Uraufführung Schade, dass sie eine Hure war – so muss Oper sein
Düsseldorf · Die Uraufführung von Anno Schreiers Oper in Düsseldorf setzt Maßstäbe für zeitgenössisches Musiktheater mit den tradierten Regeln der Kunst.
Wir stehen an einer Zeitenwende, was die Zukunft des Musiktheaters anbelangt. Natürlich wurden derartige Wenden schon allzu oft beschworen, doch Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“ – jetzt uraufgeführt in Düsseldorf – nach dem Shakespeare-Zeitgenossen John Ford kann paradigmatisch für eine blühende Zukunft der Gattung Oper stehen. Wieso? Weil das Werk des 1979 in Aachen geborenen Komponisten nicht versucht, etwas anderes zu sein als eine Oper. Mit den tradierten Regeln der Kunst schafft sie zeitgleich unterhaltsam, ironisch, zeitlos, frisch und vor allem in der Künstlichkeit des Opernkosmos entwaffnend authentisch zu sein.
Künstlich und authentisch – sind das nicht Widersprüche? Bei der Uraufführung von Schreiers Oper – nach einem von Kerstin Maria Pöhler als trefflichster Opernstoff bearbeitetem Libretto – am Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein wurde aufgezeigt, dass genau in dieser Dialektik die Magie von Oper verborgen liegt. Opern, wenn sie auf durch die Musikgeschichte auferlegte Zwänge verzichten, also unbeschwert einfach Opern sein dürfen, funktionieren zu jeder Zeit.
In der Oper geht es um eine inzestuöse Liebesbeziehung
Ein an sich irrwitziger Stoff, der sich um ein inzestuöses Zwillingspaar, Annabella und Giovanni, vergebliche Liebe, Intrigen, Zwangsverheiratung, Mord und Raserei, Missbrauch und Klamotte dreht, wird zu Kunst erhoben. Die Musik des Trojahn- und Bose-Schülers Schreier ist vergleichsweise traditionell instrumentiert und zitiert sich durch die Musikgeschichte, bleibt aber dem „post-post-romantischen“ Tonfall Schreiers treu. Es ist immer Schreier, der sich verkleidet. Mal in Filmmusikklänge, mal in stereotyper italienischer Oper, auch mal zerlegt durch eine „unfähige Blaskapelle“, mal auf „Alte Musik“ getrimmt, mal mit großem dramatischem Gestus im Geiste Wagners, der dennoch verblüffend neu und rein klingt. Genau so, wie sich die Inszenierung von David Hermann mit der Bühne von Jo Schramm und den Kostümen von Michaela Barth immer wieder neue Kleider aus der inszenatorischen Weltgeschichte anzieht.
Man spielt, wie eine altbackene Inszenierung und zugleich wie zeitgenössisch-minimalistisches Regietheater oder auch im Geiste des Symbolismus. So ziehen sich etwa Fliegenpilze, ob groß, klein, als Türmchen mit Balkon oder als Symbol für Annabellas in der letzten Szene herausgerissenes Herz, durch den Abend.
Bei alledem ist die Musik des in Karlsruhe lebendenden und lehrenden Komponisten schlüssig auch im Bruch, bisweilen todernst. Doch gerade in dieser vielsprachig dichten Knüpfung von Schreiers Musik, die perfekt für alle Sänger funktioniert, die Oper ist, weil sie die Spielregeln achtet und eben nicht brechen will, aber Regeln aus allen Zeiten miteinander vermählt, liegt in der aktuellen Inszenierung eine gewisse Sollbruchstelle. Insbesondere die ersten drei Akte des Fünfakters wirken in Hermanns Regie etwas zerklüftet. Seine Ironisierung, seine Anspielungen, funktionieren, sind teils witzig und mit viel Pfiff gewirkt. Doch Schreiers Musik hat derart viel Stoff in sich, dass die zusätzliche Ebene bisweilen zu einer Überladung und semantischer Stauung führt.
Gerade in den Szenen, in denen sich die Regie zurücknimmt, wir uns im Jetzt der Regiesprache bewegen – in einer bauhausartigen, langgezogenen Wohnraumkapsel – kann die Oper wahrhafte Gefühle beim Publikum erzeugen. Etwa wenn Soranzo, den die von ihrem Bruder Giovanni schwangere Annabella aus Zwang heiraten muss, von der Schwangerschaft erfährt und die junge Frau unter den schmeichelndsten Klängen misshandelt. Hier liefert die Musik schon genug semantischen Stoff. Schreier wirkt auf einer minimalistischen Folie vielsprechender. Man denke an „Die Stadt der Blinden“ (2011) in Zürich.
Sängerin Lavinia Dames überzeugt besonders
Aber auch die musikalische Interpretation zeugte von großer Durchdringung. Lukas Beikircher und die Düsseldorfer Symphoniker treffen Schreiers Musik auf den Punkt. Nur selten wünscht man sich etwas mehr Rücksicht auf die Sänger. Wie bei dem kultivierten, aber etwas zurückhaltenden Tenor von Jussi Myllys als Giovanni. Gerne wird als Argument die Akustik des Hauses angeführt, doch bewies nicht nur die mit klarstem, schön geführtem Sopran, dramatischer Energie und lyrischer Sensibilität zugleich singende Lavinia Dames als Annabella, dass es auch anders geht. Günes Gürle (Annabellas Vater Florio), Bogdan Talos als Mönch, Diener Vasquez (Sami Luttinen) legten sich mit herrlich tiefschürfend-kraftvoller Singfreude auf Schreiers Klangschluchten. Das gesamte Ensemble bewegte sich in Schreiers Musik wie Fische im Wasser: Annabellas Freier Richard Šveda als Soranzo, Florian Simson als Bergetto, Sergej Khomov als Grimaldi; Soranzos Ex-Geliebte Hippolita, Sarah Ferede, ihr auf Rache sinnender und als Arzt verkleideter Ex-Ehemann, David Jerusalem, dessen Nichte Philotis (Paula Iancic) und die Amme Putana, Susan Maclean. Auch der Chor der Deutschen Oper am Rhein vermag der Tonsprache Schreiers würdig Klang zu verleihen.
Nachdem nahezu alle Protagonisten auf diese oder jene Weise gemeuchelt wurden und die Oper sich in Stillstand auflöst – die Zeit steht ohnehin immer wieder still in Hermanns Inszenierung –, dankte das Publikum mit durchaus herzlichem Beifall.
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