Interview Jeder gegen jeden: Die Oberbürgermeister-Kandidaten von SPD und Grünen im Duell

Düsseldorf · Thomas Geisel und Stefan Engstfeld debattieren über Radwege, Rheinbahn, Kultur und den Flughafen. Und sie finden beide eine gute Antwort auf die letzte Frage.

Alexander Schulte (hinten links) und Christian Herrendorf (vorne) interviewten die Kandidaten mit dem gebotenen Abstand. Hinten rechts: Nils Kleibrink, Kampagnenleiter Oberbürgermeister- und Kommunalwahl bei den Grünen.

Foto: David Young

In unserer Reihe „Jeder gegen jeden“ treffen in den kommenden Wochen jeweils zwei der Kandidaten, die Chancen haben, Oberbürgermeister zu werden, aufeinander. Dabei geht es nicht um Konflikte, sondern darum, die Unterschiede in den Ideen der Bewerber kennenzulernen. Im ersten Duell zwischen Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) und dem Grünen-Herausforderer Stefan Engstfeld wurden Unterschiede beim Bau von Radwegen und den Plänen für die Rheinbahn, der Förderung der Kultur, der geplanten Erweiterung des Flughafens sowie im Umgang mit der Corona-Pandemie deutlich. Die beiden duzen einander, das haben wir in der Zusammenfassung des einstündigen Gesprächs übernommen.

Herr Engstfeld, warum treten Sie überhaupt an gegen einen Oberbürgermeister, der mit seinen Umweltspuren weitreichende Maßnahmen für den Klimaschutz auch gegen große Widerstände durchsetzt und der zugleich für eine liberale, tolerante Stadtgesellschaft steht?

Stefan Engstfeld: Wir Grünen haben sehr früh schon gesagt, dass wir mit einer eigenständigen Kandidatur antreten. Es gibt gute Gründe dafür. Thomas Geisel hat sein ökologisches Gewissen und seine Tatkraft erst am Abend der Europawahl entdeckt, als die Grünen stärkste Kraft wurden. Er hat dann auch Fridays for future entdeckt und nochmal einen Zacken zugelegt. Ich glaube, dass wir oder ich konsequenter in der Umweltpolitik sind, eine klare Vision haben. Und das, was wir hier in Düsseldorf gerade brauchen, ist schneller voranzugehen, auch in der Verkehrspolitik.

Herr Geisel, wie weit sind Sie mit der versprochenen Verkehrswende gekommen?

Thomas Geisel: Wir haben in der Verkehrspolitik einige Weichen in die richtige Richtung gestellt, aber es gibt noch große Aufgaben. Die Haupt-Herausforderung ist das Drehen des so genannten Modal Split. Wir wollen uns konzentrieren auf effiziente, auf umweltfreundliche, auf emissionsarme oder sogar emissionfreie Verkehrsmittel, da ist noch Luft nach oben. Ich bin überzeugt, dass die Verkehrswende ganz wesentlich dafür ist, dass diese Stadt weiter wachsen und sich entwickeln kann.

Der Herausforderer: Stefan Engstfeld, Landtagsabgeordneter der Grünen.

Foto: David Young

Im Grunde werfen Ihnen CDU, aber auch Grüne und FDP vor, die Verkehrswende verschlafen zu haben. Die große Rheinbahn-Offensive zum Beispiel ist seit 2014 in der Tat nicht zu erkennen.

Geisel: Bei der Rheinbahn war das Kernproblem, dass sie über viele Jahre alleine auf Wirtschaftlichkeit getrimmt worden ist, dass man Investitionen nicht rechtzeitig gemacht hat. Wenn Sie sich das anschauen: Die großen Zug-Bestellungen sind ausgelöst worden, unmittelbar nachdem ich Aufsichtsratsvorsitzender geworden bin. Da gab es sicher ein paar operative Schwachstellen, aber die Weiche ist richtig gestellt worden, nur hat der Zug leider nicht in dem Maße Fahrt aufgenommen, wie wir das wünschen.

Engstfeld: Der Zug muss Fahrt aufnehmen, das ist richtig, doch gerade beim Radwegeausbau stockt es erheblich im Moment. Wir haben Ankündigungen der Stadt gehört, gerade bei der Tour de France, dass man 300 Kilometer Radhauptnetz anpeilt, wir sind jetzt bei 23,5 Kilometer. Das ist natürlich viel zu wenig.

Wie würden Sie als Oberbürgermeister mit der Rheinbahn umgehen?

Engstfeld: Ich würde mich aus dem operativen Geschäft einfach raushalten. Dieser Oberbürgermeister aber hat sich wahnsinnig viel ins operative Geschäft eingemischt, das würde ich nicht machen. Die Rheinbahn muss Ruhe haben.

Der Amtsinhaber: Thomas Geisel, der erneut für die SPD antritt.

Foto: David Young

Geisel: Wo habe ich mich da bitte eingemischt?

Engstfeld: Hast Du nicht verhandelt mit Herrn Clausecker?

Geisel: Über den Anstellungsvertrag von Herrn Clausecker habe ich verhandelt. Das ist die Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden.

Warum ist denn der Ausbau der Radwege nicht soweit vorangekommen, was hätten Sie anders gemacht?

Engstfeld: Ich würde dem eine andere Priorität geben. Wir brauchen ähnlich wie beim Schulausbau mit der IPM im Bereich Radverkehr eine Beschleunigung von Planung und Umsetzung. Deshalb plädiere ich dafür, eine städtische Tochtergesellschaft zu gründen, ich würde sie „Bau Rad“ nennen. Und dann sollten mindestens 20 Prozent von den 300 Kilometern pro Jahr die Zielgröße sein.

Herr Geisel, ist das ein Modell das funktionieren kann?

Geisel: Wir haben beim Schulbau die Organisation neu sortiert, weil wir festgestellt haben, dass das Schulverwaltungsamt den Bedarf ermittelt hat, dann das Amt für Gebäudemanagement den Bedarf realisiert hat und es eine Schnittstelle gab, die nicht funktioniert hat. Deshalb machen wir das jetzt aus einer Hand, was prima klappt. Beim Verkehr liegen Planung und Ausführung schon im selben Amt, deshalb glaube ich nicht, dass es an der Organisation liegt. Ich stimme Dir zu, dass wir beim Ausbau des Radwege-Hauptnetzes schneller vorankommen müssen. Ein Problem war ein Stück weit auch der politische Prozess insofern, als jede Entscheidung in die Bezirksvertretung ging. Wenn aber das Radwege-Hauptnetz ein gesamtstädtisches Projekt ist, dann gehört es nicht in jeder Bezirksvertretung einzeln diskutiert und beschlossen. Sondern dann ist der Stadtrat verantwortlich.

Wir kommen zum Thema Kultur: Welcher Plan für das neue Opernhaus hat Ihnen bisher am besten gefallen?

Engstfeld: Ihre Frage beinhaltet eine falsche Reihenfolge, wenn ich das sagen darf. Bevor wir über Teilsanierung, Sanierung, Neubau oder Standorte diskutieren, finde ich es wichtig, Konsens herzustellen, welche Art von Oper wir überhaupt wollen. Was brauchen wir in 20, 30 Jahren für eine Oper? Da bringe ich mich gerne in die Diskussion ein, weil ich glaube, dass eine Oper wesentlich mehr in die Stadtgesellschaft geöffnet werden muss als bisher. Wenn wir wissen, welche Oper wir wollen, müssen wir gucken, ob das auf den Standort passt, was das kostet und ob wir uns das leisten wollen.

Geisel: Mir ist wichtig, dass wir uns dieser Diskussion offen nähern. Aber: Eine Oper ist eine Oper, Stefan. Sie kann nicht für alles und alle da sein, eine Oper wird nie 80 Prozent der Bevölkerung abbilden. Es gab eine Untersuchung, die besagte, eine moderne Oper braucht 93 Prozent mehr Platz. Da muss ich sagen: Eine Oper, die keine Wünsche offen lässt, kann sich auch eine wohlhabende Stadt wie Düsseldorf nicht leisten. Es muss eine Oper sein, die einen zeitgemäßen Spielbetrieb ermöglicht. Meine Vorliebe gilt dabei dem bestehenden Standort.

Engstfeld: Die Oper gehört zu Düsseldorf, also klares Bekenntnis zur Oper. Das zweite ist: Es gibt für mich eine conditio bei der Standortfrage: Wenn man an dem Standort bleibt, darf nicht der Hofgarten angetastet werden. Und drittens, wenn ich sage, dass die Oper sich öffnen muss, meine ich nicht das Publikum abends, sondern die Frage, wie man das Haus tagsüber bespielt.

Welche Kultur will und kann sich Düsseldorf in Zukunft noch leisten?

Engstfeld: Düsseldorf lebt als Kulturstadt von der Vielfalt. Wir leben von den großen Häusern, aber auch von den kleinen privaten Häusern, wir leben von der Szene. Wir müssen darauf achten, wenn wir uns unter finanziellen Aspekten die Kulturlandschaft angucken, dass diese Vielfalt erhalten bleibt.

Geisel: Wir haben in Düsseldorf eine ganze Reihe von sehr sehr attraktiven Festivals, die viele Menschen in die Stadt bringen. Wenn wir uns mal anschauen, wie hoch der Gesamtanteil der städtischen Finanzierung dieser Festivals am Gesamtkulturetat ist, dann sind wir wahrscheinlich bei unter einem Prozent. Dann stellt sich die Frage: Was erzielt wie viel Wirkung und wie viel Strahlkraft pro eingesetztem Euro. Ich persönlich würde sehr begrüßen, wenn man auch darüber einen offenen Diskurs führen würde.

Thema Flughafen: Finden Sie den Zeitpunkt, zu dem der Flughafen die Auslegung zur Kapazitätserweiterung vornimmt, günstig gewählt?

Engstfeld: Das kann man nicht machen während der Corona-Einschränkungen. Das haben wir dem Verkehrsminister als Grüne auch in wütenden Briefen geschrieben. Der Termin kommt zur Unzeit. Das empfinde ich ein bisschen als Trickserei, das hätte man verschieben müssen im Sinne eines fairen Beteiligungsverfahren für die Bürger.

Geisel: Ich verstehe den Vorwurf der Trickserei nicht ganz. Der Beschluss, den Antrag auf Kapazitätserweiterung zu stellen ist schon sehr alt. Es ist aber ein bisschen misslich, dass die Mühlen der Bürokratie so langsam mahlen, dass jetzt noch einmal neue Gutachten angefertigt werden müssen.

Engstfeld: Das kann man so nicht sagen. Es gab Gutachten, das Ministerium hatte aber Rückfragen. Nicht weil die Mühlen langsam mahlen, sondern weil die Gutachten nicht ausreichend waren und das Ministerium gesagt hat: Liefert nach!

Geisel: Vieles muss heute aus einem anderem Blickwinkel gesehen werden – auch ohne Corona, nämlich vor dem Hintergrund des Klimawandels und der zunehmenden Sensibilität für die globale Erwärmung. Man würde heute andere Prognosen zur Entwicklung des Luftverkehrs machen als noch vor zehn Jahren. Ich glaube, es wird mit Sicherheit nicht 30 Prozent mehr Flugbewegungen geben, wenn dem Antrag des Flughafens stattgegeben wird. Der Kompromiss wäre: Weniger Einschränkungen tagsüber, also vor allem Entwicklungsmöglichkeiten in der Rush Hour; aber dafür striktere Regeln, dort, wo es den Anwohnern wirklich weh tut – bei der Nachtruhe.

Engstfeld: Im Kern bist Du also für den Antrag der Kapazitätserweiterung.

Geisel: Natürlich bin ich dafür, genau mit dem genannten Hintergrund. Es geht um einen fairen Interessenausgleich.

Engstfeld: Das sehe ich anders. Das Mindeste, was man jetzt in dem Verfahren machen müsste, ist ein Moratorium von einem Jahr. Am liebsten würde ich das Thema ganz verschwinden lassen, aber ein Jahr Pause ist das Minimum.

Geisel: Stefan, was soll das bringen? Es geht nur um Zeitgewinnung. Da wird in einem Jahr kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn eintreten. Ein Jahr Moratorium ist nichts anderes als politische Feigheit, eine Entscheidung zu treffen.

Engstfeld: Politische Feigheit kann ich da nicht erkennen. Wenn ich entscheiden müsste, wüsste ich ja, wie ich entscheide. Wir sind am Limit, ein Mehr an Flügen vertragen die Menschen und die Umgebung nicht.

Wir kommen zum Abschluss zum Thema Corona. Herr Engstfeld, Sie haben sich sehr früh für einen Shutdown der Gastronomie und für die Maskenpflicht positioniert. Warum?

Engstfeld: Ich habe immer versucht, mich konstruktiv in der Sache einzubringen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Die Stadt hat gerade einen Zwei-Stufen-Plan vorgelegt. Im Prinzip ist das auch richtig. Bei dem vorgelegten Plan setze ich allerdings ein Fragezeichen. Da gilt die Stufe Gelb bei 30 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner, dann soll verstärkte Kommunikation einsetzen. Dann folgt bei 50 Neuinfektionen direkt Stufe Rot. Ich fände es besser, wenn wir die Ansprache schon früher machen, so bei 20 Neuinfektionen, würde dann die Stufe zwei bei 35 ansetzen und die ersten Maßnahmen ergreifen. Ab 45 gilt die dritte Stufe. Das oberste Ziel muss doch sein: Fälle schnell entdecken, schnell unter Kontrolle kriegen, schnell rückverfolgen.

Geisel: Ich bin kein Virologe und kein Epidemiologe, ich verlasse mich natürlich auf den Rat von Experten. In den Anfangstagen dieser Epidemie gab es bis zu 400 Neuinfektionen, so dass der Wert 50 relativ niedrig, also streng bemessen ist. Es muss immer darum gehen, dass unser Gesundheitssystem damit klar kommt. Da sagen alle, auf deren Urteil ich mich bisher verlassen konnte, dass 50 da ein eher niedriger Wert ist. Noch strenger müssen wir nicht sein. Ich war immer gegen einen Überbietungswettbewerb nach dem Motto „Wer greift am härtesten durch?“.

Engstfeld: Ich bin weder strenger noch bin ich der bessere Virologe. Mein Punkt ist: Ich will nicht, dass wir jetzt riskieren, dass Lockerungen schief gehen. Also sollte man überlegen, ob man die Ansprachen nicht früher machen kann. Deshalb bin ich an der Stelle nur vorsichtiger.

Nun könnte es ja passieren, dass Sie beide nicht Oberbürgermeister werden und eine andere Aufgabe benötigen. Daher die Frage: Wer von Ihnen wäre der bessere Fortuna-Präsident?

Engstfeld (hebt den Finger und lacht): Eindeutig ich. Hertha BSC in Ehren Thomas, aber da bist Du echt raus.

Geisel: Ich bin viel zu demütig, mir ein so hohes Amt anzumaßen.