Künstler Aljoscha: Mit Galoschen auf die Barrikaden
Der Künstler Aljoscha hat den Maidan in Kiew zum Ort einer ungewöhnlichen Aktion gemacht. Derzeit stellt er in Düsseldorf aus.
Düsseldorf. Aljoscha hatte die Gummigaloschen in der russisch geprägten Stadt Charkiw in der Ostukraine geschenkt bekommen. Mit den Galoschen im Gepäck reiste er im Februar nach Kiew auf den Maidan. Er setzte krakenähnliche Stachelwesen aus Draht und knallroter Acrylfarbe in die Gummischuhe und warf sie über die Barrikaden, die die Protestbewegung errichtet hatte.
Die Barrikaden gingen in Flammen auf, mit ihnen verbrannte auch eine Galosche. Die zweite brachte Aljoscha zurück in seine Wahlheimat Düsseldorf. Der schwarze Gummischuh mit Spuren vertrockneten Schlamms und einem roten Fabelwesen im Fußbett thront dort auf einem Podest in einer Kunstgalerie.
Aljoscha, der mit richtigem Namen Alexej Potupin heißt, ist ein Künstler, sein Vater ist Russe, seine Mutter Ukrainerin. Vor rund 20 Jahren kam er nach Deutschland. Bis vor kurzem hätte man ihn leichthin als Russen bezeichnet.
Seit die Ukraine aber in eine schwere Konfrontation mit Russland gestürzt ist, die Demonstranten auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Maidan unter einem hohen Blutzoll die Moskau-treue Regierung verjagt haben und Russland Schritte zur Annexion der Halbinsel Krim vollzieht, schaut man im Westen genauer auf die Nationalitäten in der Ukraine.
Aljoscha gehört zu den wenigen Künstlern, die den Maidan zum Ort der Kunst gemacht haben. „B-Meetings“ nennt der 40-Jährige seine Happenings. „Ich betrachte meine Objekte als Lebewesen“, sagt Aljoscha. „Ich erschaffe ästhetische Prototypen, Vorbilder für zukünftige Lebewesen.“ In Deutschland, Österreich und Italien ist er seit mehreren Jahren mit Ausstellungen präsent. Bis Samstag sind seine „Bioismen“ in der Galerie Beck & Eggeling in Düsseldorf zu sehen.
Die filigranen kristallinen Wesen lässt Aljoscha in subversiven Aktionen weltweit öffentliche Plätze bevölkern. Plötzlich stecken die „Bioismen“ in Krankenhausbetten, werden von Schuhputzern auf der Straße geputzt, schlängeln sich aus Kaugummiautomaten, stehen mit gefälschtem Preisschild im Supermarkt zum Verkauf — oder fliegen über Barrikaden.
Für Aljoscha war es klar, dass er auf den Maidan gehen würde. Aber dennoch will er seine Kunst nicht als Politpropaganda verstehen. „Die Kunst soll sich in Unzweckmäßigkeit manifestieren“, sagt er. „Die Lebewesen, die ich erschaffe, sollen über allen Parteien schweben.“
Am Anfang hätten die Demonstranten auf dem Maidan ihn für verrückt gehalten, sagt Aljoscha. Doch dann spielten sie die Kunstaktion mit, holten die Galoschen zurück. Den Barrikadenkämpfern habe er damit Entspannung gebracht. „Die Leute lachten und erzählten davon.“
Was geht in ihm vor, wenn er sieht, wie sein Heimatland fast zerbricht? Aljoscha kann vieles historisch begründen. Er redet davon, dass die Ukraine ein künstlicher Staat ist, dass die mittelalterliche „Kiewer Rus“ auch die Wiege Russlands war. „Alle Russen betrachten die Ukraine als ihr eigenes Ursprungsland.“ Dass Russland sich die Krim zurückgeholt habe, findet Aljoscha „nicht richtig, aber nachvollziehbar“. Doch die Grenzen der Ukraine müssten erhalten bleiben. „Wenn es heute ein solches Referendum auch in der russisch geprägten Ostukraine gäbe, würde sie sich auch sofort Russland anschließen“, meint Aljoscha. „Das wäre natürlich ein Alptraumszenario.“
Seine Aktion auf dem Maidan will er nicht als politische Manifestation verstanden wissen. Die Galoschen warf er nicht aus Wut nach dem Vorbild von Protesten in arabischen Ländern. „Die Wesen sollten sich vielmehr einen Überblick über die Geschehnisse auf dem Maidan verschaffen.“
Da ist wieder der subversive Humor, und man fragt sich, ob einer der Vorfahren Aljoschas Nikolai Gogol hieß. Den Schriftsteller, der märchenhaft Fantastisches von verlorenen Nasen oder toten Seelen schrieb, könnte man als eine Art Seelenverwandten bezeichnen. Gogols „praktischer Mystizismus“ sei für ihn jedenfalls ein Leitbild, sagt Aljoscha. Gogol (1809-1852) war übrigens ukrainischer Herkunft und gilt als einer der größten russischen Schriftsteller.