Kommissarin aus Düsseldorf „Schulen sind kein geschützter Raum“
Düsseldorf · Die Werstener Hauptkommissarin Petra Reichling diskutierte in der Stadtteilbücherei über Straftaten auf dem Schulhof.
Eigentlich wollte Petra Reichling das Buch, dass sie jetzt zu einer Lesung in die Stadtteilbücherei Wersten mitbrachte, gar nicht schreiben. „Aber das Thema ist zu wichtig“, stellte sie vor etwas mehr als 40 Gästen fest. Also setzte sich die Polizistin hin, recherchierte bundesweit und verfasste schließlich „Tatort Schulhof“, ein Buch über Straftaten an Schulen.
Anhand oft schockierender und realer Fallgeschichten wird offenbart, was beinahe täglich auf deutschen, auch auf Düsseldorfer Schulhöfen und in Klassenräumen passiert und häufig nicht publik wird. „Manchmal ist es für die Polizei schwierig, Kontakt zu Schulleitungen und Lehrern aufzubauen, weil die mit der Problematik überfordert sind. Manche Schulen ignorieren die Realität und behaupten, dass es bei ihnen keine Straftaten gebe“, sagte Reichling. „Einiges, was bereits strafrechtliche Relevanz hat, wird als ‚Jugendsünde‘ abgetan, oft mit einem ‚Stell Dich nicht so an’. Aber die Folgen für die Opfer, etwa durch ein Leben in permanenter Angst, sind nicht abzusehen. Man muss jeden Einzelfall ernst nehmen.“
In ihrem bereits 2018 erschienen Buch, das am Donnerstag durch die Amoktat eines 17-Jährigen an einem Wuppertaler Gymnasium hochaktuelle Brisanz erhielt, berichtet die Polizeihauptkommissarin von Diebstählen, Nötigung, Bedrohung, Erpressung, Mobbing und Gewalt – bis hin zu Vergewaltigungen. Von Kriminalität sei fast jede Schule betroffen, unabhängig von der Schulform oder dem sozialen Hintergrund der Kinder. „Dass Schüler Messer mit in die Schule bringen, um sich verteidigen zu können, ist fast normal“, konstatierte die Polizistin. „Aber Messer werden in Stress-, in Konfliktsituationen dann auch eingesetzt.“
Zum Lesen kam Reichling in der Werstener Stadtteilbücherei kaum, vielmehr entwickelten sich die zweieinhalb Stunden zu einer Art Beratungs- und Informationsgespräch auch über Problemfälle wie K.-o.-Tropfen, häusliche Gewalt, Fachkräftemangel bei der Polizei und die Strafmündigkeit ab dem 14. Lebensjahr.
Reichling plädierte für jede Menge Präventionsmaßnahmen. „Ich wäre die Erste, die an einem runden Tisch zur Gewaltprävention an Schulen mit allen möglichen Beteiligten sitzt“, sagte die 55-Jährige: „Doch so etwas gibt es in Düsseldorf nicht.“ Immerhin helfe der „Kriminalpräventive Rat“ beratend und unterstützend.
Reichling erläuterte auch die sogenannte Garantenstellung der Lehrer. Sie seien dadurch verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bestimmte Tatbestände nicht erfüllt würden. Lehrer können demnach, ebenso wie Eltern, Polizisten oder Feuerwehrleute, wegen Unterlassung strafrechtlich belangt werden.
Dabei könnten Lehrer und Schulleitungen nicht immer so handeln, wie es angeraten und sinnvoll wäre. „Gibt es den Verdacht, dass sich im Rucksack eines Schülers Drogen oder Messer befinden, dürfen weder Lehrer noch Schulleitung nachschauen. Das wäre nämlich eine Durchsuchung, und die unterliegt dem Richtervorbehalt. Durchsuchungen dürfen nur mit richterlicher Genehmigung erfolgen“, so Reichling. Auch die Polizei dürfe nur, wenn „Gefahr im Verzug“ sei, ohne Durchsuchungsbeschluss aktiv werden.
Die Hauptkommissarin versuchte auch, Vorbehalte gegenüber der Polizei zu entkräften. „Die Polizei ist nicht nur dazu da, zu ermitteln und zu strafen. Wir leisten auch Hilfestellung und beraten“, so Reichling, die auch in der Lehrerfortbildung aktiv ist. Es gebe gute Gewalt-Präventionsprogramme, sagte sie. Und auch realitätsbezogene Tipps gab es: „Fehlverhalten muss zeitnah sanktioniert werden, damit auch klar ist, für welche Straftat man bestraft wird“, forderte Reichling. Man müsse mit aller Konsequenz gegen die Täter vorgehen und dürfe die Opfer nicht allein lassen.
Über allem stehe aber: Kinder brauchten liebevolle Zuneigung, Sicherheit in der Familie und einen Rückzugsort, an dem alle mögliche schulische Unbill keine Rolle spiele.