Videografie Marathonlauf mit Live-Kamera und Spiegel

Düsseldorf · Stephan Komitsch, der Videograf auf der dunklen Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus. Ein Porträt.

Stephan Komitsch kniet auf der großen Bühne und schickt mit der Live-Kamera Bilder auf die riesige Projektionswand.

Foto: Düsseldorfer Schauspielhaus/Thomas Rabsch

Stephan Komitsch stöhnt: „Seit 20 Jahren bin ich Videograf, und noch immer muss ich den Leuten erklären, was ich mache. Die Berufsbezeichnung eines Video-Designers verstehen sie nicht. Wenn ich sage, ich arbeite am Düsseldorfer Schauspielhaus, halten sie mich für einen Schauspieler. Sobald ich erkläre, ich mache Videos, glauben sie, ich würde die Vorstellung abfilmen. Tatsächlich aber bin ich live auf der Bühne.“

Wir entdeckten ihn von der vierten Zuschauer-Reihe aus in der Aufführung „Die Entdeckung des Himmels“ im Großen Haus, wie er im Dunklen vier Stunden lang mit seinen Kameras über die Bühne flitzte oder andächtig kniete. In „Lazarus“ sind es lediglich zwei Stunden.

Die Beobachtungsgabe dieses Mannes ist beeindruckend, denn er muss permanent Bilder von Gesichtern, Gesten und Handlungen erzeugen, die auf eine Großleinwand projiziert werden. Da seine filmischen Bilder über Spiegel reflektiert werden, berechnet er fast schon automatisch auf Schritt und Tritt den Einfallswinkel und den Ausfallswinkel. Denn nur so wird aus einem ganz normalen, also kleinen Gesicht eine Aufnahme, die die gesamte Bühne zu überspannen scheint. Das ist nicht nur eine sportliche Leistung, sondern auch ein visueller Drahtseilakt. Dabei hantiert er mit einer bis zwei Spezialkameras.

Seine Videobilder betören. Sie überhöhen das Geschehen, das sich auf den Bühnenbrettern abspielt. Nur so bekommt es eine kosmische Dimension, scheint zwischen Himmel und Erde zu vermitteln. Seine Bilder projizieren nicht nur das Geschehen, sondern geben ihm auch eine symbolische Kraft. Das will genau kalkuliert sein, auch wenn das Spiel auf den Betrachter spontan wirkt. Er hat eine ganz prosaische Erklärung, wie es dazu kommt: „Es gibt Markierungen auf dem Boden, für die Spieler, die Spiegel und die Kameras.“ Ein Beispiel: Die Hauptdarstellerin Ada hat einen Spiegel hinter sich. Stephan Komitsch muss ihn für das Publikum unbemerkt genau zwischen zwei Linien auf dem Podium stellen. Er stellt also die Kamera und den Spiegel auf oder zwischen die vorgegebenen Zeichen. Er sagt: „Die Spielerin muss genau auf der Markierung stehen, denn nur so kann ich sie im Videobild schräg auf die Leinwand werfen und vergrößern. Ich muss sie ganz links aufnehmen, so dass ihre Schulter gerade noch auf der Projektionsfläche erscheint.“

Sofort versteht der Zuschauer, was da los ist, wenn sich die Hände von Ada und ihrem Geliebten übereinander schieben. Eine spannende Videoszene ist dies. Hier hält das Publikum den Atem an. Aber es weiß natürlich nicht, dass dies ein digitaler Schnitt ist. Denn unabhängig von der Bühne gibt es einen Techniker, der am Computer sitzt und auf die entsprechenden Knöpfe drückt, um zu bestimmen, wann welches Bild auf Sendung geht.

Komitsch und sein Regisseur Matthias Hartmann arbeiten seit Jahren zusammen. Sie proben die einzelnen Bildideen so lange live, bis es schmerzt. „Es ist grauenhaft, wie lange es dauert, denn alles muss zusammenkommen“, sagt Komitsch. Um diesen Prozess abzukürzen, wurden bei der „Entdeckung des Himmels“ Ideen auch aus früheren Inszenierungen „recycelt“, also wiederholt. Dazu gehört das Spiel mit den Händen.

Tatsächlich geht es stets um die Beziehung der Menschen zueinander, um den Kontakt zwischen Göttlichem und Irdischem, auch um einen Perspektiven-Wechsel oder einen Kommentar zum Spiel. Dabei ist es für Komitsch wichtig, nicht alles zu zeigen, sondern Gesichter und Szenen anzuschneiden. Bei einer Leinwand, die mit 90 Quadratmetern Fläche größer als eine Vier-Zimmer-Wohnung ist, gelingt dies durch Überblendung, Schrägstellungen, aber auch durch Zeichen und Zeichnungen.

Nun nennt das Programmheft neben Stephan Komitsch immer auch den zweiten Mann, der den gesamten Inhalt an Bildern programmiert. Dazu benutzt er die Software „Pandoras Box“, ein Zuspielsystem für Veranstaltungen aller Art. Er muss wissen, wie schnell ein Bild ankommt, wie es überblendet wird, wie der Schnitt ist. Fragen wie im Film müssen hier live auf der Bühne oder hinter der Bühne entschieden werden.

Der Fachmann weiß aber auch, wann ein Bild am schönsten ist: „Wenn es leicht unscharf ist. Nur dann hat es eine gewisse Poesie, und auf die kommt es ja an. Ich beiße mich so lange an Objekten oder Gesichtern fest, bis ich sie habe, bis ich weiß: Da blüht etwas auf.“

Zur Vita des Videografen: Stephan Kolitsch wurde 1974 in Freiburg geboren, arbeitete bei verschiedenen Fotografen in kleinen PR-Agenturen, studierte Film-, Fernseh- und Theaterwissenschaften in Bochum und machte auf sich aufmerksam, indem er 2002 und 2003 das Internationale Bochumer Videofestival leitete. Seit 2001 arbeitet er als freier Kameramann und Videodesigner für Schauspiel- und Opernhäuser zwischen Wien, Zürich und Kiel, den Salzburger Festspielen und der RuhrTriennale.  Mathematik habe er nicht studiert. „Ich muss ja spontan reagieren, muss das richtige Zeitgefühl haben und darf die Szene mit meinen Kameras und Spiegeln nicht stören“, sagt er.