Düsseldorf Bertram Müller: „Kulturplan: Die Politik muss liefern“
Bertram Müller, der ehemalige Leiter des Tanzhauses NRW, über Künstler-Therapie und Kulturleben.
Düsseldorf. In der siebten Etage eines Hochhauses am Wehrhahn schaut er über Düsseldorfs Skyline. Zufall mag es sein, dass Bertram Müller mit seiner Praxis in die Nähe der Börnestraße zog — dort, wo die „Werkstatt“ und die Erfolgsgeschichte der Freien Tanzszene begann. Diese wurde entscheidend geprägt von dem studierten Theologen und Psychotherapeuten Müller, der kürzlich 70 geworden immer noch keine Anzeichen aufweist, ein genussvolles Rentnerdasein fristen zu wollen.
Nachdem er vor drei Jahren das Tanzhaus NRW an seine Nachfolgerin Bettina Masuch übergab, hat er sich mittlerweile in den neuen Praxisräumen eingerichtet. Eines seiner Spezialgebiete ist: Therapie und Beratung von Künstlern, die an Burnout, Stimm-Verlust oder Schreibblockaden leiden. Außerdem sitzt er in verschiedenen Tanz-Jurys, ist Mitglied des Beirates des Düsseldorfer Kulturplans, unterrichtet an der Folkwang-Hochschule in Essen, in Moskau oder Belgrad.
Herr Müller, es sieht nicht so aus, als ob Sie den Ruhestand genießen könnten.
Bertram Müller: Doch schon! Aber nur ein ruhiges Dasein habe ich im Alter nie vorgehabt. Ich hatte als Intendant 35 Jahre lang viel mit Künstlern zu tun. Dennoch habe ich immer den Kontakt zur Therapie-Szene gehalten und bin meiner Überzeugung gefolgt: Dass selbst kreativ zu sein zwar das beste Mittel ist, um gesund und zukunftsorientiert durchs Leben zu kommen, dass es aber manchmal gerade auch für schöpferische Menschen unvermeidlich sein kann, fachliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Wann geraten Künstler in eine Krise?
Müller: Meist an Übergängen, wenn sie das Studium oder ihre Berufslaufbahn etwa als Tänzer beenden, aber auch bei schweren Niederlagen oder nicht balancierter Lebens- und Arbeitsplanung. Zu meinen Klienten gehören Bildende Künstler, Musiker, Regisseure aber auch Leute, die bereit sind, fachlich fundierte Impulse zur Lösung ihrer Stagnation aufzugreifen, anstatt endlos selbst daran rumzudoktern.
Sie engagieren sich weiter in Sachen Tanz?
Müller: Ja, etwa im Dachverband Tanz Deutschland in Berlin. Da wirke ich gerade mit, den Deutschen Tanzpreis neu aufzustellen.
Wie hat sich der alte Kampf zwischen städtischen Ballettkompanien und der Freien Tanzszene entwickelt?
Müller: Die gegenseitige Wertschätzung zwischen den beiden Lagern hat sich zunehmend verbessert. Mir war es schon immer ein Anliegen, die Gräben zwischen den unterschiedlichen Tanztraditionen durch neue Formen der Kooperation zu überwinden.
Sie wirken auch am Kulturplan für unsere Stadt mit. Sind Sie zufrieden?
Müller: Die Initiative, der Kulturplan und sein Leiter Herr Föhl sind super. Hunderte Kunstschaffende und Bürger wurden mobilisiert, doch leider kaum Politiker. Die Planung ist vom politischen Prozess der Umsetzung getrennt, anstatt beides schrittweise mit dem jeweils politisch Machbaren zu verknüpfen. Jetzt muss die Politik im kommenden Jahr liefern, will sie mit ihrer selbst gewollten Mobilisierung glaubwürdig bleiben und nicht hunderte engagierte Mitwirkende fahrlässig dauerhaft frustrieren.
Und was, wenn nicht?
Müller: Ich fürchte, die Stadt wird mal wieder nicht aus dem Korsett einer längst überholungsbedürftigen Kulturpolitik herausfinden, so dass für neue Entwicklungen und freie Träger wieder keine, endlich mal angemessenere Mittel zur Verfügung gestellt werden, wie der Haushalt 2017 enttäuschend zeigt.
Aber es gibt doch Sachzwänge — wie die Sanierung des Schauspielhauses.
Müller: Natürlich! Und die Verpflichtung von Wilfried Schulz als Generalintendant ist besonders in dieser Umbruchzeit ein Glücksfall. Das erzeugt ja auch das Dilemma von OB Geisel. Er muss große, längst überfällige Sanierungskosten stemmen, gleichzeitig darf er keine neuen Schulden machen. Schuldenbremse ja! Aber es stellt sich doch angesichts unvermeidlicher Investitionen in städtische Immobilien die Frage, ob das einst stolz eingeführte Diktat unbeugsamer Schuldenfreiheit noch im Interesse der Zukunft der Stadt und ihrer Bürger ist.
Und Geisels Rolle bei der Schauspielhaus-Debatte, bei der er sogar den Abriss des Hauses laut angedacht hat?
Müller: OB Geisel bleibt für mich wegen seiner aktiven persönlichen Teilnahme am Düsseldorfer Kulturleben nach wie vor ein glaubwürdiger Förderer der Künste. Er hat einen Führungsauftrag, den er entschlossen wahrnehmen sollte. Nicht nur sein sphinxenhaft missglückt vorgebrachter Gedankenanstoß zum Schauspielhaus sollte weiter nüchtern und zukunftsorientiert diskutiert werden: Ob ein Haus mit 800 Plätzen noch zeitgemäß ist, in welchen Räumen sich zukünftiges Theater am besten inszeniert, wie viele Museen und Festivals sich Düsseldorf leisten kann und wie vor allem auch die kulturell äußerst wertvolle Freie Szene endlich angemessener gefördert werden kann.
Gibt es für Letztere denn nicht genügend Subventionen?
Müller: Die öffentliche Förderung von Institutionen in städtischer Trägerschaft ist pro Besucher um das fünf- bis zehnfache höher als bei freien Trägern, wie z. B. dem FFT, dem Tanzhaus und dem Düsseldorf Festival. Dies ist aber außer durch Tradition durch nichts begründet. Trotz anfänglicher Aufstockung der Mittel für die Freie Szene hat die jetzige Ratsmehrheit diese bereits nach ihrem ersten Jahr wieder weitgehend zurückgenommen. Das ist auch aus einiger Entfernung sehr enttäuschend. Ich hoffe für Düsseldorf auf ein kulturell endlich mutiges aufrüttelndes Jahr 2017.