Premiere vom Stadt:Kollektiv Der Zorn verbindet Mythos und Moderne
Düsseldorf · Das neue Stück des Stadtkollektivs hatte Premiere im Unterhaus des Düsseldorfer Schauspielhauses. In „Zorn“ treffen drei Generationen aufeinander, die sich ziemlich viel zu sagen haben.
„Singe den Zorn, O Göttin.“ So begann Homer seine „Ilias“. Das Stadtkollektiv hat in seiner neuen Inszenierung „Zorn“ diesen Gesang nicht nur an den Anfang gestellt. Er wird wie ein Mantra im Verlauf des Stücks immer wiederkehren und damit die Brücke schlagen zwischen antiken Mythen und aktuellen Ereignissen. Dabei werden die Grenzen bewusst verwischt. So wird Antigone zur Vorgängerin heutiger Klimaaktivisten, die sich auf Straßen kleben. Die um der Sache willen gesetzwidrig handeln und Strafen in Kauf nehmen. Hatte nicht auch die antike Heldin an ein höheres Recht als das des Staates geglaubt?
Bei der Premiere des Stücks im Unterhaus trifft Mythos auf Moderne, und es wird klar, die Menschen scheinen seit der Antike nicht viel hinzugelernt zu haben. Die Tragödien ähneln sich, die Kriege ebenso – wenn auch die Waffen verheerender geworden sind. Damals wie heute stritten die Generationen, konnten oder wollten einander nicht verstehen.
Auf der Bühne werfen die Großeltern den Kindern vor, faul und undankbar zu sein oder nicht auf ihre Ratschläge zu hören. Wenn die so Gescholtenen kontern, die Älteren hätten einen Schuldenberg angehäuft, seien für die Schäden durch den Raubbau an der Natur verantwortlich und erwarteten dann noch, dass die Jüngeren für ihren Lebensabend aufkommen, dürften nicht wenigen im Publikum diese Sätze irgendwie bekannt vorkommen.
Doch da ist noch eine weitere Generation, die der Enkel, deren Stimmen im Gezanke der anderen nicht gehört werden. Dabei eint sie alle – ob Senioren, Thirtysomethings und Teenager – die Angst. Eine Krise jagt schließlich die nächste. Gerade erst drehte sich alles noch um die Pandemie, dann kamen Energiekrise, Ukraine-Krieg und der Krieg in Gaza.
Die Generationen eint,
dass sie Angst haben
Die gegenseitigen Vorwürfe wirken schal, als allen klar wird, dass es sinnvoller ist, die Dinge zu hinterfragen. Wie war das damals? Wie hast du die Zeit nach dem Krieg erlebt? Während die Älteren von der Angst erzählen, als Ost und West im Kalten Krieg um die Wette aufrüsteten, sprechen die Jüngeren davon, wie schwer es ihnen fällt, als gleichgeschlechtliches Paar öffentlich Händchen zu halten. Einfach so gesehen zu werden, wie man ist, ohne sich entschuldigen oder verstellen zu müssen, das wünschen sich alle. Die älteren Frauen zum Beispiel, die sich übersehen fühlen oder Teenager, die mit ihren Problemen ernst genommen werden wollen.
Über allem schwebt eine Frage: Darf man eigentlich wieder zornig sein? Zorn, das ist ein altbackener Begriff. Er passt in die antiken Mythen, wenn die Götter zürnten und gewaltige Strafen brachten. Heute hört man selten, dass jemand sagt, das hat mich zornig gemacht. Wütend oder aufgeregt zu sein, das wird akzeptiert. Man darf, nein soll sich wieder empören. Doch die allgemeine Aufgeregtheit ist weit von dem archaischen Gefühl entfernt, das als Zorn bezeichnet wird. Dabei beschreibt es doch die Ohnmacht, die viele überkommt, wenn sie täglich die Bilder in den Nachrichten verfolgen. Aber vielleicht braucht es genau das, eine vor Kraft überquellende Emotion, die wie die Eruption eines Vulkans zuerst das Alte zerstört und danach Platz macht für etwas Neues.
Das Stadtkollektiv bringt mit der aktuellen Inszenierung ein Stück auf die Bühne des Unterhauses, das zum Nachdenken anregt. Was passiert, wenn junge Aktivisten Gewalt wie einst Herakles als einzige Lösung sehen? Lässt sich ihr Zorn nicht in etwas Konstruktives umwandeln?
Regisseurin Ute Plate hat ihren Protagonisten die Worte in den Mund gelegt, die wir alle auf die eine oder andere Weise schon selbst gehört und gesagt haben. Doch nun stehen sie auf dem Prüfstand. Sind die Generationenkonflikte nicht hausgemacht? Haben nicht alle ihre Probleme und Erfahrungen?
Nach der anfänglichen Konfrontation gehen die Protagonisten schließlich aufeinander zu. Sie erkennen, dass sie mehr gemeinsam haben, als alle angenommen haben. Und dass es sich lohnt, einander zuzuhören.