Religion und Wissenschaft Wunder gibt es immer wieder

DÜSSELDORF · Religion braucht Wunder. Doch gibt es sie? Und wenn ja, was ist dann mit den Naturgesetzen?

Ob das Kleine nun in einer Krippe oder in einem ganz normalen Kinderbettchen liegt - eine Geburt hat so oder so etwas von einem Wunder.

Foto: dpa/Friso Gentsch

29 Prozent der Deutschen glauben, dass Gott auch heute noch Wunder vollbringt. Das war das Ergebnis einer vor drei Jahren veröffentlichten Umfrage des Forschungsinstituts „Insa-Consulere“ im Auftrag der evangelischen Nachrichtenagentur „idea“. 45 Prozent gaben dagegen an, nicht an göttliche Wunder zu glauben, der Rest war unentschlossen. Für die Erhebung wurden den Angaben zufolge  2036 Erwachsene befragt.

Die christliche Lehre, dass Gottes Sohn von einer Jungfrau geboren wurde, zählt ganz sicher zu dem, was man Wunder nennen würde. Das ist lange her. Doch zum Beispiel in Neapel sollen auch heute noch immer wieder Wunder geschehen. Dort werden im Dom zwei geheimnisvolle Fläschchen aufbewahrt. Angeblich enthalten sie das getrocknete Blut des heiligen Januarius. Dreimal im Jahr trägt der Erzbischof die Reliquie zu den Gebeinen des Märtyrers, dreht und wendet sie. Wechselt die Farbe des Blutes von braun zu rubinrot und verflüssigt sich dieses, so gilt das als Zeichen, dass der nahe gelegene Vesuv ruhig bleiben wird. Längst haben Chemiker das nachgespielt – unter dem Motto „Das Blutwunder von Neapel - selbst gemacht.“

„Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“, ließ Goethe seinen Faust sagen. Tatsächlich gehören Wunder fest zum Repertoire etwa der römisch-katholischen Kirche, wenn diese die Heiligsprechung eines Menschen daran knüpft, dass dieser als Märtyrer für seinen Glauben gestorben ist oder Wunder bewirkt hat, insbesondere Heilungswunder.

Wunder – das ist die Überschreitung der Naturgesetze durch göttlichen Eingriff. Das Christentum und andere Religionen zeugen von zahlreichen Wundern. Da wird Wasser in Wein verwandelt, Blinde können wieder sehen, Jesus ersteht von den Toten auf. Skeptiker wie der schottische Philosoph David Hume, halten dagegen. Hume spottete im 18. Jahrhundert: „Wer an Wunder glaubt, der ist sich eines fortgesetzten Wunders in seiner eigenen Person bewusst, das alle Prinzipien seines Verstandes umkehrt und ihn bestimmt, das zu glauben, was der Erfahrung am meisten widerstreitet.“

Und sein niederländischer Philosophenkollege Baruch de Spinoza  merkte schon hundert Jahre zuvor an: „Während der Einsichtige die Macht und Größe Gottes überall dort am eindringlichsten erkennt, wo er das Walten der großen unabänderlichen Gesetze des Weltlaufs verfolgen kann, glaubt die Menge, dass sich Gott gerade dort offenbart, wo der gewöhnliche Naturablauf durch Wunder durchbrochen wird.“

Wenn der Schöpfer die Naturgesetze gemacht hat – sollte man da nicht erwarten, dass er auch deren Einhaltung garantiert? Darf er sie selbst missachten? Und wenn er sie missachtet, nach welchen Regeln handelt er (oder sie) dann eigentlich? Wieso schaut Gott weg angesischts unermesslichen Leids, verursacht etwa durch  Naturkatastrophen oder durch Menschenhand?

Papst Johannes Paul II., der 1981 ein Attentat überlebt hatte, führte seine Rettung auf einen Eingriff „unserer lieben Frau von Fatima“ zurück: „Eine mütterliche Hand hat die Kugel gelenkt.“ Der britische Atheist Richard Dawkins wendet ein: Es müsse schon die Frage erlaubt sein, warum die Jungfrau Maria die Kugel nicht so gelenkt habe, dass sie den Papst völlig verfehlte. Und auch dem Chirurgenteam habe damals gewiss ein Teil des Verdienstes gebührt.

Kirchenvater Augustinus sagte schon vor 1600 Jahren: „Wunder geschehen nicht im Gegensatz zur Natur, sondern im Gegensatz zu dem, was wir von der Natur wissen.“ Das ist alles andere als ein Plädoyer für Wunder. Bedeutet es doch: Je mehr Lücken die Wissenschaft schließt, umso weniger Raum bleibt für Wunder.

Aber kann nicht schon das, was streng im Rahmen der Naturgesetze abläuft, Wunder sein? Zwar darf der Begriff auch hier nicht überstrapaziert werden. Das Wunder von Bern etwa, der WM-Sieg der deutschen Fußballer von 1954, war für die unterlegenen Ungarn allenfalls ein blaues Wunder.

Doch ganz unabhängig von der Perspektive ist doch schon unsere Welt selbst ein Wunder: Da leben wir auf einer rotierenden Kugel, die mit 107.000 Stundenkilometern einen atomaren Feuerball umkreist – müssten wir uns nicht täglich darüber „wundern“? Oder nehmen wir das Wunder des Lebens auf dieser durchs All rasenden Kugel: Manchmal bedarf es einer Geburt, um uns dieses ins Bewusstsein zu bringen. Für viele ist Christi Geburt ein solcher Anlass. Doch auch die Geburt eines einfachen Menschenkindes ist doch schon ein Wunder.

Erinnern Sie sich an Katja Ebstein? Die sang 1970: „Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehen.“