Düsseldorfer Schauspielhaus „Heisenberg“: Eine schräg-schrullige Romanze
In „Heisenberg“ treffen bizarre Charaktere aufeinander. Bei der Premiere wurde gegen OB Geisels Theater-Pläne gewettert.
Düsseldorf. Georgie Burns, Mitte 40, eine amerikanische Schul-Sekretärin in Lackledermantel und Rock mit Kandinsky-Muster, begegnet auf dem Londoner Bahnhof St. Pancras einem wildfremden Mann. Alex Christ, ein pensionierter Metzger, der mit 75 Jahren noch ganz fit ist und eine Leidenschaft für Musik pflegt, aber zunächst wie ein schmallippiger Eigenbrötler in Beamten-Graublau dasteht. Die aufgekratzte Georgie gibt ihm einen hektischen Kuss in den Nacken. Zufall? Oder: Was sind das für seltsame Charaktere, die in Simon Stephens’ neuem Stück „Heisenberg“ aufeinanderprallen und sich in eine ganz schön schräge Liebesgeschichte verwickeln?
Unscharf und schwer zu fassen bleiben die beiden bis zum Schluss — in der zügigen Inszenierung von Lore Stefanek, die ihren Star-Schauspielern auf der großen Bühne des Central freien Raum lässt. Die Liebe wird hier zu einer Beziehungs-Studie, zu einem physikalischen Experiment. Dies ist wohl die einzige Verbindung zum Titel dieser flockigen, intelligenten Komödie. Denn Werner Heisenberg entwickelte einst die Theorie über Unschärferelation in seiner Quantenphysik.
Ansonsten haben die Dialoge über Gott und die Welt mit dem Nobelpreisträger Heisenberg nichts zu tun. Thema Zufall. Kein Zufall war es wohl, dass der sonst so premierenbeflissene Oberbürgermeister Geisel die deutsche Erstaufführung des weitgerühmten und derzeit meistgespielten britischen Dramatikers Stephens verpasste. Letzterer kam angereist und wurde bejubelt. Vor und nachher hätte Geisel wenig Spaß gehabt, äußerten doch viele der gut 400 Central-Besucher (mehr passen nicht hinein) unverhohlen Empörung und Unverständnis über Geisels laut gedachten Theaterkahlschlag der letzten Tage. Von „unausgegoren“, „gedanklichem Purzelbaum“ und „Rolle rückwärts“ war die Rede. Kurz, der OB konnte nicht miterleben, wie sich zwei erstklassige, hoch dekorierte und durch TV und Kino bekannte Mimen diese schräge Liebesgeschichte zu eigen machen und demonstrieren, wie ein Theaterabend voller Leichtigkeit und Tiefgang mitreißen kann.
Geisel verpasste den Hollywood erprobten Burghart Klaußner als starrköpfigen, bizarren Metzger-Philosophen mit hängenden Schultern, der Gefühle aus seinem Leben verdrängen will. Und die Schauspielerin des Jahres aus der Wiener Burg Caroline Peters, die wie eine Quasselstrippe ihre aufgeladenen und überdrehten Geschichten über ihren Sohn erzählt, um sie Sekunden später zu widerrufen.
Was verbindet die beiden, die im Laufe der 90-Minuten-Inszenierung immer in Bewegung sind, sich annähern, entfernen, danach Sex haben, im Schlussbild in New York gar Tango tanzen? Es ist die Einsamkeit, vor der besonders die Mittvierzigerin Georgie in Panik gerät. Und deshalb laut und flatterhaft, sprunghaft und hartnäckig, ohne Punkt und Komma plappert, Alex auf die Nerven geht.
Peters mimt diese Figur hinreißend direkt, offen und zeigt eine nach Halt suchende und sehnsüchtige Frau, die plötzlich über Vergänglichkeit nachdenkt und zur Melancholikerin mutiert. Manchmal erinnert sie in Sprache und Gestik an ihre Rolle als Kriminalkommissarin Sabine Hass in der TV-Serie „Mord mit Aussicht“, mit der Caroline Peters das Format der Krimikomödie salonfähig machte.
Burghart Klaußner indes — der spröde, sachliche, desillusionierte Rentner, der sich anfangs gegen die bohrenden Fragen sträubt und nur langsam aufweicht, sich aber dann auch unerwartet wieder zurückzieht.
Doch irgendwie wirken Georgies Tiraden wie eine Verjüngungskur: plötzlich beginnt der Musikliebhaber Alex (zunächst lauscht er einer Bachsuite für Klavier und Violine auf Schallplatte) zu singen — Blues, Rock’n Roll und Country. Hier kommen Klaußners musikalisches Talent und seine wohlig röhrende Stimme zum Einsatz; denn neben seinen TV-, Film- und Theaterprojekten tingelt er ab und zu (selbst in Hollywood) mit einem musikalischen Programm.
Simon Stephens Screwball-Komödie mit schrägem schrulligem Personal, orientiert am Vorbild der gleichnamigen Hollywood-Filme, endet in den USA vor der Freiheitsstatue (Dekor: Janina Audick); denn die beiden reisen gemeinsam nach New Jersey, um Georgies verlorenen Sohn zu finden. Ob der tatsächlich existiert? Das verschwimmt bewusst in unscharfen Konturen, wie so vieles bei dieser anregenden Mischung aus Komik und nachdenklichem Ernst. Fazit: intelligentes Boulevard mit Tiefgang und Schauspieler-Fest.