Kinder trauern anders — nicht weniger
Morgen ist Volkstrauertag — für viele Menschen ein Anlass, der Trauer Raum zu geben. Für Kinder gibt es weniger Angebote.
Trauergruppen sind ein Ort, wo über Trauer gesprochen werden kann. Für Kinder aber sind solche Angebote selten. Thorsten Schmidt-Russnak ist Sozialpädagoge und Familientherapeut bei der Diakonie Düsseldorf und spezialisiert auf die Beratung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Der 47-Jährige leitet zusammen mit einer Kollegin die Trauergruppe für Kinder der Evangelischen Beratungsstelle Altstadt. Im Interview erklärt er, was Kindern hilft, mit dem Verlust umzugehen und warum man mit ihnen besser sachlich über den Tod spricht.
Herr Schmidt-Russnak, die Diakonie bietet Trauergruppen speziell für Kinder an. Trauern Kinder denn anders als Erwachsene?
Thorsten Schmidt-Russnak: Kinder trauern so schwer und so lange wie Erwachsene — und doch nicht gleich. So können Kinder erst im Grundschulalter überhaupt realisieren, dass der Tod etwas Endgültiges ist und dass auch sie einmal sterben werden. Im Gegensatz sind Kinder im Vorschulalter noch der festen Überzeugung, dass auch unbelebte Dinge wie Steine belebt sein können, also auch Menschen, die gestorben sind, wieder lebendig werden.
Heißt das, Kinder trauern weniger?
Schmidt-Russnak: Bei Kindern wechseln sich in der Trauer traurige und fröhliche Phasen schnell ab. Deswegen aber zu glauben, Kinder trauerten weniger, ist ein Trugschluss. Die Kinder nehmen natürlich wahr, dass plötzlich jemand fehlt, und reagieren darauf — manchmal auch mit Schlafstörungen oder Aggressivität. Es kann auch passieren, dass ein Kind, das seine Mutter mit drei Jahren verloren hat, mit sieben Jahren plötzlich sagt: „Ich weiß jetzt, dass die Mama nicht mehr wiederkommt.“
Wie erkläre ich einem Kind überhaupt, dass eine nahe Angehörige oder ein Freund gestorben ist?
Schmidt-Russnak: Kinder merken, wenn etwas nicht stimmt, und wollen wissen, was los ist. Darum ist es wichtig, mit dem Thema offen umzugehen. Dinge, die das Kind belasten könnten, sollten Sie aber besser weglassen — ohne dabei zu lügen. Und wählen Sie keine Umschreibungen für den Tod wie „entschlafen“. Denn das suggeriert, dass der Verstorbene irgendwann wieder aufwacht und zurückkommt. Eine sachliche Beschreibung, etwa, dass es sich beim Tod um einen biologischen Zustand handelt und das Herz aufhört zu schlagen, können Kinder viel besser verstehen.
Und wie geht es nach der Beerdigung weiter?
Schmidt-Russnak: Es kann vorkommen, dass Eltern mit ihrer eigenen Trauer zu beschäftigt sind, um noch für andere da zu sein. Dann kann es gut sein, eine Hilfe zu organisieren, die sich um das Kind kümmert. Außerdem ist es wichtig, Abläufe beizubehalten, die Halt bieten: Ein Kind mehrere Tage von der Schule oder dem Vereinssport zu befreien, ist zum Beispiel in der Regel wenig hilfreich. Auch der Geburtstag darf und muss natürlich gefeiert werden — wenn das Kind nicht ausdrücklich etwas anderes wünscht.
Was können Eltern tun, wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Kind mit dem Verlust nicht klarkommt?
Schmidt-Russnak: Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren machen viel mit sich selber aus. Viele halten auch ihre eigene Trauer zurück, weil sie die Eltern nicht zusätzlich belasten wollen. Wenn Eltern merken, dass ihr Kind mit dem Verlust nicht klarkommt, kann es sinnvoll sein, sich professionelle Hilfe zu suchen. Denn unverarbeitete Trauer kann auch die Persönlichkeitsentwicklung negativ beeinflussen, zum Beispiel zu Essstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten führen.
Wie kann eine Trauergruppe da helfen?
Schmidt-Russnak: In der Gruppe können Kinder über ihre Sorgen sprechen, von dem verstorbenen Angehörigen erzählen, ihre Fragen zum Tod und zum Sterben stellen. Aber wir lachen, spielen, basteln und toben auch gemeinsam — so können die Kinder selbst herausfinden, was ihnen hilft, damit sie sich wieder besser fühlen.