Geben und Nehmen Wo bedürftige Menschen zu Kunden werden

Düsseldorf · „Der Laden“ des Vereins „Flingern mobil“ ist seit 15 Jahren ein Vorzeige-Projekt für ein unverzichtbares Geben und Nehmen. Doch selbst die Initiatoren möchten, dass die Einrichtung an der Ackerstraße überflüssig wird. Das könnte aber noch ein Weilchen dauern.

Diakon Klaus Kehrbusch ist Vorstandsvorsitzender des Vereins „Flingern mobil“ und Initiator des Ladens für Bedürftige.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

Vor 15 Jahren eröffnete der Verein „Flingern mobil“ der Katholischen Kirche Flingern/Düsseltal seinen Laden an der Ackerstraße 28. „Flingern mobil“ bezeichnet sich selbst als „Die Helfer von nebenan. In ganz Düsseldorf“. Im Laden können Bedürftige Lebensmittel und Artikel für den täglichen Gebrauch zu sozialen Preisen kaufen. Das Projekt lebt auf vielen Ebenen vom Geben und Nehmen der Menschen. Ein Gespräch mit dem Initiator und Gründer, Diakon Klaus Kehrbusch, der auch Vorstandsvorsitzender von „Flingern mobil“ ist.

Herr Kehrbusch, wie kam es zur Idee für den Laden?

Klaus Kehrbusch: Bei uns an den Pfarrhaustüren klingelten Leute, die uns sagten, dass sie kein Geld mehr hatten und ihr Kühlschrank leer sei. Das war vor allem zum Monatsende hin der Fall. Wir fingen an, Lebensmittelpakete für die Menschen zu packen. Doch das war keine Lösung. Von der Caritas in der Schweiz kannte ich das Konzept des Ladens für Bedürftige.

Was ist daran besser als das Verschenken von Lebensmittelpaketen oder auch die Essensausgabe der Tafeln?

Kehrbusch: Wir sehen die Menschen, die in den Laden kommen, als zahlende Kunden und nicht als Almosenempfänger.

Wer kam damals, wer kommt heute?

Kehrbusch: Zunächst kamen Menschen, die hier in der Nähe wohnen, Einzelpersonen ebenso wie Familien, Haushalte eben, in denen Kinder leben. Heute ist es eine bunte Mischung, jeden Alters, jeder Religion. Bei uns hat aber auch, wie bei den Tafeln, die Zahl der Älteren zugenommen.

Wie viele Kunden haben Sie?

Kehrbusch: Wir haben über 400 Kundenkarten ausgegeben. Auch eine Familie hat nur eine Karte, da können aber vier, fünf Personen dranhängen.

Wer darf bei Ihnen einkaufen und wo leben die Menschen?

Kehrbusch: Wer uns den Nachweis der Bedürftigkeit liefert, über Transferleistungen wie den Hartz-4-Bescheid, bekommt eine Kundenkarte. Wir versorgen damit arme Menschen aus Flingern und Düsseltal. Mehr schaffen wir nicht, auch wenn wir natürlich einen Einzelnen nicht abweisen würden.

Sie sind für den Betrieb auf Spenden angewiesen?

Kehrbusch: Ja, auf vielfältige Weise. Auf Ehrenamtliche, die uns Zeit spenden, auf Sach- und Lebensmittelspenden und Geldspenden. Der Laden macht pro Jahr einen fünfstelligen Verlust, ohne die Spenden gäbe es ihn nicht mehr. Und wir konnten ihn nur halten, weil sich das Haus, in dem sich das Ladenlokal befindet, im Besitz der Kirche ist.

Woher kommen die Spenden?

Kehrbusch: Wir bekommen die Lebensmittel hauptsächlich von kleineren inhabergeführten Geschäften. Da die Nachfrage aber größer ist, müssen wir Sachen zukaufen. Dazu brauchen wir die Geldspenden. Wir werden dabei von Menschen aus Flingern und Düssetal finanziell unterstützt, die sich für die Arbeit von Flingern mobil und für die Menschen, denen wir helfen, sehr interessieren.

Und kürzlich bekam Flingern mobil sogar eine Großspende.

Kehrbusch: Ja, eine unserer engagierten Ehrenamtlerinnen hatte Kontakt zur Bürgerstiftung Düsseldorf aufgenommen. Wir brauchten für den Transport der Lebensmittelspenden dringend ein neues Kühlfahrzeug. Uns fehlten 25 000 Euro. Durch die Spende der Bürgerstiftung und die Förderung mit 12 000 Euro durch die Katholische Kirche Flingern/Düsseltal konnten wir das Fahrzeug kaufen.

Nun geht es im Laden nicht allein um das materielle Geben und Nehmen. Es gibt weitere Aspekte.

Kehrbusch: Ja, unser Laden ist auch ein Ort der Begegnung und der Kommunikation. Hier kann man nicht nur einkaufen, sondern auch einen Kaffee trinken und ins Gespräch kommen. Auch mit einer Sozialpädagogin. Wir legen Wert darauf, dass wie eine Sozialberatung anbieten.

Wer arbeitet im Laden?

Kehrbusch: Der Ladenbetrieb läuft an drei Öffnungstagen, dienstags, donnerstags und samstags. Dafür haben wir drei Teams von Ehrenamtlichen.

Sind das alles aktive Rentner, die sich engagieren?

Kehrbusch: Nein, das sind zwar die meisten, aber an den Samstagen sind es ebenso Berufstätige und Jugendliche, die helfen.

Ohne diese ehrenamtlichen Zeit-Geber könnte der Laden nicht funktionieren?

Kehrbusch: Nein. Aber das ist ein Geben und Nehmen im sehr guten Sinne. Alle haben etwas davon. Die Ehrenamtlichen erleben, wie wichtig ihre Hilfe ist, wenn da jemand mit dem Korb voller Lebensmittel nach Hause geht. Das macht Spaß, das zu sehen. Und da entsteht mehr.

Was zum Beispiel?

Kehrbusch: Wir wollen ja nicht nur materiell helfen. Wenn ein Stammkunde beispielsweise uns Kuchen mitbringt, sitzt man bei einem Kaffee zusammen. Unterhält sich. Das ist unbezahlbar. Das ist ein Stück Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Woanders könnten sich die Menschen es sich nicht leisten, einen Kaffee zu trinken.

Gibt es ähnliche Projekte in Düsseldorf wie den Laden von Flingern mobil?

Kehrbusch: Wir hatten Anfragen zu unserem Konzept aus anderen Düsseldofer Stadtteilen und benachbarten Städten. Die katholische Kirchengemeinde Eller/Lierenfeld unterhält seit 2012 den „Tante-Elli-Laden“.

Denken Sie, dass es den Bedarf in weiteren Stadtteilen gibt?

Kehrbusch: Ich könnte mir vorstellen, dass es in vielen nachbarschaftlichen Räumen den Bedarf gibt. Eben mit dieser doppelten Funktion; der materiellen Hilfe und der Hilfe zur Vernetzung der Menschen.

Sie sehen die Tafeln kritisch, warum?

Kehrbusch: Wir dürfen Armut nicht institutionalisieren. Ich habe ja auch von Anfang an gesagt, dass es unser Ziel sein muss, dass unser Laden eines Tages überflüssig sein wird. Weil die Menschen es sich dann leisten können, auch im bescheidenen Maße in normalen Geschäften einzukaufen.

Sind die Politiker gefordert, Ihren Laden überflüssig zu machen, braucht es zum Beispiel eine Grundrente?

Kehrbusch: Ja, beispielsweise. Ich habe aber keine Leidenschaft für ein bestimmtes Modell. Auf Dauer aber müssten die Menschen über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, ihren Grundbedarf selbst decken zu können.

Sie haben zum Thema Armut auch ein Experiment in Ihrer Kirchengemeinde gemacht.

Kehrbusch: Ja, eine kleine Gruppe hat in der Fastenzeit versucht, einmal vier Wochen lang von dem Budget der Sozialhilfe zu leben. Wir wollten ein Gespür dafür bekommen.

Welche Erfahrung haben Sie gemacht?

Kehrbusch: Das war echt knapp, mit dem Geld auszukommen..

Brauchen wir höhere Sätze?

Kehrbusch: Ja, es ist eng. Ich finde aber, es gibt ein anderes Problem in unserem Hilfesystem. In den Behörden vermisse ich häufig Flexibilität. Wir brauchen bei besonderen Situationen oder besonderen Härten flexiblere Möglichkeiten der Hilfe.

Herr Kehrbusch, welches weitere Projekt des Gebens und Nehmens in Düsseldorf gefällt Ihnen gut?

Kehrbusch: Da fällt mir spontan die Foodsharing-Initiative ein, mit der wir ja zusammenarbeiten. Die Helfer holen bei uns Lebensmittel ab, die sonst verderben würden und verteilen sie noch mal weiter. Das ist gut. Denn der liebe Gott läßt den Weizen nicht wachsen, damit wir das Brot in die Tonne kloppen.

Es ist Weihnachten. Haben Sie Wünsche?

Kehrbusch: Mein erster Wunsch ist, dass die Politik in drei Jahren das Sozialsystem so geregelt hat, dass die Kunden unseres Ladens in einen normalen Laden gehen können.

Und der zweite Wunsch?

Kehrbusch: Solange es unseren Laden geben muss, freuen wir uns weiter über Hilfe. Wir brauchen zusätzliche Kühlmöglichkeiten. Auch die Einrichtung an der Ackerstraße ist in die Jahre gekommen. Hier benötigen wir Sach- oder Geldspenden. Denn ich möchte, dass sich unsere Ehrenamtlichen und unsere Kunden weiterhin bei uns wohlfühlen.