Wir Düsseldorfer So entstehen die besten historischen Kostüme
Düsseldorf · Angelika Nowotny ist Gewandmeisterin und arbeitet für die bedeutenden Theater- und Opernhäuser auf der ganzen Welt.
„Es kommt darauf an, dass man die richtige Silhouette trifft“, erklärt Angelika Nowotny den Kern ihres Schaffens. „Das Empfinden von Schönheit und Ästhetik verändert sich im Laufe der Zeit. Ich muss daher ein Kostüm kreieren, das historisch stimmig ist und dennoch zum heutigen Stilempfinden passt.“
Angelika Nowotny ist Gewandmeisterin und arbeitet für die bedeutenden Theater- und Opernhäuser auf der ganzen Welt. In ihrem Unternehmen „das gewand“ – Werkstatt für Kleiderkunst fertigen über 20 Mitarbeiter prächtige Kostüme und Gewänder für Bühnendarsteller und Tänzer. Die Bandbreite reicht von historischer Majestäten- und Hofbekleidung bis hin zu bizarren Formen abstrakter und fantastischer Bilderwelten. Allein im Jahr 2018 hat sie an 32 Produktionen mitgewirkt, darunter „Anastasia“ in Madrid, „Jedermann“ in Salzburg, „Delilah“ an der Met in New York. Als sie sich vor 25 Jahren selbstständig machte, gab sie sich sieben Jahre Zeit, um zu sehen, ob sie sich ihren Platz in dieser kleinen Welt von kreativen Spezialisten erobern kann.
Heute kann sie selbstbewusst sagen: „Wir sind auf einer wunderbaren Stufe angekommen. Wir sind richtig gut. Im historischen Kostüm sind wir die Besten.“
Eine Vision von
Vollkommenheit
Sich und ihrer Stärken bewusst war sie eigentlich immer. Unbeirrt von den Erwartungen anderer („Sie haben doch Abitur!“) begann Angelika Nowotny ihre berufliche Entwicklung mit der Handwerksausbildung zur Damenschneiderin.
Danach arbeitete sie einige Jahre als Schneiderin und als Kostümbildassistentin. Am nächsten Scheideweg – Kostümbild-Studium oder Meisterausbildung – wählte sie erneut das Handwerk. „Ich wusste, dass ich da besser bin, und ich hatte keine Lust auf „Mittelfeld“. Lieber wollte ich die Beste in meinem Handwerk sein als eine mittelmäßige Akademikerin“, erinnert sie sich. In den folgenden Jahren als angestellte Gewandmeisterin an verschiedenen Theatern stellte sie fest, dass sie dort nicht so arbeiten konnte, wie sie wollte. Sie hatte eine ganz bestimmte Vorstellung von Ergebnissen und von dem Raum, in dem sie arbeiten wollte. Sie hatte ihre persönliche Vision von Vollkommenheit.
Also gründete sie ihr eigenes Unternehmen, zunächst in einem Wohnzimmer, unterstützt von wenigen freien Mitarbeitern. „Dann habe ich mir gesagt: Wenn ich mir von dem, was ich mache, keine separate Wohnung leisten kann, hat es keinen Sinn.“ Sie wagte den nächsten Schritt und bezog ein kleines Ladenlokal in der Düsseldorfer Klosterstraße, in dem sie zunächst auch noch Privatkunden bediente. Quasi jedes Jahr kam eine Mitarbeiterin hinzu. Doch Angelika Nowotny merkte, dass sie sich wieder einmal entscheiden musste, wenn sie ihr Ziel erreichen wollte. Und konzentrierte sich schließlich auf die Welt der Bühnenkunst.
Im Jahr 2004 fand sie zu ihrer Vision endlich auch den idealen Raum: ein Loft in einer denkmalgeschützten ehemaligen Backfabrik. 700 Quadratmeter lichtdurchflutete Räume auf der ersten Etage mit großen historischen Bogenfenstern. Nur wenige Wände unterbrechen die überwiegend offene Sicht. Zwei Büroräume sind durch Glaswände vom Produktivbereich abgetrennt. Von ihrem Schreibtisch aus blickt Angelika Nowotny auf einen großen selbst bepflanzten Dachgarten, im Sommer ein buntes Blütenparadies. Auf die Gestaltung des Arbeitsumfelds legt die Unternehmerin sehr viel Wert. „Seit wir hier sind, sehe ich mich als Mensch, der diesen Raum zur Verfügung stellt, damit die Leute dieses wunderbare Handwerk ausführen können. “
Wie sieht ein normaler Tag im Leben von Angelika Nowotny aus? „Lang und sehr bunt“, lacht sie. „Aber ich habe Glücksgefühle wie am ersten Tag.“ Im Laufe der Unternehmensentwicklung haben sich ihre Aufgaben stark verändert. „Ich bestimme natürlich die künstlerische Richtung. Der Rest ist mittlerweile Steuerung und Administration.“
Der Morgen beginnt mit einer Runde durchs Atelier. Angelika Nowotny verschafft sich einen Eindruck vom Stand der Projekte, spricht mit den Mitarbeiterinnen, gibt Tipps, korrigiert, unterstützt, freut sich an den Fortschritten. „Handwerklich sind einige meiner Mitarbeiterinnen im Detail inzwischen besser als ich. Man muss zulassen, dass Mitarbeiter sich entfalten, sich weiterentwickeln.“
Dann folgt die erste Büroeinheit. Hier ist sie ebenso professionell wie in ihrem Handwerk. „Bis vor acht Jahren wusste ich nicht, wie man einen Computer anmacht. Aber wir hätten das Unternehmenswachstum nicht überstanden, wenn wir nicht digitalisiert hätten und wenn ich mich nicht selbst darin geschult hätte.“
Und damit nicht genug. Mit einem IT-Profi an ihrer Seite entwickelte sie gleich ein maßgeschneidertes Programm für ihren Bedarf. „Ich kann jede Sekunde sagen, wo wir mit den Kosten für eine Produktion stehen. In der kaufmännischen Unternehmensführung bin ich von niemandem mehr abhängig, kann jetzt vieles selber machen und spare trotzdem Zeit.“
Im besten Fall noch vor Mittag findet sie Zeit für die regelmäßige Besprechung mit ihrem Gewandmeister. Ulrich Baumann ist ihre rechte Hand, seit Beginn ihrer Selbstständigkeit dabei, hat alle Entwicklungsphasen mitgemacht.
Der Nachmittag gehört meistens dem Spiegel. Anproben. Manchmal schlüpft die Chefin selbst in ein Kostüm, wenn ihr die geforderten Maße entsprechen. Der Rest des Tages bleibt für Logistik, Strategie und – bei Bedarf – Katastrophenmanagement. Eine aktuelle Katastrophe ist für sie der Brexit. Die Unternehmerin muss entscheiden, ob sie in dieser Phase Aufträge aus London annehmen kann. Sie hat Risiko gegen Risiko abzuwägen, die Kalkulationsunsicherheit gegen den möglichen Imageverlust, wenn sie einem wichtigen Kunden absagt.
Das Schöne, das Gute
und die Kunst
Ein bis zwei Tage pro Woche ist Angelika Nowotny auf Reisen, in Besprechungen mit Kostümbildnern und bei Anproben mit den Künstlern. „Der Charakter der Figur wird vom Kostümbildner entworfen und beschrieben. Daraus machen wir dann ein fertiges Konzept mit Vorschlägen für Material und Fertigungstechnik. Wir entwickeln sozusagen Prototypen.“ Und damit liegt die Gewandmeisterin offenbar (so gut wie) immer richtig. „Oft sagen mir die Kunden: ‚So toll hätte ich mir das nicht vorgestellt.’“
Hinter ihrem Erfolg steckt nicht nur die handwerkliche Fähigkeit. Um das ideale Kostüm zu erschaffen, denkt sich die Gewandmeisterin bis ins kleinste Detail in die unterschiedlichen geschichtlichen Epochen und Stile hinein, in denen die jeweiligen Inszenierungen spielen. Dazu wälzt sie Bildbände, Geschichtsbücher und studiert Kunstgemälde. Genauso wichtig ist die Auseinandersetzung mit den Rollen und Charakteren der Stücke. Außerdem muss sie die Bühnenwirkung von Stoffen, Farben und Formen richtig einschätzen, je nachdem, ob die Künstler darin singen, spielen oder tanzen. „Wir haben so viel Wissen angesammelt und finden doch noch permanent etwas Neues.“
Sie hat die vier Gewandmeister selber rekrutiert
Angelika Nowotny ist stolz auf das Können ihrer Mitarbeiterinnen. „Es sind alle extrem begabt. Sie finden hier nur Ausnahme-Schneider, die ihr Metier wirklich lieben.“ Die mittlerweile vier Gewandmeister hat sie selber rekrutiert. Fachkräftemangel? Ja, das war immer schon ein Problem, sagt sie.
Angelika Nowotny begegnet dem mit viel Flexibilität bei der Arbeitszeitregelung, damit ihre Mitarbeiterinnen Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren können. Das ist nicht einfach, aber für sie zählen dabei nur die Effizienz und Produktivität. Außerdem fördert und fordert sie die fachliche Entwicklung ihrer Mitarbeiter. „Ich verlange viel, gebe aber auch viel Vertrauen. Und einen schönen Arbeitsplatz.“
Das Gewand lebt durch diese besondere Kombination aus Wissen und handwerklichem Können, Einfühlungsvermögen und unternehmerischer Professionalität, außerordentlicher Vorstellungskraft und Leidenschaft für das Handwerk. „Dieser Beruf ist etwas für Liebhaber; das macht man nicht, wenn man viel Geld verdienen will. Aber wir können wunderschöne Dinge tun in diesem herrlichen Raum. Ich glaube an das Schöne, das Gute, die Kunst. Das muss stärker sein als die negativen Dinge dieser Welt.“