Kammermusik Im Zwiegespräch mit Schubert
Düsseldorf · András Schiffs Klavierabend mit Sonaten des Wiener Komponisten war ein Höhepunkt der Interpretationskunst.
Wenn András Schiff, der 1953 in Budapest geborene Pianist, die Bühne betritt, strahlt er eine unnachahmliche meditative Ruhe aus, die gepaart ist mit einer fast kindlichen Scheue. Langsamen Schrittes geht er zu seinem Instrument, setzt sich und in dem Moment, in dem seine Finger die Klaviatur berühren, entspriest ein den Zuhörer sukzessive in den Bann ziehender Dialog zwischen ihm und dem Werk, das er gerade spielt. Ein Zwiegespräch zwischen Komponist und Interpret durch ein aufmerksames Befragen der Noten, die wie von Zauberhand durch die Finger Schiffs mit der Stimme des Komponisten zu antworten scheinen.
Es gibt Klavierliteratur, die verträgt so manchen Showeffekt, verträgt auch mal die eine oder andere stilistische Blüte, hält es aus, wenn der Interpret sich mehr selbst zur Schau stellen möchte als dem Werke dienen, kann sogar davon profitieren, wenn ein Pianist sich auf besonders virtuose Weise als Tastenbändiger aufspielt – und dann gibt es Franz Schubert. Insbesondere die Klaviersonaten des früh verstorbenen Wiener Komponisten verlangen kompromisslos einen Zugang, der die in ihnen liegende Tonsprache respektiert und sensibel interpretierend die rechte Balance findet. Eine Balance zwischen lyrischer Weltvergessenheit, schmerzlicher Melancholie, scheinbar heiterer Wiener Volkstümlichkeit, erhabener Größe und federleichter Filigranität. Dies liegt bei Schuberts Musik in der so einzigartigen Mischung begründet, die aus seiner Verehrung für Beethoven, seiner musikalischen Genese und seinem musikalischen Charakter zusammengesetzt ist. Ein jeder Pianist, der diese Musik nicht zerstören möchte, muss sich einerseits zurückhalten, andererseits an nötiger Stelle in der Lage sein, mit den Tasten zu singen, aber auch Nuancen zwischen einem glänzenden Wohlklang, Eintrübung und Erdung herauszuschälen.
Nun, dass Schiff just diese Balance auf besonders überzeugende Weise verklanglichen kann, durfte nun auch das Publikum im bis auf den letzten Platz ausverkauften Robert-Schumann-Saal erleben. Dieser Besuch von Schiff in Düsseldorf ist übrigens dem Klavier-Festival Ruhr zu verdanken, dem der ungarische Wahllondoner – er wurde 2014 sogar geadelt, heißt also offiziell Sir András Schiff – engstens verbunden ist; er wurde 2009 mit dem Preis des Festivals ausgezeichnet.
Auf dem von Bösendorfer eigens für ihn gefertigen Flügel in feurig rotbraunem Pyramiden-Mahagoni – das übrigens mit seinem samtig weich-glänzenden altgoldenen Klang einen schönen Kontrast zu dem üblichen Steinway-Einheitsklang bildete – spielte er gleich drei Schubert-Sonaten in Folge. Ein erhebliches Pensum, was sowohl vom Pianisten als auch vom Publikum eine gewisse Hingabe und angesichts der „himmlischen Längen“ die Schuberts Musik zurecht nachgesagt werden, auch Durchhaltevermögen, im positiven Sinne, abverlangt. Jener Ausspruch mit den „himmlischen Längen“ stammt von Schumann – eine schöne Parallele zum Namensgeber des Saals – und bezog sich auf die „Große“ C-Dur Sinfonie Schuberts. Doch auch für die Klaviersonaten gilt: Schubert lässt jedem Motiv Zeit, sich ausgiebig vor dem Ohr dem Zuhörers zu entfallten, um nicht selten jenes zu brechen, auch mal zu zerbrechen, um aus sanftester Anmut in tiefe Verzweiflung umzuschlagen. Hierzu verwendet Schubert übrigens eine Methode, die erst viel später ihren Siegeszug erlangen wird, die ästhetische Grundidee des filmischen Schnitts, nur eben mit klanglichen Mitteln.
Schiffs Spiel, das mit Schuberts Sonate a-Moll D 845 begann, zeichnet sich durch eine tiefe Durchdringung der auch unter der Oberfläche liegenden melodischen und musikalisch-strukturellen Linien aus. Hat Stil, Geschmack – etwas was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Und er spart sich das um jeden Preis pädagogische Zeigenwollen von versteckten Stimmlinien; Transparenz geht auch subtil und trotzdem mit sattem traditionell rundem Ton. Wenn die Musik es verlangt, akzentuiert er gewichtig, aber niemals brutal. Andererseits kann sein Ton derart betörend singen, dass man fast Färbungen durchzuhören glaubt, die es mit den doch etwas beschränkten Mitteln eines Tasteninstrumentes eigentlich gar nicht recht geben dürfte. Dies liegt an der technischen Beschaffenheit eines Klavieres und erfordert, wenn es denn gelingt, wie bei Schiff, viel Erfahrung. Zauberworte wie „Anschlag“ treffen hier nur mittelbar den Kern. Es geht, wie immer bei Musik, um eine ganzheitliche Mischung aus verschiedenen Einflussfaktoren, die mal bewusst, mal intuitiv durch den Pianisten zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Hierzu zählt auch die rechte Wahl des Tempos, der Geschwindigkeit. Schiff weiß, welche Wurzeln bestimmte Passagen in Schuberts Sonaten haben, kennt die Verweise. Wohl deshalb klingen bei ihm nahezu alle Stellen, auch in der Sonate D85 „Gasteiner“ oder auch in der Sonate D 894 in G-Dur so natürlich und authentisch. Bisweilen blinzelt durch die ernste Klaviermusik der salonistische Stil der Schubertiaden, wird es volkstümlich im guten Sinne.
Schiff zeigte, wie Schubert heute klingen kann, ohne dass man sich zu sehr auf „historische“ Aufführungspraxis kapriziert oder versucht, alles mit einer durch Rachmaminow und Co geschulten spätromantischen Soße – die anderenorts durchaus Berechtigung hat – zu übertünchen.