sie beide tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern?
Keller: Wir sprechen von der Vereinbarkeit immer mit der Fragestellung, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Kindern machen. Wir müssen an dieser Stelle auch die Frage stellen, was machen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit ihren Eltern. Und da fehlen in Düsseldorf eben noch 1000 stationäre Pflegeplätze.
Geisel: Wir haben passend dazu nun die Einladungen zum Pflegegipfel geschrieben, der im März eines der ersten „Opfer“ von Corona war. Wir setzen uns mit den freien Trägern zusammen, um zu schauen, wo gibt es Flächen und wo Ausbaupotentiale bestehender Einrichtungen. Durch steigende Anforderungen und steigende Nachfrage ergibt sich ein besonderer Handlungsbedarf. Wir wollen deshalb zunächst das Gespräch mit denen suchen, die das Geschäft bisher betrieben haben. Dann müssen wir gucken, ob das ausreicht, wie weit können wir vielleicht städtischerseits noch Flächen zur Verfügung stellen und was ist ein zukunftsfähiges Organisationsmodell.
Unser drittes Thema ist das Verhältnis zwischen Stadt und Land. Von Herrn Keller gab es vor kurzem ein gemeinsames Video mit dem Ministerpräsidenten zu sehen. Herr Geisel, warum gibt es kein solches Video mit dem Oberbürgermeister?
Geisel: Es gibt viele gemeinsame Fotos. Und es gibt viele Themen, bei denen wir sehr sehr gut zusammenarbeiten: das Deutsche Fotoinstitut, das Museum der Landesgeschichte, beim Wohnungsbau. Ich kann mich absolut nicht beschweren über die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land.
Herr Keller, was kann in dem Verhältnis noch verbessern?
Keller: Ich würde mich dafür einsetzen, noch symbolträchtiger Land und Landeshauptstadt zusammenzuführen. Ich würde ganz pragmatisch die Landesregierung einladen, eine Kabinettssitzung bei uns im Rathaus abzuhalten. Damit das Land nach außen seine Verbundenheit mit der Landeshauptstadt demonstriert, und auch wir zeigen, dass wir unsere Rolle annehmen und wahrnehmen. Im Atmosphärischen und im Symbolhaften gibt es einiges, dass man verbessern kann. Da hilft es dann auch, einen kurzen Draht zu haben.
Geisel: Ich bin Deiner Meinung. Deshalb waren wir die ersten, die die neugewählten Mitglieder des Landtags in den Jan-Wellem-Saal des Rathauses eingeladen haben. Wir wollen ein guter Gastgeber für die Landesregierung und das Landesparlament sein.
Sie sind beide sehr gläubig. Herr Keller ist Katholik, Herr Geisel Protestant. Herr Keller, was könnte Ihre Konfession von der Konfession Herrn Geisels lernen?
Keller: Ich bin grundsätzlich aus voller Überzeugung Mitglied der katholischen Kirche. Trotzdem ist es so, dass im Protestantimus bestimmte Probleme, die ich in der katholischen Kirche gerne gelöst sähe, kein Thema mehr sind, beispielsweise der Zugang für Frauen zum Weiheamt. Ansonsten finde ich vieles, was Liturgie und Ritus angeht, in der katholischen Kirche deutlich ansprechender.
Geisel: Ich sage immer, wir sollten als Katholiken und Protestanten nie vergessen, dass uns mehr eint als uns trennt.
Sie durften sich am Anfang unseres Gesprächs vorstellen, dass Sie die Wahl gewinnen, nun müssen Sie sich vorstellen, dass Sie verlieren. Wie ginge es dann für Sie weiter?
Keller: Da wird so viel drüber geredet. Ich stelle mir diese Frage überhaupt erst nach der Wahl und ich gehe davon aus, dass ich sie mir gar nicht stellen muss. Ich bin auch noch mehrere Jahre als Stadtdirektor in Köln gewählt. Ich möchte mit voller Kraft jetzt in den Wahlkampf einsteigen, ich bin mit großem Optimismus unterwegs – deshalb ist ein Plan B nicht das, was mir gerade Kopfzerbrechen macht.
Herr Geisel, könnten Sie sich vorstellen, als Fraktionsvorsitzender in die Oppositionsbank zu gehen? Sie sind ja auf Platz 1 der Reserveliste Ihrer Partei.
Geisel: Ich bin ein politischer Mensch, Kommunalpolitik macht mir Spaß. Aber ich habe vor, das aus der Exekutive zu machen.