Tatort: Kontrollverlust in künstlichen Welten Frankfurter „Tatort“-Team harmoniert in einem etwas angestrengt konstruierten Fall

Köln/Frankfurt · Kunst, künstliche Welten und die Anmaßung, einen Menschen nach dem eigenen Willen zu formen: Die Frankfurter „Tatort“-Episode „Kontrollverlust“ wirft spannende psychologische und ethische Fragen auf, ist aber zum Teil widersprüchlich konstruiert.

Am Dienstagabend läuft der nächste Tatort im Fernsehen.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

So ist es ganz gut, dass der Film von Elke Hauck (Drehbuch, Regie) und Sven S. Poser (Drehbuch) noch nicht der letzte Fall für Margarita Broich und Wolfram Koch ist, die in dieser Woche ihren Abschied als „Tatort“-Kommissare verkündet hatten.

Gleich zu Beginn des Weihnachts-„Tatorts“ rückt eine sonderbare Mutter-Sohn-Beziehung in den Mittelpunkt. Erst vollführt die Kamera eine von einem Klopfgeräusch und einem Schlaflied-ähnlichen Gesang begleitete Wohnungsbesichtigung im Dämmerlicht. Dann öffnet sie an der Seite der Künstlerin Annette Baer (Jeanette Hain) die Tür zum Zimmer ihres Sohnes Lucas (Béla Gábor Lenz). Dort hockt der junge Mann mit blutverschmiertem T-Shirt und tritt in kontrolliertem Rhythmus gegen irgendein Möbelstück, womit die Herkunft des Klopfens geklärt wäre. Cara sei tot, aber er habe ihr nichts getan, beteuert Lucas, der auf seine Mutter nicht gut zu sprechen ist: „Warum bist du nicht da, wenn ich dich brauche?“, jammert er, ehe er ihr die Tür vor der Nase zuschlägt.

Das Opfer ist die 24 Jahre alte Cara Mauersberger (Viktoria Schreiber), die erstochen in ihrer Wohnung aufgefunden wird. Cara ist eine Bekannte von Lucas aus der Gamingszene. Sie kommentierte ihre Spiele live im Netz und wurde für ihre feministische Haltung angefeindet. Eine mögliche weitere Spur deutet bereits die „Aufwachen“-Parole auf dem T-Shirt von Hausverwalter Leon Hamann (Franz Pätzold) an, der Caras Leiche gefunden hat. Leon stammt wie die junge Influencerin aus dem Osten und hat es ihr übel genommen, dass sie die Heimat verließ – etwas kurios, wenn man bedenkt, dass er nun selbst im Westen lebt. Ost-West-Verhältnis, Sexismus – die Aspekte sind hier leicht durchschaubare Ablenkungsmanöver.

Hörenswert ist die vom HR-Symphonieorchester eingespielte Musik, die sich nicht pathetisch in den Vordergrund drängt. Sehenswert ist neben Jan Veltens ruhiger, konzentrierter Bildgestaltung außerdem, wie Jeanette Hain und Béla Gábor Lenz die spannungsreiche Symbiose von Mutter und Sohn spielen. Annette Baer erfüllte sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Samenspende, um unabhängig zu bleiben von einem männlichen Erzeuger. Die eigens von der Künstlerin Birgit Brinkmann für den Film hergestellten Homunkulus-Figuren dienen als Metapher für die Anmaßung, einen Menschen ganz nach dem eigenen Willen zu formen. Auch die Computerspiele, deren Design der zeichnerisch begabte Lucas entwirft, weisen auf das Thema künstliche Welten hin.

Aber erzählerisch ist der Mutter-Sohn-Konflikt zum Teil schwer nachvollziehbar. Denn vom „Kontrollfreak“ Annette ist nicht viel zu erkennen, zumal sie mitten in der Vorbereitung ihrer neuen Ausstellung steckt. Während Lucas anfangs seine Vernachlässigung durch die Mutter beklagt, wirft er ihr am Ende vor, er habe „so viel eigenes Leben wie deine hohle Gips-Armee hier“. Beides erscheint nicht gerade einleuchtend. Und die Verbindung zwischen Mutterschaft per Samenspende und Kontrollzwang ist auch eher fragwürdig. Immerhin: Lucas' Jähzorn, der ihn – erst recht nach einem zweiten Mord – verdächtig erscheinen lässt, sorgt für die notwendige Krimi-Spannung.

In diesem etwas angestrengt konstruierten Fall bildet das harmonierende Ermittlerteam einen angenehm konventionellen Gegenpol, wieder mit Zazie de Paris als Fanny, deren Bistro auch als Handlungsort miteinbezogen wird. Kommissarin Anna Janneke (Margarita Broich) ist diesmal neben dem stets fleißigen Jonas Hauck (Isaak Dentler) die treibende Kraft, denn die professionelle Neutralität ist beim Kollegen Paul Brix (Wolfram Koch) angesichts der attraktiven Künstlerin leicht eingetrübt. „Ich würde schon noch gerne mal die Kontrolle verlieren – mit jemand“, sagt Brix, aber so ist der Episodentitel dann doch nicht gemeint.

„Tatort – Kontrollverlust“, ARD, 26. Dezember, 20.15 Uhr