Interview Jeder gegen jeden: Die Oberbürgermeister-Kandidaten von SPD und FDP im Duell

Düsseldorf · Thomas Geisel und Marie-Agnes Strack-Zimmermann diskutieren über Großevents und bezahlbaren Wohnraum.

Unsere Redakteure Alexander Schulte (links) und Christian Herrendorf (Zweiter von rechts) interviewten Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Thomas Geisel.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

In unserer Reihe „Jeder gegen jeden“ treffen sich je zwei der Oberbürgermeister-Kandidaten von CDU, SPD, Grünen und FDP und erörtern ihre Ideen. Dabei geht es nicht um Konflikte, sondern um Unterschiede. Die gab es bei der Diskussion zwischen Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) und seiner Herausforderin, FDP-Chefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, reichlich, etwa mit Blick auf die Amtsführung, die Tour de France und die Olympiabewerbung sowie die Instrumente, die zu mehr bezahlbarem Wohnraum führen sollen.

Herr Geisel, dass Sie Oberbürgermeister werden wollen, ist klar. Aber warum wollen Sie auf keinen Fall, dass Frau Strack-Zimmermann Oberbürgermeisterin wird?

Thomas Geisel: Ich mache mir eher Gedanken, warum ich Oberbürgermeister bleibe, als warum es meine Herausforderer nicht werden. Ich bin überzeugt, dass ich ein besserer Oberbürgermeister wäre als meine Herausforderer, sonst würde ich nicht antreten.

Frau Strack-Zimmermann, warum ist es Ihnen so wichtig, dass Herr Geisel abgewählt wird?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Er war ja jetzt sehr liebevoll, daher eine ganz kurze Antwort: Ich bin seit 20 Jahren in der Kommunalpolitik, ich kenne die Stadt, ich verstehe die Stadt – und deshalb glaube ich, dass ich die bessere Oberbürgermeisterin wäre.

Sie haben immer wieder Kritik am Amtsinhaber geübt. Was ist so verkehrt an der Omnipräsenz von Thomas Geisel?

Strack-Zimmermann: Das hat mit Omnipräsenz nichts zu tun. Natürlich muss ein Oberbürgermeister überall sein. Ich bin die letzte, die Herrn Geisel nicht zubilligt, dass er viel arbeitet. Es geht darum, dass ein Oberbürgermeister sein Amt im Kontext des Rates ausübt. Wir arbeiten seit sechs Jahren zusammen. Ich finde, dass das ganz gut hingehauen hat mit der SPD und den Grünen. Aber was ich bedauere, ist, dass Ihnen, Herr Geisel, völlig egal ist, was der Rat macht. Es wäre klug, den Rat einzubinden und nicht an ihm vorbeizuarbeiten, es ist auch klug, die Ampelpartner einzubinden und nicht die Umwege über die Ausschüsse zu suchen. Das ist keine One-Man- oder One-Woman-Show.

Geisel: Es ist ziemlich abwegig, zu behaupten, dass es mir wurscht ist, was der Rat macht. Die Verwaltung führt die Beschlüsse des Rates aus. Ich kämpfe für Mehrheiten im Rat und für die Vorlagen meiner Verwaltung. Und bin sehr glücklich, dass fast alle, jedenfalls die wesentlichen Vorlagen eine Mehrheit gefunden haben. Insofern bin ich durchaus mit der Politik im Gespräch, aber ich bin natürlich auch mit allen Bürgerinnen und Bürgern im Gespräch – und es ist sicher kein falsches Verständnis von Amtsführung, wenn man Beratung, Impulse, Vorschläge und Ideen nicht nur aus der Politik aufnimmt.

Strack-Zimmermann: Dann lassen Sie uns Beispiele nennen. Mir ist der Impuls aus der Politik zur Umweltspur neu, mir ist auch der Impuls zur Tour de France neu.

Geisel: Die Umweltspur hat eine Mehrheit gefunden. Es gab einen Anlass: das drohende Diesel-Fahrverbot. Ich wundere mich immer wieder, wie kurz das Gedächtnis in der Politik ist. Vor etwas mehr als einem Jahr, war das drohende Dieselfahrverbot das Thema dieser Stadt. Insbesondere Ihre Partei, aber auch Handwerkskammer und IHK schrieen, dass wäre die größte Katastrophe, die dieser Stadt widerfahren könnte. Die vorliegenden Messergebnisse geben uns jetzt insofern Recht, als auf der Corneliusstraße die Werte sehr signifikant gesunken sind. Ich gehe davon aus, dass das Land darauf drängen wird, aus diesem Versuch eine Dauereinrichtung zu machen. Es hat sich gezeigt, dass durch dieses etwas disruptive Ereignis wie die Umweltspur die Nutzung von Bus und Bahn deutlich gestiegen ist. Bei der Rheinbahn so stark wie nie in den vergangenen 20 Jahren – jedenfalls vor Corona.

Strack-Zimmermann: Ich habe das Beispiel genommen, weil es typisch ist für Ihre Amtsführung. Dass wir eine Verkehrswende brauchen, ist unbestritten. Aber das können Sie nur mit den Leuten schaffen. Sie können das nicht schaffen, indem Sie eine Barriere aufbauen und die Leute vor die Pumpe laufen lassen. Sie haben gesagt, dass Sie auf die Menschen hören. An der Stelle hören Sie überhaupt nicht auf die Menschen. Sonst würden Sie mit den Kliniken sprechen, in denen die Krankenschwester nicht mehr pünktlich zum Dienst kommt, Sie würden mit den Kitas sprechen, in denen Erzieherinnen eine Stunde früher losfahren müssen. Die Umweltspur hat losgelöst vom Verkehrlichen eine unheimliche Auswirkung auf die Menschen, die in dieser Stadt arbeiten oder Angestellte haben.

Wir kommen zu einem anderen Thema: Großereignisse. Frau Strack-Zimmermann, ist das Wort Grand Depart für Sie das Unwort der vergangenen sechs Jahre?

Strack-Zimmermann: Grand Depart ist kein Unwort, das ist eine wunderbare Sportveranstaltung, die in den meisten Ländern der Erde klein gehalten und auf kleinen Marktplätzen gestartet werden. Es stößt mir nur unangenehm auf, weil in Düsseldorf Millionen ausgegeben wurden und die Prognose, dass dies einzahlt auf die Stadt, schlichtweg nicht wahr geworden ist. Die Tour de France hier war eine große Geldverschwendung. Die Sponsoren waren mit wenigen Ausnahmen alles städtische Töchter, die aufgefordert wurden vom Aufsichtsratsvorsitzenden, der zufällig in Personalunion Thomas Geisel war.

Geisel: Es gab ein Sponsoring der Messe, es gab ein kleines Sponsoring der Sparkasse für ein Neben-Event. Die Stadtwerke haben das Kraftwerk-Konzert gesponsert. Die Hälfte des Sponsorings waren rein private Spenden, die mit städtischen Beteiligungen gar nichts zu tun hatten.

Strack-Zimmermann: Wer denn?

Geisel: Es gab beispielsweise einen Unternehmer aus der Innenstadt, der den Grand Depart unterstützt hat.

Strack-Zimmermann: Das ist ein gutes Beispiel, denn es zeigt, wie das Netz funktioniert. Ein Investor, der hier baut, sponsert die Tour de France und bekommt dafür eine Werbewand und konnte dort jahrelang für sich werben. Indirekt haben wir dessen Sponsoring bezahlt.

Geisel: Das Team um Theresa Winkels (Projektleiterin des Grand Depart, Anm. d. Red.) war sehr kreativ, wie man bestimmte Leistungen, die es früher auch schon gab, nun als Einnahmequelle für die Stadt realisieren kann. Ich glaube, ganz ganz viele Menschen haben die Tour de France als ein großartiges Ereignis erlebt. Ich hatte das Gefühl, je weiter man sich aus der Käseglocke Rathaus entfernte, desto weniger Verständnis gab es für die Diskussionen, die da geführt wurden. Die Kosten lagen bei acht Millionen Euro, das sind pro Zuschauer acht Euro. Es gibt andere Veranstaltungen, die die Stadt sponsert, bei denen die Ausgaben pro Person viel höher sind.

Strack-Zimmermann: Acht Millionen stimmen ja nicht. Die halbe Stadtverwaltung wurde involviert, um im Sicherheitsbereich freiwillig mitzumachen. Das heißt, dass sie andere Arbeiten haben ruhen lassen.

Geisel: Nur um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die Vorlage, die im November dazu geführt hat, das wir uns bewerben, sah ein deutlich höheres Defizit vor, als wir es tatsächlich hatten. Und noch eins muss ich loswerden: Sie haben 2011 komplett kritiklos hinter dem Eurovison Song Contest gestanden, dabei wurde dieses teure Event vollkommen intransparent gehandelt. Mehr mit zweierlei Maß messen kann man kaum.

Stehen Sie hinter der Olympiabewerbung für 2032?

Strack-Zimmermann: Unbedingt. Ich halte das für eine große Chance für Düsseldorf und für das ganze Revier, weil Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden. Das Konzept ist so nachhaltig gedacht, das hat nichts mehr mit den Bewerbungen zu tun, die es vor 20 Jahren noch gab.

Geisel: Da sind wir absolut einig, das gilt sicher auch für die Fußball-Europameisterschaft 2024. Olympia 2032 ist vielleicht die letzte große Chance für diese Region, noch mal einen großen Wurf zu machen bei der Erneuerung der digitalen Infrastruktur und bei der Verkehrsinfrastruktur, vielleicht sogar bei der Verwaltungsvereinfachung.

Strack-Zimmermann: An der Stelle muss ich doch noch auf ein Haar in der Suppe aufmerksam machen. Herr Geisel ist ein großer Freund davon, dass das Olympische Dorf an die B7 kommt. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht bis 2032 warten, bis es dort mit dem Wohnungsbau losgeht. An anderer Stelle gibt es auch Möglichkeiten, das Olympische Dorf in Düsseldorf zu schaffen.

Gibt es ein nicht-sportliches Großereignis, das Sie gerne mit Ihrer Amtszeit verbinden würden?

Geisel: Ich habe ja mal ein bisschen geträumt, dass zum 75. Landesgeburtstag die zwei Ikonen der jüngeren Düsseldorfer Musikgeschichte, Kraftwerk und die Toten Hosen, am Rheinufer auftreten.

Strack-Zimmermann: Großevents im kulturellen Bereich finde ich spannend. Wenn man aber auf das Fotoinstitut schaut, dann muss ich sagen, ich finde es gespenstisch, was da gerade passiert. Es gibt einen Haushaltsbeschluss in Berlin, der das Fotoinstitut in Düsseldorf vorsieht, es gibt hier einen entsprechenden Beschluss. Dass man das jetzt wieder aufmacht, finde ich skandalös. Da würde ich mich sehr freuen, wenn wir da an einem Strang ziehen und dafür sorgen, dass es hier hin kommt.

Wir wollen gerne noch zu einem anderen Thema kommen. Wenn Sie sich vorstellen, Sie wären Düsseldorfer mit einem durchschnittlichen Einkommen: In welcher Kommune im Umland würde Sie eine bezahlbaren Wohnraum suchen?

Strack-Zimmermann: Ich würde natürlich immer nach Düsseldorf ziehen wollen, aber machen wir uns nichts vor, das hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Da werden Preise aufgerufen, die sind jenseits von Gut und Böse. Ich sage das auch als Liberale: Das ist nicht mehr tolerabel. Wir haben deshalb das Handlungskonzept Wohnen initiiert, aber das reicht nicht mehr. Wir müssen als Stadt verstärkt – da wo es noch geht – Grund und Boden kaufen und entwickeln und dann den Investoren klare Vorgeben machen, am besten in Erbpacht, damit der teure Bodenpreis nicht 1:1 umgelegt wird.

Trotzdem wirft man Ihnen, Herr Geisel, immer wieder vor, dass Sie notfalls alles zubauen würden.

Geisel: Wir haben steigende Mieten, und sie würden noch stärker steigen, wenn wir die Dinge dem freien Spiel der Kräfte überlassen würden. Wir werden den Markt nicht schlagen. Wenn die Nachfrage steigt und das Angebot nicht mitwächst, dann steigt der Preis. Das ist das Schicksal, das wir vor 2014 hatten. Also müssen wir das Angebot erhöhen und kommen am Wohnungsbau nicht vorbei. Zudem aber haben wir noch andere Instrumente. Da ist das Handlungskonzept Wohnen, da ist auch der Grundsatz, dass wir städtische Grundstücke nicht veräußern, sondern einlegen in die Städtische Wohnungsbaugesellschaft, dann nutzt die ihre Liquidität nur für den Bau von Wohnungen und nicht für den Erwerb von Grundstücken. Drittens sind da die sozialen Erhaltungssatzungen. Das ist ein kompliziertes Instrument, deshalb wollen wir erst einmal ein Quartier nehmen, um Erfahrungen zu machen. Es geht vor allem darum, bei ehemaligen Sozialwohnungen, sobald die aus der Bindung rausfallen und Mieter ausziehen, werden die modernisiert, so dass die Miete dramatisch ansteigt. In diesen Erhaltungssatzungen gibt es die Möglichkeit, eine Luxussanierung zu untersagen, um sicherzustellen, dass dies nicht so exorbitant geschieht.

Strack-Zimmermann: Ich verstehe Ihre Stoßrichtung. Aber bei dem Instrument, das wir jetzt vorgelegt bekommen haben, müssen wir erst einmal definieren, was Luxus ist. In Ihrer Vorlage steht, dass ein Aufzug ein Luxusgut ist – absurd. Fußbodenheizung ist ein Luxusgut, kein Mensch will heute mehr eine Fußbodenheizung. In Berlin ist ein zweites Waschbecken Luxus. Ich warne vor Reglementierungen, wie ich sie beschrieben habe. Der Text muss geschärft werden.

Wir wollen versuchen, ein versöhnliches Ende dieses Gesprächs zu finden: Was der schönste gemeinsame Moment, den Sie beide in den vergangenen sechs Jahren erlebt haben?

(beide überlegen eine Weile)

Strack-Zimmermann: Ich möchte Ihnen jetzt mal ein Kompliment machen: Was ich als wirklich sehr gut empfunden habe war 2015, als Flüchtlinge nach Düsseldorf kamen und der Oberbürgermeister die Verwaltung so aufgestellt hat, dass wir uns völlig unkompliziert um die Flüchtlinge kümmern konnten, dass eine Flüchtlingsbeauftragte eingesetzt wurde, die neben dem OB den Überblick hatte. Ich war in diesem Moment sehr froh, dass Sie der Oberbürgermeister waren. Das ist menschlich und organisatorisch tadellos gelaufen. Das sage ich ohne Wenn und ohne Aber. Wir haben im Rat Diskussionen geführt, da kamen Bemerkungen aus anderen Parteien heraus, die waren nicht schön.

Geisel: You made my day.