Stadt-Teilchen Ich bin fremdgegangen mit dem Herbst
Düsseldorf · Früher war der Frühling meine große Liebe, jetzt bin ich fremdgegangen. Der Herbst am Kaiserteich und Ständehaus kann so schön sein.
Ich muss etwas gestehen. Ich bin fremdgegangen. Nicht einfach so, wie es so oft passiert, wie es so vielen passiert, die verführt werden von der Magie des Moments, getrieben von kurzfristig aufschäumenden Hormonen. Nein, ich bin mit allen Sinnen fremdgegangen, habe mich sehr bewusst hingegeben und bin nun verfallen. Und mal ganz ehrlich, ich genieße es.
Eigentlich bin ich ja eine treue Seele. Wer einmal mein Herz erobert hat, darf lebenslang drin wohnen. Aber dann passieren Dinge, die kein Mensch voraussehen kann, die einfach so passieren. Wer wäre ich, mich da zu verweigern, wenn der Welten Lauf ausgerechnet meinen Weg kreuzt. Genau deshalb muss ich nun leider meiner alten Liebe die Räumungsklage zustellen lassen. Sie muss raus aus meinem Herzen.
Die alte Liebe, das war immer der Frühling. Wie ich das geliebt habe, wenn es im März nach klirrend kalten Nächten auf einmal knospte, wenn überall aus der Erde frisches Grün, frisches Bunt spross und sich ein Farbenmeer ergoss vor meinem Auge, wenn Vögel sangen und Bienen das Summen übten. Ich spürte dann jedes Mal, wie tot geglaubte Gefühle den Betrieb in meinen Blutbahnen belebten, wie Zipperlein verschwanden und einem Gefühl von Leichtigkeit Platz machten. Ach, war das schön, als der Frühling meine große Liebe war.
Leider muss der Frühling nun ausziehen, denn es muss Platz geschaffen werden für meine neue Liebe, den Herbst. Ja, den Herbst. Genau die Jahreszeit, die ich bislang stets mit Moder, Verwesung und diesigem Wetter assoziierte, die mich nervte, weil es so früh dunkel wird, weil man die dicken Jacken wieder aus dem Schrank kramen und sich gedanklich schon mal um Weihnachtsgeschenke kümmern muss.
Seit Dienstag ist das alles anders. Da bin ich, wie der Engländer sagen würde, in Liebe gefallen. Oh, Herbst, du holde, du reiche, du anmutigste aller Jahreszeiten. Dein ist mein ganzes Herz. Du bist mein Reim auf Schmerz.
Oh, Entschuldigung, dass ich mich eben beim Reimschema abgenudelter deutscher Schlager bedient habe. Das zeigt aber, wie tief er sich eingebohrt hat, der Herbst, wie bewegt ich tief drinnen bin.
Es geschah im Park vor dem Ständehaus, wo Kaiserteich und Schwanenspiegel die Düssel gen Rhein geleiten, wo mitten in der pulsierenden Großstadt Platz ist für zwei akzeptabel große Gewässer, die das von Trubel geplagte Gemüt mit wundersamer Weite füttern. Wäre ich ein technokratischer Schwärmer, würde ich vielleicht von Umweltspuren für die Seele sprechen, aber als achtsamer Mann habe ich es nicht so mit schiefen Begriffen, die den Begriff Umwelt missbrauchen, um die Freiheit von Belästigung zur Maßnahme zu adeln.
Ich wandelte also um den Kaiserteich und stattete Vater Rhein einen Besuch ab. Ja, so heißt sie, die Brunnen-Skulptur vor dem alten Landtag. Eine Bekannte hatte die kürzlich fälschlich als Meeresgott Neptun identifiziert, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass wir des nachts halbtrunken vorbeikamen und das winzig kleine, sehr, sehr versteckt auf der Rückseite ganz, ganz unten am Sockel angebrachte Schildchen mit der Bezeichnung „Vater Rhein und seine Töchter“ nicht entdeckten. Stattdessen wunderten wir uns, dass die Schilder, auf denen in Augenhöhe eines Vierjährigen „Kein Trinkwasser“ steht, so sehr viel prominenter angebracht sind. Wir wussten sofort, dass dieses Denkmal nicht „Kein Trinkwasser“ heißt, malten uns aber aus, wie, sagen wir mal, japanische Touristen daheim Bilder herumzeigen vom Düsseldorfer Denkmal „Kein Trinkwasser“.
Am Dienstag entdeckte ich aber nach ein bisschen Suchen und tiefem Herabbeugen die richtige Bezeichnung und konnte Vater Rhein in seiner ganzen Imposanz ehren. Ich schaute hoch zu ihm, in sein Gesicht, und auf einmal sah ich, wie perfekt er eingebunden ist in die Szenerie. Geht man ein paar Schritte zurück Richtung Ständehaus, dann bildet Vater Rhein den Vordergrund für eine höchst imposante Kulisse. Im Sonnenschein dahinter lag das Gap 15. In der Sonne.
Ich muss sagen, dass ich normalerweise kein großer Freund von Hochhäusern bin, das Mannesmannhochhaus mal ausgenommen. Aber so wie sich das Gap 15 nun präsentierte vor knallblauem Himmel, das beeindruckte mich nachhaltig. Ich nahm dann noch eine seitliche Position ein und hatte plötzlich auch das LVA-Hochhaus mit im Visier. Vorne Vater Rhein, hinten die Glas-und -Betonriesen, und dazwischen machte sich der Herbst breit mit seiner anmutigen Buntheit der Blätter, mit betörenden Reflexionen auf dem Wasser, die das Rundherumgeschehen auf wundersame Weise vervielfältigten.
Ich beschloss, das Wasser zu umwandern. An der Elisabethstraße fand ich eine Stelle, an der ich durch tief herabhängende Blätter den Rheinturm sehen konnte. Mal konnte ich ihn sehen, mal verdeckten ihn die Blätter. Ein tolles Vexierbild mit wunderbaren Variationen.
Ein Vogel fuchtelte mit seinem Gefieder, wahrscheinlich, um eben dieses zu trocknen. Es hatte etwas von Anmut, dieses Bild. Vogel vor Blättervorhang und Rheinturm und Wasser. Ich fürchtete kurz, ich könnte vor Rührung zu weinen beginnen, bekam meine Emotionen dann aber doch wieder rasch in den Griff. Oh, Herbst, du großer Inszenator! Welch ein Schauspiel bietest du mir?
Mein Blick wurde weich, und ich begann, mich für die tollen Formen und Farben zu interessieren, die der Herbst den Blättern gibt. Wie er das hinkriegt, dass jedes Blatt, das noch hängt, so glüht in der Sonne. Selbst wenn die Blätter gefallen sind, gleichen sie immer noch kleinen Kunstwerken, komplett durchdacht. Zeugen einer großen Idee. Abbild von etwas, das wir Menschen nur schwerlich zu begreifen wissen. Ein festgehaltener Moment von etwas Höherem.
Am Schwanenspiegel hockte ich mich dorthin, wo früher die Bötchen verliehen wurden, wo man auch mal einen Kaffee trinken konnte. Ein wunderbarer Platz. Warum das niemand hinbekommt, dass diese Kultur wiederbelebt wird, bleibt eine der großen Fragen dieser Stadt. Niemand müsste mehr aus Düsseldorf heraus pendeln, wenn es hier so schön wäre. Das käme einem großen Beitrag in die Umweltkasse gleich.
Ich bestaunte das Licht, das mir die Jahreszeit an diesem Punkt kredenzte. Es war Nachmittag, und das Bild hatte etwas von jener warmen Schärfe, die ich sonst nur aus Norwegen nahe des Polarkreises kenne. Tolle Konturen, beeindruckende Kontraste, große visuelle Wucht.
Und dann war da wieder das Hochhaus Gap 15, das im Schwanenspiegel das tat, was des Teiches Namen verheißt: Es spiegelte sich. Es legte eine Spur aus Silber übers Wasser, weil die Sonne die westliche Wölbung des Gebäudes perfekt traf. Was für ein Bild. Das hohe Haus, der blaue Himmel, die bunten Bäume, der silberne Spiegel. Was kann eine Seele mehr wollen?
Doch, das Fremdgehen hat sich gelohnt. Es tut mir sehr leid, lieber Frühling, aber der Herbst und ich sind nun ein Herbst und eine Seele. Wir haben am Dienstag unsere mentale Blutsbrüderschaft besiegelt, sind einen Bund eingegangen, der lange halten wird. Also lange im Sinne von mindestens bis zum März.