Herr Schmidtke, es ist eine sonderbare Koinzidenz, dass Herr Slagmuylder, der ursprünglich vor Ihnen designierter Programmdirektor von Theater der Welt 2020 war, just zu den Wiener Festwochen gewechselt ist, wo sie schon als Kurator und zuletzt als Schauspielchef gewirkt haben.
Theater der Welt 2020 „Düsseldorf ist Welthauptstadt der Performance-Kunst“
Düsseldorf · Interview Stefan Schmidtke wird Programmdirektor von Theater der Welt 2020. Der Festivalkurator war schon von 2001 bis 2014 leitender Dramaturg am Schauspielhaus, zuletzt am Berliner Humboldt-Forum für das Programm verantwortlich. Für ihn muss das Festival mit der Stadt in Interaktion treten.
Stefan Schmidtke: Ich war neun Jahre in Wien. Die Wiener Festwochen sind ein exzellenter Ort, aber es gibt immer Abschnitte im Leben, die schließt man dann auch wirklich ab. Ich wollte es dort beenden, bin deshalb nach Berlin gegangen. Das Humboldt Forum ist meine dritte echte Gründung. Gründungen haben immer ein abgeschlossenes Zeitfenster. Ich habe dort einen sehr großen Strukturblock aufgebaut. Zu dem besonderen Umstand, den sie erwähnen: Es ist ein sehr spezielles Fachgebiet und da gibt es sehr wenig Leute. Wenn so ein Posten zu vergeben ist, ist der Kreis derer, die in Frage kommen, vielleicht acht oder zehn, mehr sind es nicht.
Man kocht im eigenen Wasser?
Schmidtke: Nicht wirklich. Die Personen sind zwar wenige, aber die Orte, an denen etwas stattfindet, sind das Entscheidende, weil die Ausformungen eines Festivals nehmen im Besonderen Gestalt an in Bezug auf den Ort und die Menschen.
Wie sieht der besondere Bezug zu dem Ort bei Theater der Welt in Düsseldorf aus?
Schmidtke: Das Interessanteste, was passiert, ist, dass das Theater nicht nur alleine für sich stattfindet. Was gerade in Düsseldorf passiert, ist der prägnanteste und massivste Stadtumbau, den eine Deutsche Großstadt – Berlin ausgenommen – in den letzten Jahren macht. Die komplette Neuordnung des innerstädtischen Raums. Der Kö-Bogen, der Gustaf-Gründgens-Platz und die gesamte neue Stadtatmosphäre, die sich in einer zentralen Achse baut. Das ist ein sehr rares Moment in der Stadtgeschichte. Die Rekonstruktion und Wiedereröffnung des Schauspielhauses als eine zentrale bürgerliche Abbild-Institution, wenn man so will, und als Ort von lebendiger Kunst, geht ineinander mit einem Welt-Theater-Festival. Das ist ein wahnsinnig toller Moment. Das Haus ist übrigens eine Architekturikone. Das Festival hat die Chance, die atmosphärische Neuordnung der Mitte, die Neuerfindung der Stadt, durch die Düsseldorfer und mit den Düsseldorfern – die das als einen festlichen Vorgang erleben sollen – mit Künstlern aus aller Welt ineinander greifen zu lassen. Mit der Intendanz von Wilfried Schulz wird zudem das Schauspielhaus mit neuem städtischem und künstlerischem Bewusstsein positioniert.
Es hat sich also vieles zum Positiven geändert?
Schmidtke: Ja natürlich. Und die Außenwirkung, die Wilfried Schulz im Moment für das Schauspielhaus entwickelt, ist enorm. Die Vertrauensstellung, die er wiederherstellt zu der Kunst-Welt, indem dieses Haus wieder zurück gerückt wird in die bürgerliche Mitte. Das sind ganz große Vorgänge, die für eine Stadt sehr entscheidend sind. Da ist ein Festival, das sich mit der Welt beschäftigt, das sich die Welt anschaut, wie sie jetzt ist – in politisch schwieriger Lage – für eine Großstadt mit internationaler Verflechtung ein großer Moment einer Überprüfung. Eine Abgleichsituation, in der man mit dem Mittel der Kunst auch Position beziehen kann.
Wie möchten Sie das bei dem Festival umsetzen? Gibt es eine thematische Ausrichtung?
Schmidtke: Das Thema liefert die Welt, das können wir uns hier nicht ausdenken. Das, was draußen passiert, bestimmt, wie das Festival aufgebaut ist. Es gibt ein paar Grundkomponenten, die sind sehr wichtig und das ist das Besondere an Düsseldorf. Diese Stadt hat einen quicklebendig städtischen Organismus. Eine Stadt, die lebt vom Reden und Zusammensein. Theater der Welt ist nicht nur unser europäisches, in Theaterräumen stattfindende, sondern auf allen anderen Kontinenten zum großen Teilen ein öffentliches Zusammenkommen, eben nicht unbedingt in Theaterräumen. Wir diskutieren oft über Ästhetik, andere schaffen einfach gesellschaftliche Ästhetik. So habe ich die Absicht, sehr viel mit diesen zwischentheatralen Ereignissen umzugehen, die viel in diesem neuen Stadtraum möglich machen.
Was verstehen Sie unter Zwischentheatralik?
Schmidtke: Alles, was man nicht als „klassisches“ Theater erkennt. Sondern etwas, was stattfindet, man einen großen theatralen Wirkkreis hat.
Interaktion mit der Umwelt?
Schmidtke: Das ist das Allerwichtigste. Ich glaube die Chance, die die Neuordnung des Stadtraumes hat, dürfte zu sehr schönen Ideen führen.
Theater als performative Kunst?
Schmidtke: Wir werden sehen. Auch Cirque Nouveau ist im besten Sinne des Wortes Theater. Auch das gehört in Theater der Welt hinein. Da gibt es keine Grenze. Das Phänomen der letzten Jahre ist, das Theater im Moment die gefräßigste Kunst ist, die alle anderen Kunstformen in sich aufnimmt. Ob sie mit Kopfhörern durch Korridore geschickt werden oder irgendetwas im Internet erleben, ob sie plötzlich Teil einer Video-Immersion werden, ob sie einen ganz nackten Text einfach nur hören: dies alles passiert zurzeit im Theater. Weil es die einzige Kunstform ist, die noch in der Lage ist, dies alles neu zu ordnen und aufzunehmen.
Wie ist es mit der bildenden Kunst?
Schmidtke: Die hat einen anderen Begriff von Performance. Da fehlt die Wiederholbarkeit des Vorgangs. Düsseldorf ist ja auch Welthauptstadt der Performance-Kunst.
Muss Theater politisch sein?
Schmidtke: Es ist per se politisch. Ich würde aber nicht sagen, dass es sich politisch postulieren muss. Ich bin bei dem, was viele unter politischem Theater verstehen, skeptisch. Theater ist durch den Akt der Anteilnahme politisch.