Kinder- und Jugendhilfe Die „Nummer gegen Kummer“ vom Kinderschutzbund Düsseldorf braucht Verstärkung
Düsseldorf · Beim Hilfetelefon rufen Schüler wegen Gewalt, Übergriffen oder Mobbing an. Jetzt werden neue Freiwillige für eine Ausbildung ab Januar gesucht.
„Das Schlimmste ist sicher, wenn Kinder von Missbrauchsfällen zum Beispiel in der Kirche berichten“, sagt die Beraterin (66). Sie ist seit einem knappen Jahr dabei. Sie nimmt Anrufe beim Kinder- und Jugendtelefon (KJT) des Kinderschutzbundes in Düsseldorf entgegen. Und sie möchte ihren Namen nicht nennen. Denn nicht nur die Kinder und Jugendlichen, die dort anrufen, werden mit strengster Anonymität behandelt, auch die, die am anderen Ende der Leitung sitzen. Die Anrufer kommen zu einem großen Teil aus Düsseldorf, aber auch aus ganz Deutschland werden zu bestimmten Zeiten Anrufer an die Düsseldorfer KJT geleitet. Am Ende ist es den Beratern auch egal. Es rufen junge Menschen an, die Probleme haben.
Die Ausbildung dauert etwa ein halbes Jahr
Das Team der „Nummer gegen Kummer“ in Düsseldorf braucht jedenfalls Verstärkung. Anfang 2020 soll ein neuer Ausbildungskurs mit zwölf bis 14 neuen Ehrenamtlern beginnen, die Ausbildung mit einem Termin pro Monat dauert etwa ein halbes Jahr. Derzeit gibt es 27 Berater, die jüngsten sind Ende zwanzig. Und nur vier in der Gruppe sind Männer. Früher gab es auch mal minderjährige Berater, aber durch die Umstellung auf G8 hatten die Schüler nicht mehr genug Zeit und so wurde das Programm 2014 beendet. Aber: Es soll mit der Rückkehr zu G9 wieder aufgenommen werden. „Was wir feststellen, ist, dass immer mehr Kinder anrufen, weil sie eine Depression haben“, sagt Bernhard Müller-Hildebrand, der Koordinator des KJT. „Auch wenn sie das selber vielleicht noch gar nicht wissen, aber sie haben plötzlich keine Lust mehr, in die Schule zu gehen, aufzustehen, zu essen, sind ständig traurig.“ 2018 haben etwa 35 Prozent der Anrufer wegen psychischer Probleme die 116 111 gewählt. 148 Kinder und Jugendliche haben 2018 beim Düsseldorfer KJT angerufen, weil sie von Gewalt betroffen oder bedroht waren. In 119 Fällen ging es um sexuellen Missbrauch und Übergriffe. Oft gehe es aber auch um Mobbing in der Schule oder um alkohol- oder drogenkranke Eltern, um die die Kinder sich kümmern müssen – und dann auch um jüngere Geschwister.
Die Kinder erfahren meistens durch ein Programm an der Schule von der Existenz des KJT. Dann gebe es auch mal Scherzanrufe. „Aber dann lachen wir mit, so lernen uns die Kinder wenigstens mal kennen“, sagt Bernhard Müller-Hildebrand. In erster Linie müssen die Berater gute Zuhörer sein. „Zuerst denkt man ja, dass telefonieren ganz einfach ist. Und jeder hat auch irgendwie Kontakt zu Kindern. Aber was es alles gibt, was die Kinder und Jugendlichen alles erleben, das kann man sich gar nicht vorstellen“, sagt die Beraterin. Müller-Hildebrand ergänzt: „Wir sind ein sehr niedrigschwelliges Angebot. Wenn sich die Kinder an uns wenden, oft zum ersten Mal über ihr Problem reden, dann ist es das Wichtigste, sie erst mal nur darin zu bestärken, dass sie diesen Schritt gemacht haben“.
Er erzählt von einem jungen Mädchen, das sich ritzt. „Das Mädchen wird schon oft zu hören bekommen haben, dass das schlecht ist, sie das sein lassen soll. Bei uns hat sie einfach nur ein offenes Ohr und kann darüber reden, was ihr das gibt und warum sie das macht.“
Nur ein Drittel der Anrufe hat eine Weiterleitung an eine bestimmte Beratungsstelle zur Folge. Und zwar deshalb, weil das der junge Anrufer selber nach Hilfe fragen muss. Sie wird ihm nicht aufgedrängt. „Ich erinnere mich an ein Mädchen, die sich dafür bedankt hat, dass sie ein halbes Jahr lang immer wieder mit uns telefonieren konnte und jetzt endlich soweit war, sich Hilfe zu holen“, sagt die 66-jährige Beraterin.
Beim Thema Selbstmord verzeichnet das KJT einen Anstieg
Selbst wenn es um sexuellen Missbrauch geht, dürfen die Berater vom KJT nicht einfach persönliche Daten fordern und dann das Jugendamt oder die Polizei losschicken. Das müsse man aushalten. Wenn ein Kind sich in einer akuten Bedrohungslage befindet, sagt, wo es sich aufhält und dass es jetzt Hilfe braucht, ist das natürlich anders. Einen Anstieg muss das KJT beim Thema Selbstmord verzeichnen. 2018 äußerten 30 Anrufer Suizidgedanken – 43 Prozent mehr als im Vorjahr. „Aber wenn jemand anruft, und über Suizid spricht, dann ist das ein starker Hilferuf, die Absicht ist dann meistens noch recht weit entfernt“, sagt die Beraterin. Sie sagt aber trotzdem, dass sie sogar die schweren Fälle meistens mit einer gewissen Distanz betrachten kann, nimmt eigentlich nichts mit nach Hause. „Da sind wir in der Ausbildung aber auch sehr gut drauf vorbereitet worden.“
Außerdem gibt es regelmäßige Supervisionen für die Berater, bei denen sie auch mal im Team davon erzählen können, wenn etwas nicht so gut gelaufen ist, wenn kein gutes Gespräch zustande gekommen ist. Wichtig sei für die Ehrenamtler, dass sie nicht wie wild helfen wollen, die Kinder überall am besten persönlich rausholen und ihnen mal erklären, wie sie mit ihren Problemen umzugehen haben. „Wer so denkt, wäre hier wohl nicht richtig“, sagt Müller-Hildebrand. Wer kommunikativ ist, gut zuhören kann und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen kann, ist beim Kinderschutzbund sehr willkommen.