Kuratorin Olga Sviblova: „Unsere Künstler sind viel politischer“
Die jungen Fotokünstler aus Moskau reagieren auf die Wirklichkeit sagt Kuratorin Olga Sviblova. Ihre Werke zeigt das KIT.
Düsseldorf. Olga Sviblova leitet das Multimedia Art Museum in Moskau. 2008 präsentierte sie Andreas Gursky, jetzt gibt sie im KIT (Kunst im Tunnel) einen Querschnitt junger russischer Künstler.
Warum nennen Sie die Ausstellung „I am who I am“?
Sviblova: Der Titel spiegelt die Suche einer neuen Generation nach sozialer, wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Identität. Man darf nicht vergessen, dass erst 20 Jahre seit dem schmerzvollen Prozess des Wandels in den wirtschaftlichen und sozialen Strukturen vergangen sind. Auch heute noch existieren im Land verschiedene Wirtschaftsweisen und Mentalitäten. „I am who I am“ spiegelt diese Zwiespältigkeit wider, diesen Graben zwischen Vergangenheit und Utopie, mit der sich die ältere wie die jüngere Künstlergeneration intellektuell und emotional auseinandersetzt.
Sie beginnen Ihre Schau mit Alexander Brodskys Stadtlandschaft. Betätigen die Besucher eine Kurbel, so fallen Schneeflocken. Und ein nostalgischer Beatles-Song ertönt. Eine Ironie?
Sviblova: Das sind eigentlich normale Häuser — dann kommt das „Wunder“ humorvoll von oben.
Wie entstanden Ihr Fotomuseum und der Kontakt zur Akademie?
Sviblova: Es existiert seit 16 Jahren. Wir haben internationale Erfahrungen und machen überall Ausstellungen. Wir haben aber auch die Hochschule für junge, angehende Fotografen, die ans Museum angeschlossen ist. Die Familie Rodtschenko erlaubte uns, die Akademie nach dem großen Fotokünstler zu nennen. Alles, was Sie hier sehen, ist die Frucht unserer langfristigen Arbeit. Wir haben 42 000 Fotos von Rodtschenko bis zu Multimedia. Ausländische Fotos kaufen wir nicht.
Welche Unterschiede gibt es zwischen der russischen und deutschen Foto-Szene?
Sviblova: Rein formal gibt es sehr wenig Unterschiede. Aber die russischen Fotografen thematisieren Katastrophen wie Tschernobyl oder Kriege wie in Tschetschenien. Sie arbeiten ganz offen auch mit politischen Themen. Sie können hier eine Kurbel drehen, und die Barrieren fallen um. Wir leben jetzt in einem anderen Land als der Sowjetunion, in einer sehr komplizierten Realität. Die Düsseldorfer haben andere Themen. Sie nehmen keine sehr aktive Position ein, sie beschäftigen sich eher mit formalen Experimenten.
Gibt es Bezüge zu den inhaftierten Musikerinnen der Punkband Pussy Riot, die mit ihrer Kunstaktion den Kremlchef und den Patriarchen kritisiert haben?
Sviblova: Alle russischen Künstler reagieren auf die Wirklichkeit. Hier konnten sie es nicht, denn die Schau ist lange geplant.
Seit neun Jahren tauschen sich Künstler aus Düsseldorf und Moskau aus. Wie ist das Verhältnis zwischen beiden Städten?
Sviblova: Moskau und Düsseldorf haben ein super Verhältnis zueinander. Mehr als 40 junge russische und deutsche Künstler nehmen an diesem größten kulturellen Austausch teil. Ich habe als erste und einzige Kuratorin die gesamte Schule der Fotografie aus Düsseldorf nach Moskau geholt. Wir haben die Fotobiennale mit je 60 Fotografen aus aller Welt und mehr als 500 000 Besuchern.
Sie zeigen mit Apollinaria Broschet eine 17-Jährige. Verkörpert sie die neue Generation?
Sviblova: Sie stellt mit ihren Klassenkameradinnen eine Erzählung von Anton Tschechow, „Raum Nummer 6“, als Performance dar. Die Teenager spielen in einer verlassenen Klinik für geistig Behinderte, als sei dieser Ort eine Metapher für die Gegenwart.