„Gefahr der Deindustrialisierung ist real“ IHK-Gipfel: Firmen sind in Sorge
Düsseldorf · Energiekrise, Lieferkettenprobleme, fehlende Rohstoffe, Fachkräftemangel und Investitionen in die Energiewende – die Probleme für die Industrie türmen sich. Vor allem der Schock bei Preisen für Strom und Gas sorgt für existenzielle Probleme.
Die Sorgen vor einer Deindustrialisierung wachsen, ganz besonders in Düsseldorf. Denn die Landeshauptstadt ist nach Köln größter Industrie-Standort in NRW. Dessen wirtschaftliche Bedeutung ist groß. Rund 100 000 Jobs in der Stadt hängen von ihm ab, wie Andreas Schmitz, Präsident der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf, am Dienstagabend betonte. Die Kammer hatte kurzfristig zu einer Art Krisengipfel in Form von Podiumsdiskussionen geladen. Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verbänden gaben Antworten auf Fragen zur Zukunft des Standorts.
Sehr deutlich wurde dabei das Ausmaß der Krise. Laut Oberbürgermeister Stephan Keller handelt es sich „nicht um eine konjunkturelle Delle, sondern um eine existenzbedrohende Lage“. Er berichtete von Erfahrungen der Wirtschaftsförderung, dass mehr und mehr in der Stadt ansässige Unternehmen Investitionen hinterfragen, verschieben oder sogar überlegen, ihren Standort zu verlagern. Der Grund aus Kellers Sicht: Es fehle ein klarer Fahrplan, wie die Verfügbarkeit von Energie in den nächsten Jahren gewährleistet werde könne. „Die Gefahr der Deindustrialisierung ist real, wir wollen aber nach Kräften dagegen halten.“
Auch Daniel Kleine, President Henkel Germany, mahnte vor allem sichere Rahmenbedingungen an. Schon jetzt bekämen Industrieunternehmen von Energieversorgern zum Teil keinen Vertrag mehr angeboten. Da gehe es also noch gar nicht um die Preise. „Von Geld kann man nichts mehr kaufen.“ Zudem beschreibt er einen Zusammenbruch der Wertschöpfungsketten in ungeahntem Ausmaß. Teekanne-Geschäftsführer Frank Schübel sprach von einem „Überlebenskampf von Quartal zu Quartal.“ Ditmar Schulz, Kaufmännischer Leiter bei der Papierfabrik Julius Schulte Söhne, führte aus, wie sein Unternehmen zurzeit „nur auf Sicht“ fahren könne und man den Energiepreisen hinterherlaufen müsse. Im Gespräch kündigte Schulz zudem zehn bis 20 Prozent Kurzarbeit für November und Dezember in seiner Fabrik an.
Forderung nach einem engen Schulterschluss in Düsseldorf
Auch Jutta Zülow, Vorsitzende der Unternehmerschaft Düsseldorf, identifizierte die Unzuverlässigkeit bei der Energieversorgung als drängendstes Problem, der Ausbau der Erneuerbaren Energien reiche nicht aus. „Bei allem Ehrgeiz für eine gesunde Umwelt, wir müssen unsere Arbeitsplätze erhalten.“ Sie halte es für nötig, sämtliche Potenziale zur Energieversorgung zu nutzen, zum Beispiel auch Steinkohle. Zülow sehe die Gefahr sozialer Unruhen, ein Wohlstandsverlust von 30 bis 40 Prozent sei im nächsten Jahr zu erwarten.
Doch was lässt sich angesichts dieser globalen Krise vor Ort in einer Kommune bewegen? Zülow forderte zum Beispiel einen engen Schulterschluss in Düsseldorf mit dem Oberbürgermeister vorweg, um politischen Druck auf Land und Bund auszuüben. Das enge Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Interessenvertretungen wurde übrigens sowohl von Schmitz als auch Teekanne-Geschäftsführer Frank Schübel als einmalig und große Stärke beschrieben. Sigrid Wolf, regionale DGB-Geschäftsführerin, warb für ein gemeinsam zu entwickelndes Leitbild für die Zukunft guter industrieller Arbeitsplätze. Als zentrale lokale Aufgabe zum Erhalt der Industrie in Düsseldorf identifizierte Schmitz, dass Grundstücke nach Aufgabe einer Produktionsstätte nicht dem Wohnungsbau anheimfallen. Ein entsprechendes Bekenntnis zum Masterplan Industrie samt verankerter Flächengarantie gaben einhellig die führenden Fraktionsvertreter Rolf Tups (CDU) und Norbert Czerwinski (Grüne) sowie Stellvertreterin Sabrina Proschmann (SPD) und Stellvertreter Mirko Rohloff (FDP). Mit Blick auf das Aus von Vallourec in Rath versicherte man Durchhaltewillen, auch eine länger brachliegende Fläche weiter für die Industrie zu reservieren. Das sei zudem grundsätzlich für die industriellen Nachbarn im Hinblick auf Verlässlichkeit von hoher Bedeutung, ergänzte Kleine, da davon bestimmte Genehmigungen abhängig seien. Mit Blick auf die in Düsseldorf besonders knappen Flächen empfahl Schmitz zudem, nicht in den Wettbewerb mit Nachbarkommunen um Grundstücke und Ansiedlungen zu treten, sondern zusammenzuarbeiten. Bei Teekanne ist das mit einer Erweiterung von Düsseldorf über die Stadtgrenze nach Neuss geglückt, wie Frank Schübel ausführte. Die Gewerbesteuer wird zwischen den Kommunen aufgeteilt. Tups sagte, dass er sich dieses Modell auch mit anderen Kommunen, etwa Meerbusch, vorstellen könne. Czerwinski kritisierte allerdings auch, dass regionale Kooperationen in Köln und Bonn besser laufen.
Im Hinblick auf mögliche Erweiterungspläne von Unternehmen forderte Teekanne-Chef Schübel von der Stadt mehr Flexibilität und schnellere Prozesse bei Erweiterungsvorhaben auf Nachbargrundstücken, aber auch mehr Subvention für Investitionen in Nachhaltigkeitsprojekte. Ditmar Schulz von Julius Schulte Söhne erinnerte zudem an die Bedeutung einer guten Erreichbarkeit des Fabrikgeländes mitten in der Stadt. „Wir brauchen Unterstützung für die logistischen Wege.“