Interview Ex-Kraftwerk Musiker Karl Bartos: „Wir starrten nur noch auf den Bildschirm“

Er war Mitglied der legendären Elektro-Rock-Band „Kraftwerk“. Jetzt hat er ein Buch über diese Zeit geschrieben.

Foto: Patrick Beerhorst

Karl Bartos war 16 Jahre lang ein Teil von Kraftwerk. 1991 stieg er aus, widmete sich seiner Solokarriere und schwieg über seine Zeit im Düsseldorfer „Kling Klang“-Studio. Bis jetzt: In seiner Autobiografie „Der Klang der Maschine“ erzählt Bartos seine Sicht der Dinge und liefert ein spannendes, teilweise desillusionierendes Bild einer der größten Bands der Musikgeschichte — und erklärt im Interview, warum er sich so äußert.

Herr Bartos, Ihre Biografie „Der Klang der Maschine“ unterscheidet sich in zwei Dingen von den meisten anderen Biografien. Erstens: Sie schreiben ihre Vita nicht nur einfach chronologisch herunter, sondern tun das wie im Film mit Rückblenden und der Montage von Episoden und Gedanken. Und: Sie schreiben wirklich viel über Musik und Musiktheorie.

Karl Bartos: Da haben Sie recht. Ich habe Teile der Biografie wie ein Drehbuch geschrieben, da ich wie ein Regisseur empfinde, wenn ich zurückblicke. Ich denke, wenn ich mich etwa an das Betreten des „Kling Klang“-Studios erinnere, an eine Kamera: Ich gehe hinein, ich schaue mich um, ich nehme Eindrücke auf. Und was die musiktheoretischen Ausflüge angeht: Ich wollte herausarbeiten, was Klang bedeutet und wie wir damals damit umgingen. Wie wir damals als Kraftwerk arbeiteten, das weiß ja keiner. Viele denken, wenn sie heute die 3D-Shows der Band sehen, das seien wirklich Kraftwerk.

Ist das denn nicht so?

Bartos: Nein. Kraftwerk waren ursprünglich eine Band, die improvisierte. Unsere Songs entstanden spontan. Wie im Jazz. Das zeichnete uns aus. Ich nenne das im Buch „autonome Fantasie“. Und genau die ging uns mit der Zeit verloren. Noch mit „Computerwelt“ 1981 haben wir die digitale Revolution nur gedacht. Die Musik kam damals noch nicht aus dem Computer. Nach unserer Welttournee im Anschluss an dieses Album aber änderte sich das. Vorher war die Musik durch Interaktion entstanden. Wir standen uns im Raum gegenüber und sahen uns in die Augen. 1986 arbeiteten wir mit dem Computer — und wir sahen uns bald nicht mehr in die Augen, sondern starrten nur noch auf den Bildschirm. Von da an änderte sich unsere Kommunikation. Wir sprachen nicht mehr miteinander. Wir interagierten nicht mehr musikalisch. Wir gaben die Musik nur noch in den Computer ein.

Ist Ihre Biografie ob dieser Einblicke eine besonders notwendige — nicht nur für Karl Bartos, sondern für Kraftwerk generell?

Bartos: Ich denke schon. George Orwell hat ja einmal gesagt, dass es keine Objektivität gebe. Jeder hat seine persönliche Sicht im Kopf. Und nach diesem Muster wird seit 40 Jahren die Geschichte Kraftwerks ausschließlich von einer Person erzählt: von Ralf Hütter. Das führt dazu, dass er andere Menschen, die auch ihren Beitrag geleistet haben, nicht wirklich wahrnimmt. Das ist vielleicht nicht böse gemeint. Aber so spielt es sich in seinem Kopf ab. Das muss man akzeptieren. Aber ich denke, es kann auch nicht schaden, jetzt einmal meine Sicht der Dinge zu erzählen.

Wolfgang Flür, ebenfalls Ex-Kraftwerk-Musiker aus Düsseldorf, tat das bereits vor Jahren.

Bartos: Wolfgang und ich sind wirklich die besten Freunde der Welt. Aber er hat das Buch in den 90er Jahren geschrieben. Und damit viel zu früh. Ich denke, er hatte da noch nicht die Lebenserfahrung, die er heute hat. Ich dagegen bin nun in einem Alter, 65, in dem ich mich bereit fühle.

Haben Sie denn in den vergangenen Jahren einmal eines der Museums-Konzerte Kraftwerks angeschaut?

Bartos: Ja. Ich habe eines ihrer Konzerte in Hamburg gesehen.

Und, wie fanden Sie es?

Bartos: Wissen Sie: Ich freue mich, dass die Leute das wertschätzen. Aber: Mit der damaligen Band hat das für mich nichts mehr zu tun. Von der Poetik unserer Musik und von der Interaktion mit dem Publikum, die wir früher pflegten, ist nicht mehr viel geblieben. Es ist heutzutage der Remix vom Remix und mit Projektionen und 3D-Brillen mehr eine Art Erlebniswelt-Event. So etwas brauchten wir früher nicht — wir verwandelten Zeit in Raum.

Wie leicht — oder schwer — ging Ihnen das Schreiben Ihres Buches von der Hand?

Bartos: Leicht. Das Einzige, das schwierig war, war die erneute Auseinandersetzung mit meiner Trennung von der Band. Ich hatte ja nie gedacht, dass so etwas passieren könnte. Ich wollte das damals auch nicht. Aber ich habe es nicht verhindern können, da wir aus meiner Sicht den falschen Weg eingeschlagen hatten.

Würden Sie sich über eine Reaktion Ralf Hütters auf Ihr Buch freuen?

Bartos: Das kommt drauf an, in welcher Form die erfolgt. Feedback kann ja auch von einem Anwalt kommen… Ich warte jetzt einmal, was passiert. Ein paar Dinge wurden ja schon von Juristen verboten, unter anderem die Verwendung von Bildern, die uns damals im Privaten zeigen. In Südfrankreich, beim Essen im Restaurant. So etwas. Das sind keine obszönen Bilder, sondern Bilder voller Poesie — aber ich darf sie wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten eben nicht zeigen. Das ist schade.

Sie haben bis vor wenigen Jahren vermieden, den Namen Kraftwerk in Interviews zu nennen und sprachen immer nur von „der einen Band“. Das ist vorbei. Daher kann man Sie ja jetzt einmal fragen: Hat es Sie eigentlich je genervt, wenn Sie mal wieder auf Kraftwerk angesprochen wurden — oder nervt es Sie womöglich noch immer?

Bartos: Es stimmt schon: Jeder hat mich das gefragt. Über 20 Jahre lang musste ich immer wieder diese Fragen beantworten und habe das immer großräumig umfahren. Aber nicht weil es mich genervt hätte. Das hat es nie. Nein: Ich musste nur erst einmal darüber nachdenken und das, was passiert ist, für mich aufarbeiten. Das habe ich mit dieser Biografie getan. Ich fühle mich jetzt befreit. Es ist so: Ich bin weit davon entfernt, destruktive Kritik zu üben. Ich will nur den Moment der Schöpfung unserer Musik beschreiben.

Und wann haben Sie dem „Kling Klang“-Studio zuletzt einen Besuch abgestattet?

Bartos: Vor zwei, drei Jahren. Aber es ist ein ausgestorbener Körper. Es sind doch die Menschen, die ein Haus beleben. Und im „Kling Klang“-Studio sind keine Menschen mehr.