Serie – Kunst im öffentlichen Raum Kunst Norbert Krickes ist ein Signal des Aufbruchs

Düsseldorf · Serie – Kunst im öffentlichen Raum Der große Bildhauer schuf mit der „Großen Mannesmann“ das Sinnbild einer dynamischen Skulptur.

Die Skulptur „Große Giedion“ steht auf dem Nordfriehof, im Bereich der anonymen Bestattungen.

Foto: ja/Michaelis, Judith (JM)

Die 1950er und 1960er Jahre sind in der Skulptur durch drei Trends bestimmt. Die Kunst von Henry Moore gilt der dreidimensionalen Masse. Wir haben im gestrigen WZ-Bericht beschrieben, wie er mit Wölbungen, Höhlungen und Rundungen, mit ausschwingenden oder abbrechenden Kurven seine liegenden, kauernden und stehen Figuren geformt hat und schon 1948 den Großen Preis auf der Biennale von Venedig erhielt. Die Gegenposition nehmen Künstler wie Lynn Chadwick, Hans Uhlmann und der Düsseldorfer Norbert Kricke ein, der in seiner Heimatstadt mit fulminanten Werken vertreten ist. Sie arbeiten filigran. Der dritte Gegenspieler ist Joseph Beuys, der einen sozialpolitischen, teils provokanten Ansatz der Aktionskunst entwickelt und 2021 flächendeckend in Deutschland gefeiert wird.

Krickes erster großer Auftrag kam über Schneider-Esleben

Kricke (1922 – 1984) studierte bis 1946 an der Hochschule der Künste in Berlin nicht nur beim Traditionalisten Richard Scheibe, sondern auch bei Hans Uhlmann, der die ersten abstrakten Drahtplastiken schuf. 1947 zog Kricke nach Düsseldorf und wurde 1964 Akademieprofessor und von 1972 bis 1981 Rektor. Er ist einer der ganz Großen und müsste mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht werden, vor allem müssten seine Arbeiten besser geschützt werden.

Seinen ersten großen Auftrag „Große Mannesmann“ (1958-1960) erhielt er über den Architekten Paul Schneider von Esleben, genannt Schneider-Esleben (1915-2005). PSE reiste mit seinem Freund Egon Eiermann in die USA, um sich für sein Mannesmann-Hochhaus (Mannesmannufer) Anregung beim Flugzeughersteller Lockheed zu holen. Er schwärmte wie die Zero-Künstler, die er entdeckte und mit Aufträgen in der Rolandschule bedachte, von Licht und Immaterialität. Die Haniel-Garage von 1953 war sein erstes Meisterwerk der Avantgarde in Düsseldorf, ein leichtgewichtiger Bau mit gläserner Vorhangfassade und einer schwebenden, lediglich aufgehängten Zufahrtsrampe, während alle Kräfte und Lasten in der inneren Konstruktion abgeleitet waren. Das Mannesmann-Hochhaus ist sein zweiter Coup: Schlank, hoch und feingliedrig ragt es am Rheinufer gen Himmel, 1954 als ersten Stahlskelettbau in Leichtbauweise in Europa entworfen und 1960 eingeweiht. Der inzwischen pensionierte Denkmalschützer Jörg Heimeshoff sieht darin „ein Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs der 50er Jahre”. Wie das Gebäude, so steht auch Krickes „Große Mannesmann“ (1958-1960) als dazu gehörend unter Schutz.

Das Werk des Bildhauers ist wie der Bau des Architekten ein Signal des Aufbruchs. Die Skulptur besteht aus Edelstahlrohren und ist zu einem gigantischen Knoten verschlungen, aus dem heraus die Rohre nach oben stieben, als würden sie sich dem Wolkenkratzer entgegenstrecken. Licht und Luft spielen je nach Wetterlage mit der Skulptur.

Der Brite Lynn Chadwick, der erst jetzt im Lehmbruck-Museum seine erste deutsche Retrospektive erhält, wie Krickes Lehrer Hans Uhlmann und nun Kricke selbst pochten auf einen „dynamischen Rhythmus“. Uhlmann hatte hauptberuflich eine Dozentur für Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin, bevor er Ende der 1920er Jahre erste Schritte als Künstler unternahm. Krickes Lebensthema wurde das Zusammenspiel von Raum und Zeit, kristallisiert in der Bewegung. „Ich will keinen realen Raum, keine reale Bewegung, ich will Bewegung darstellen“, war sein Statement. Seine Skulpturen im öffentlichen Raum entfalten diese Dynamik.

Das Linienbündel am Rheinufer gehört zur Werkgruppe der „Raumknoten“ oder „Raumbündelungen“. Es setzt einen Kontrapunkt gegen die strenge Rasterarchitektur des Hochhauses. Die Linien schießen wie eine expressive dreidimensionale Zeichnung in den Raum. Die „Große Mannesmann“ machte Furore, sie versinnbildlicht den Optimismus und Fortschrittsglauben jener Jahre und wurde 1964 auf der Documenta III und 1967 auf der Weltausstellung in Montreal gezeigt.

Die „Große Giedion“ ist stiller, meditativer, klarer in der Konstruktion. Sie hat ihren Namen nach den Kunsthistorikern Siegfried Giedion und Carola Giedion Welcker, die als erste Kunsthistoriker über Volumen und Raumgestaltung in der Plastik des 20. Jahrhunderts schrieben. Krickes Skulptur ist aus der Linie entwickelt. Das Rohr erhält seine Standfestigkeit durch ein offenes Rechteck auf dem Boden und schnellt dann mit einer schier unfassbaren Energie in die Horizontale und damit in den weiten, unendlichen Raum. „Linie – Form der Bewegung, Bewegung – Form der Zeit, nie als Begrenzung von Fläche, nie als Kontur von Körpern – immer als raumzeigendes Phänomen, als Offenheit“, schrieb Kricke 1977. Aber diese Offenheit wurde dem Werk im Volkspark zum Verhängnis. Jugendliche übten an der Stange ihre Muskeln, das Rohr zerbrach. Nach den Worten von Krickes Tochter Sabine Kricke-Güse ist das Original inzwischen verschrottet. Heute steht eine Replik auf dem Nordfriedhof, rechterhand vom Haupteingang, im Bereich der anonymen Bestattungen.

Aber auch mit dem „Wasserwald“ von 1961-1963 für den Innenhof der Rheinischen Girozentrale am Fürstenwall, Ecke Elisabethstraße ist es nicht zum Besten gestellt. Es handelt sich um transparente Plexiglaszylinder von jeweils 3,10 Meter Höhe, die mit Wasser gefüllt sind. Das Wasser überfließt den oberen Rand und geht an der Außenwand vibrierend abwärts. Es verschwindet in einem schmalen Schlitz rings um den Fuß der Säulen, um wieder aufzusteigen. Ursprünglich handelte es sich um einen Freiplatz vor dem Gebäude, so dass Passanten an die Säulen treten und das vibrierende Wasser berühren durften. Doch seitdem ein Neubau diese Wasserskulptur eingehaust hat, kann man höchstens durch die Scheiben schauen. Das Ergebnis wirkt irritierend. Der Raum ist möbliert, der Wasserwald wie im Spukschloss in blaues Licht getaucht.

Kricke hatte den Mut, gegen seinen Kollegen Joseph Beuys anzutreten. 1968, als beide im selben Haus lehrten, rechnete er mit ihm in der Wochenzeitung „Zeit“ ab: „Beuys und seine Schüler schwärmen. Fanatisierte Jünger des Meisters durchlaufen die Akademie wie ferngelenkte Medien, tuscheln und rascheln und zeigen eine insektenhafte Aktivität, sind clever, eifrig und emsig wie Maos kleine Chinesen.“ Das war genau beobachtet und scharf. Niemand hat sich bislang neutral mit den Problemen an der Akademie beschäftigt. „Kunst kostet ein Leben“, soll Kricke gesagt haben. Er zerbrach daran. Am 28. Juni 1984 verschied er.