Die Einflüsterin der Rheinoper
Ute Gherasim erklärt, in wie vielen Sprachen sie soufflieren kann und wie sie es auch schon selbst auf die Bühne geschafft hat.
Wagner-Oper. Die Walküre. Das ist nicht nur Götterdämmerung, Schlachtgetümmel, Donnerhall, das kann auch ein Flüstern sein, ein Handzeichen, ein erhobener Zeigefinger: Wenn die Souffleuse den Sängern ein Zeichen gibt. Eine oft unterschätzte Kraft auf der Bühne, vielmehr darunter. Die Sänger vertrauen ihr und bestätigen gerne, dass die Deutsche Oper am Rhein mit Ute Gherasim einen Schatz in der Kiste hat. Auch und gerade beim Ring am Rhein. Es ist bereits Gherasims zweiter Ring in Düsseldorf und Bayreuth 2018 ihr 16. Sommer.
WZ: Ist es eng in dem Kasten?
Gherasim: Nein, ich fühle mich überhaupt nicht beengt bei der Arbeit, ich vergleiche das immer mit Autofahren. Da fragt ja auch keiner den Fahrer, ob es ihm zu eng auf dem Fahrersitz ist.
Wie wird man Souffleuse, das ist ja kein Lehrberuf?
Gherasim: Meist als Quereinsteiger. Ich habe Theaterwissenschaften studiert, wollte Dramaturgin werden. Das war ich auch einige Zeit. Dann kamen die Kinder, zwei Töchter, beim Wiedereinstieg in den Beruf gab es gerade nichts, aber Wuppertal suchte eine Souffleuse.
Ein typischer Frauenberuf?
Gherasim: Ich kenne wenige männliche Kollegen, einen an der Wiener Staatsoper, aber der ist Dirigent. Vielleicht liegt es daran, dass Frauen leichter Empathie entwickeln, man muss einen Menschen erspüren können. Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Ach, ich hab da sowieso ein Hilfssyndrom…
Fortbilden muss man sich auch selbst?
Gherasim: Man lernt nur, wenn man unterwegs ist. Die guten Lehrer, das sind die Sänger und Sängerinnen. Von ihnen kommen oft wertvolle Tipps. Es ist ein Geben und Annehmen. Sogar der Atem der Sänger spielt für mich eine große Rolle. Ich atme immer mit.
In welchen Sprachen soufflieren Sie und in welcher am liebsten?
Gherasim: Ich souffliere italienisch, französisch, englisch, russisch, tschechisch. Am liebsten? Russisch - nein. Italienisch ist toll - französisch auch…
Was unterscheidet das Soufflieren an der Oper von dem im Theater? Das Orchester kann ja nicht einfach innehalten, wenn der Sänger einen Hänger hat?
Gherasim: Beim Theater kann man improvisieren, einen Hänger sogar ins Stück einflechten. Das geht bei der Oper nicht. Da muss man das Bühnengeschehen erspüren, am besten, bevor es geschieht. Über einen Monitor habe ich Kontakt mit dem Dirigenten, den muss ich sehen. Ich gebe Handzeichen, auch Stoppzeichen. Der erhobene Zeigefinger bedeutet: noch ein Takt. Ich muss ja gegen das Orchester ansprechen, besonders schwierig bei Wagner. Da lesen die Sänger auch von meinen Lippen ab. Soufflieren ist nicht immer Flüstern, es kann auch ein Schrei sein.
Wann wird’s schwierig?
Gherasim: Wenn die Sänger zu weit weg sind. Das können schon mal 25 Meter sein. Im ersten Impuls beugt man sich dann aus dem Kasten, um näher dran zu sein. Aber das ist ein Fehler. Besser ist, den Kasten als Trichter zu benutzen.
Eine Souffleuse kann einen Sänger sicherer machen - aber auch verunsichern. Woran merkt man das, und wie erreichen sie das eine und vermeiden das andere?
Gherasim: Das ist es, was ich mit Empathie meine. Ich spüre mich in die Sänger hinein. Wenn einer oder eine anfangs unsicher ist, kann ich ihn unterstützen, bis ich sehe: Jetzt ist er im Stück. Das funktioniert scheinbar sogar telepathisch. Katharina von Bülow, eine unserer Walküren, musste mal kurzfristig auf einer anderen Bühne einspringen und erzählte mir, dass sie sich gewünscht hätte, ich wäre dabei gewesen. Dann hätte sie einfach an mich gedacht — und alles lief gut.
Und, erinnern Sie sich an Situationen, in denen nicht alles so gut lief?
Gherasim: Eigentlich nicht. Und wenn, dann waren’s eher Äußerlichkeiten. Einmal ist ein Tenor auf der Bühne ausgerutscht, landete mit einem Bein in meinen Kasten und in meine Rippen. Ich konnte gar nichts mehr sehen. Da kann einem schon die Luft wegbleiben. Ein anderes Mal, in „La Boheme“, hat eine Sängerin einen liegengebliebenen Lockenwickler von der Bühne in meinen Kasten gekickt wie ein Geschoss, das hätte ins Auge gehen können. In „Parsifal“ in Bayreuth musste ich mal einen Speer aus dem Kasten schleudern. Ich hab auch schon Flaschen aufgefangen.
Da kann Sie ja wohl heute kaum noch etwas aus der Ruhe bringen?
Gherasim: Doch! Wenn einer nach der Vorstellung sagt: Heute hast Du ja nichts zu tun gehabt, lief doch alles gut.
Und da war nie der Wunsch, aus dem Kasten zu springen auf die Bühne? So wie Tauber der Tenor in Richard Strauss’ „Capriccio“?
Gherasim: Hab ich schon erlebt, im „Schlauen Füchslein“. Bei den Proben soufflierte ich auf der Bühne. Das gefiel dem Regisseur, der wollte das so lassen und hat mich inszeniert. Dafür bekam ich dann auch noch ein tolles Pierrot-Kostüm.
Das Leben kann auch eine Bühne sein. Von wem lassen Sie sich was sagen, wenn Sie mal einen Hänger haben?
Gherasim: Von niemandem! Doch, von meinen Töchtern. Das ist ja auch so eine Art Vertrauenssache.