Herr Diener, wie zufrieden sind Sie mit dem Neustart der Messe?
Messechef im Interview „Für 2023 rechnen wir wieder mit einem Plus“
Düsseldorf · Der Messechef spricht über den aktuellen Erholungskurs, den Verkauf des Russlandgeschäfts und einen Neubau für Gastronomie.
Die Messe läuft wieder – und das sogar ganz gut. Etwas aufatmen kann deshalb Wolfram Diener, der genau vor zwei Jahren mitten in der historisch größten Krise des Unternehmens Vorsitzender der Geschäftsführung wurde. Wir trafen ihn in seinem Büro im Messehochhaus.
Wolfram Diener: Er verläuft wie gewünscht und etwas besser als geplant. Wie andere Messen liegen wir je nach Veranstaltung bei Ausstellern und vermieteter Fläche etwa 20 bis 25 Prozent unter dem Niveau von vor der Pandemie. Zudem sind die Besucherzahlen etwa ein Drittel geringer. Die Aussteller sind jedoch hocherfreut über die Qualität ihrer Kontakte, da die Besucher ein starkes Kaufinteresse mitbringen. Auch das Auffrischen der Kontakte hat eine große Bedeutung.
Trotz gutem Neustart, Sie planen nach zwei Jahren mit einem Verlust von rund 65 Millionen Euro auch für dieses Jahr mit einem Minus. Wie hoch wird es ausfallen und was muss passieren, dass sich das wieder ändert?
Diener: Ich rechne mit einigen wenigen Millionen, vielleicht wird es sogar eine rote Null, das ist jetzt noch nicht gänzlich vorhersehbar. Trotz weggefallenem Russlandgeschäft oder auch den Problemen in China mit der Pandemie sowie der Reisetätigkeit liegen wir im Plan. Das zeigt, wie zahlreich Aussteller und Besucher zurückgekehrt sind. Für den Caravan Salon erwarten wir sogar einen Rekord bei der vermieteten Fläche. Für 2023 rechnen wir wieder mit einem Plus, 2025 mit der vollständigen Erholung.
Wie hat die Messe die Krise bislang überstanden?
Diener: Wir sind die einzige große Messegesellschaft in Deutschland, die ohne einen Cent der Gesellschafter ausgekommen ist. Da sind wir ein wenig stolz drauf. Unsere Eigenkapitalquote liegt immer noch bei über 60 Prozent. Wir sind also gut durch die Krise gekommen, auch wenn wir ein Darlehen gebraucht haben und an einigen Stellen wie Personalkosten oder Investitionen sparen mussten. Wir haben aber auch einen neuen Strategieprozess angestoßen. Ein Teil davon sind neue Medienangebote, die das ganze Jahr über unsere Präsenzmessen ergänzen. Da geht es etwa um Blogs, virtuelle Vorträge und Netzwerktreffen. Diese digitalen Dienstleistungen machen mittlerweile fünf bis sechs Prozent unseres Umsatzes aus. Wir haben zudem gerade mit der Übernahme von 60 Prozent der Anteile der US-Messe Xponential für einen zweistelligen Millionenbetrag die größte Akquise unserer Messegeschichte hinter uns.
Davon soll es einen Ableger und damit eine neue Messe in Düsseldorf geben. Was wird sie ab wann bieten?
Diener: Sie passt zu einem unserer Standbeine, dem Thema Mobilität, wozu zum Beispiel Boot und Caravan Salon gehören. Es geht um sich autonom fortbewegende Mobile, beispielsweise Drohnentechnologie. Die Messe soll hoffentlich 2025 erstmals über die Bühne gehen. Wir sehen bei dieser Technologie enormes Wachstumspotenzial. Wir planen zudem zwei weitere neue Mobilitätsmessen, worüber wir aber noch nicht genauer sprechen können.
Täuscht der Eindruck, dass im Zuge des anhaltenden wirtschaftlichen Erfolgs der Messe, der Wille zum Wandel lange Zeit nicht so ausgeprägt war?
Diener: Das entspricht der Wesensart des Menschen. Es braucht ein bisschen Druck, durch Rahmenbedingungen oder jemandem, der das macht.
Hat das ihr Vorgänger Werner Dornscheidt denn nicht ausreichend getan?
Diener: Diese Aussage wäre nicht gerecht. Er hat sich ebenfalls sehr um den Ausbau des Geschäftes im Ausland bemüht. Unser Bestandsgeschäft hat sich sehr gut weiterentwickelt. So waren wir wirtschaftlich sehr gut aufgestellt und für die Krise gewappnet. Es hat alles seine Zeit. Jetzt ist der Wettbewerb mit angelsächsischen Messeveranstaltern immer schärfer geworden, die finanziell ganz anders aufgestellt sind. So reicht organisches, langfristigeres Wachstum für uns nicht mehr aus. Wir müssen stärker auf Übernahmen setzen, da diese neuen Messen sofort etwas abwerfen.
Sie haben die Messe genau vor zwei Jahren mitten in ihrer größten Krise als Chef übernommen. Was hat Ihnen die größten Sorgen bereitet?
Diener: Ich bin natürlich mit vielen neuen Ideen gestartet, musste mich dann aber vor allem darum kümmern, den besten Weg durch die Krise zu finden, zum Beispiel mit einem möglichst sozialverträglichen Stellenabbau. Die Existenz der Messe habe ich aber nie gefährdet gesehen. Wir wussten ja, dass viele Aussteller ihre größten Umsätze bei uns gemacht haben, also sicher wiederkommen wollten.
Wie hat die Krise Sie als Verantwortlichem für das Unternehmen verändert?
Diener: Ich habe Loyalität im Umfeld und bei der Belegschaft noch mehr schätzen gelernt. Ich habe zudem gelernt, dass ich noch mehr bestrebt sein muss, nicht populäre Maßnahmen für Kunden und Mitarbeiter möglichst gut zu erklären, auch wenn Sie mir als ganz logisch und rational erscheinen.
Was meinen Sie konkret?
Diener: Da geht es um Sparmaßnahmen, auch um Kleinigkeiten. Zum Beispiel haben wir in der Kantine kein Frühstück mehr angeboten, auch die Bewirtungen eingeschränkt. Vor allem die Kurzarbeit hat das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter sehr getroffen. Das war wirtschaftlich eine enorme Entlastung, ich musste trotzdem immer wieder erklären, dass das nichts mit mangelnder Wertschätzung zu tun hat.
Sie haben ja Personal abgebaut, aber auch viele Mitarbeiter verloren, die sich nach anderen Branchen umgeschaut haben. War die Krise für die erfolgsverwöhnten Messemitarbeiter ein umso größerer Schock? Inwiefern bleibt da ein Vertrauensverlust in die Branche zurück?
Diener: Die Pandemie war sicher ein Schock, während Messeangestellte zuvor immer an einen besonders sicheren Job geglaubt haben. Vor allem in den Bereichen Marketing-Kommunikation und Social Media haben wir einen starken Aderlass erfahren. Seit Beginn des Jahres gibt es aber eine deutlich spürbare Wende in der Wahrnehmung; wir konnten wieder viele Stellen besetzen. Es sind allerdings immer noch einige Dutzend Stellen unbesetzt. Wir sind zurzeit bei rund 550 Vollzeitstellen, es sind aber knapp mehr als 600 vorgesehen. Wir werden uns ganz schön strecken müssen, um das bis Ende dieses Jahres zu erreichen, und wir werden es wohl nicht ganz schaffen.
Sie wollen 60 technische Mitarbeiter in ein Unternehmen ausgliedern, dass Sie mit der Wisag gründen. War dieser Schritt mit Blick auf die Erholung des Geschäfts und die große Unruhe, die im Unternehmen entstanden ist, nicht ein Fehler?
Diener: Nein, wir verlieren die Mitarbeiter ja nicht, sie bleiben auf dem Gelände. Da unsere Auslastung allerdings extrem schwankt, ist es effizienter, wenn die Mitarbeiter an ihren gewohnten Arbeitsplätzen auch für andere Messen Aufträge annehmen können.
Wie ist der Stand bei der Ausgliederung?
Diener: Es sind noch einige Formalitäten nötig; im Grunde ist alles vorbereitet.
Der Stadtrat hat jetzt zugestimmt, dass Sie ihre Tochtergesellschaft in Moskau für 350 000 Euro verkaufen. Wie sehr schmerzt Sie dieser Schritt und dieser niedrige Preis?
Diener: Das ist schon extrem bitter. Wir waren 1963 ein Pionier im russischen Messemarkt und zuletzt das bedeutendste ausländische Messeunternehmen dort. Was über Jahrzehnte aufgebaut wurde, ist über Nacht weg. Auch wenn die Entscheidung politisch natürlich richtig ist, ist sie ein Schlag ins Kontor. Zwölf bis 14 Millionen Euro Umsatz haben wir dort vor der Pandemie gemacht, es war ein ertragreiches Geschäft. Jetzt haben wir immerhin einen guten Kompromiss gefunden, andere Messegesellschaften haben für den Verkauf ihres Russlandgeschäfts nur einen symbolischen Betrag erhalten.
Warum lassen Sie die Gesellschaft nicht auf Eis liegen, sondern verkaufen?
Diener: Die russische Seite hat früh zu verstehen gegeben, dass sie es als strafbare Handlung versteht, wenn eine Firma aus dem Ausland ihrem Geschäft nicht nachkommt. Sogar eine Verstaatlichung wäre möglich. Da nun zwei ehemalige unserer Manager das Unternehmen mit übernehmen, hoffen wir, dass ein beträchtlicher Teil der 40 Mitarbeiter übernommen wird. Immerhin haben wir es noch vor den Sanktionen gegen russische Banken in einer Blitzaktion geschafft, mehrere Millionen Euro unseres Geldbestandes mit einer Ausschüttung sichern zu können.
Wie bereitet sich die Messe auf die mögliche Knappheit beim Gas vor, das zum Heizen der Hallen nötig ist?
Diener: Wir erwägen, im Notfall auf Öl umzustellen. Wir sind im ständigen Austausch mit den Stadtwerken und Teil des eingerichteten Krisenstabs bei der Stadt.
Wie steht es um die auf Eis gelegten Investitionen in die Hallen sieben und neun?
Diener: Da müssen wir abwarten, was wir uns wann wieder leisten können. Was aber noch in diesem Jahr neu gebaut werden soll, ist ein neuer Food-Court im Zentrum des Geländes, mit einem größeren Angebot. Hierfür nehmen wir einen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand. Das soll ein neues Herz der Messe werden. Früher wurde Aufenthaltsqualität ja sogar teilweise bewusst nicht geschaffen, da das Geschäft von Ausstellern und Besuchern im Vordergrund stehen sollte. Diese Sicht ist aber nicht mehr zeitgemäß.