Oper Der Mann hinter den Noten

Düsseldorf · Serie (2) zur Uraufführung Wir stellen Anno Schreier, den Komponisten der Oper „Schade, dass sie eine Hure war“, vor.

Anno Schreier komponierte die Oper „Schade, dass sie eine Hure war“.

Foto: Susanne Diesner

Anno Schreiers jüngstes Werk, „Schade, dass sie eine Hure war“ nach dem Stück des britischen Dramatikers John Ford, wird am 16. Februar seine Uraufführung an der Deutschen Oper am Rhein erleben. Das Opernhaus hat nun ein „musikalisches Forum“ veranstaltet, bei dem man einzelne Passagen der Oper am Klavier vorstellte und sowohl die Musik als auch das Libretto der Oper beleuchtet wurde. Nach dem Event, bei dem Komponist Schreier sich Zeit nahm auf alle Fragen geduldig zu antworten, widmet er sich unserer Gesellschaft.

In einem Probezimmer sitzt der aus der Eifel – genauer gesagt Monschau – stammende, 1979 geborene Komponist. Wir sprechen bis in den späten Abend über seine Art zu komponieren, seine Ideale, seine Vorbilder und nicht zuletzt über ihn als Menschen. Ein sensibler, hoch gebildeter Mann, der auf den ersten Blick etwas Scheues an sich hat. Doch wenn man in seine Augen blickt, strahlt dort eine lodernde, inspirierende Kraft. Ein wenig wie der junge Schostakowitsch sieht er aus. „Schostakowitsch war eines meiner größten Vorbilder, als ich jung war. Seine Musik schafft es ebenfalls, ganz viele Anspielungen in sich zu tragen und trotzdem sehr eigenständig zu sein“, sagt er und weiß zu berichten: „Mir wird häufiger gesagt, dass ich ein bisschen so aussehen würde.“ Schreier studierte zwischen 1999 und 2005 an der Robert-Schumann-Hochschule bei Manfred Trojahn und zählt zweifelsfrei zu den faszinierendsten Opernkomponisten unserer Zeit, der zudem – und das ist eine Seltenheit – von seinen Kompositionen leben kann.

Moderne Kategorien und Klischees sind Schreier nicht wichtig

„In meiner Musik kümmere ich mich relativ wenig um Kategorien, die man gemeinhin mit dem Begriff Neue Musik verbindet. Moderne Klischees sind für mich nicht so relevant“, beschreibt Schreier seine Kompositionen. Er stellt Musik aus unserem kollektiven musikalischen Gedächtnis in einen neuen Kontext. „Ich setze traditionelle Stil-Anklänge bewusst ein, weil ich damit etwas Bestimmtes machen möchte. Dadurch möchte ich das Publikum manchmal auch ein wenig auf eine falsche Spur setzen, um mit Erwartungen zu spielen,“ sagt er und erläutert: „Ich will dieses Konzept, was das ‚Echte sei, überwinden“. Das Artifizielle sei viel interessanter. Identität entstehe aus fremden Einflüssen: „Dadurch, dass die Einflüsse durch mich hindurch gegangen sind, ist schlussendlich dennoch alles meins“. Da stellt sich die Frage, wie nah ihm beispielsweise Mahler sei, der auch ähnliche Wege ging. Dazu sagt Schreier offen: „Mahler war der Komponist, der dafür verantwortlich ist, dass ich auch Komponist geworden bin. Mein Vater hatte Partituren von Mahler zu Hause und dies brachte mich damals dahin, auch so etwas machen zu wollen.“ Auch zu Schumann habe er eine enge Verbindung.

„Es gibt häufiger den Vorwurf, dass meine Kompositionen keinen Zusammenhang hätten, dass es Aneinanderreihungen wären“, gesteht er. Das liege daran, dass viele Kritiker festgefahrene Vorstellungen haben, was eine Art musikalische Handschrift sein soll. Etwas, was auf Reduktion beruhe. Doch nicht nur wenn man Schreiers Musik hört, auch ein Blick in die mit höchster Handwerkskunst gestrickten Partituren verraten, dass sich hier ein ganz persönlicher Stil in kunstvoll gefügten Strukturen entäußert. Früher hatte er die Tendenz, synkopische Einsätze zu schreiben. Dies habe aber zu einer Unschärfe geführt, bestätigt er. Die Partitur seiner neuen Oper ist Orchesterfreundlich, kein unnötiger Schaum, der geschlagen werden muss, um zu beweisen, wie avantgardistisch ein Komponist sei. Ein Zeichen von Reife.

Der Komponist arbeitet in einem Atelier – gerne im Stehen

Und wie und wo entstehen diese Werke? Anno Schreier hat ein Atelier in Karlsruhe, wo er lebt. In einem anderen Stadtteil, wo er bewusst hinfahren muss, um ganz in die Kompositions-Situation eintauchen zu können. In dem Raum stehen ein Stehpult, ein Schreibtisch, Computer und E-Piano. Er schreibt zunächst ein handschriftliches Particell, das entsteht am Stehpult. Das Arbeiten in dieser Position findet Schreier angenehmer, erklärt er. Die Kompositionen entstehen zunächst auf dem Papier, beschreibt er seine Komponier-Methode. „Ich schreibe eine Anfangsidee nieder und entwickle sie auf dem Papier zunächst“, sagt Schreier und ergänzt: „Ich stelle mir den musikalischen Ablauf vor.“ „Musik ist für mich Denken. Musik ist eine Art klanggewordenes Denken,“ sagt er und dies spiegelt sich auch in der Partitur zu seiner neuen Oper.

Dass diese Oper „eine Oper über die Oper“ ist, hat sich im Laufe des Kompositionsprozesses entwickelt. In der Gesprächsrunde mit Librettistin Kerstin Maria Pöhler, Dirigent Lukas Beikircher und Regisseur David Hermann, moderiert von Chefdramaturgin Hella Bartnig über die musikalische Dimension der Oper, fiel auch der Begriff „Dekonstruktion“. Doch dieser Begriff sei eigentlich ein plakatives Schlagwort, gesteht Schreier. „Meine Partitur enthält auch Elemente, die affirmativ sind“, sagt er. Er sei durchaus Popkultur-Affin und auch Popart als Kunstkonzept findet Schreier sehr interessant. Die Dekonstruktion – angelehnt an Popart – sei aber keine, die zerstören will. „David Hermann sagte im Gespräch, man müsse die Personen in dem Stück alle lieben“, dies treffe den Kern. Auch Andy Warhol habe gesagt „Pop ist, wenn man die Dinge liebt“. Schreier führt als Beispiel den bedeutenden Popart-Künstler Peter Blake an – er zeichnete sich für das berühmte „Sgt. Pepper“-Cover der Beatles verantwortlich. „Die dekonstruieren so, dass es etwas Spielerisches, weniger Negatives hat.“ Dabei lässt Schreier auch Raum für pure romantische Emotion.

So finden sich in „Schade, dass sie eine Hure war“, auch mal Passagen mit Vorzeichen, in einer bestimmten Tonart komponiert. „Da gibt es eine ganze Szene nur in der g-Moll Skala, ohne Chromatik“, sagt Schreier und zeigt die entsprechende betörende Stelle in der Partitur. Und – in seinen Opern solle man „singen dürfen“, wirklich singen – heute eine Seltenheit.

Wer sich vor der Premiere einen Eindruck von Anno Schreiers Musik verschaffen möchte, findet Noten- und Tonbeispiele auf seiner Website.