Düsseldorf „Wir müssen nach Amerika“
Am Samstag gibt es wieder eine Ballettpremiere. Dann geht es auf Reisen. Ballettchef Schläpfer hat die Zahl der Gastspiele deutlich erhöht.
Düsseldorf. Herr Schläpfer, zurzeit haben Sie viel mit internationalem Publikum zu tun. Wie nehmen Sie den Blick der unterschiedlichen Mentalitäten auf Ihren Tanz wahr?
Martin Schläpfer: Na ja, lassen wir München weg, obwohl auch das ein ganz anderes Deutschland ist, waren Moskau, Edinburgh und Barcelona schon sehr extrem. Eine englische Zeitung hat meine 2. Sinfonie von Brahms „Euro Trash“ genannt. Und Schottland tickt noch mal anders. Man merkt, die Tanzkunst in Großbritannien hat die Tendenz, sich selbst zu feiern. Moskau wiederum ist eine Metropole. Es ist toll dort und doch ist diese Stadt mit ihren 17 Millionen Einwohnern sehr abgeschlossen. Das spürt man auch im Tanz. Beim Prix Benois de la Danse, für den ich mit meinem Stück „Deep Field“ nominiert war, war ich künstlerisch ein kompletter Außenseiter Es gibt dort aktuell kaum zeitgenössischen Tanz. Der Stolz der Menschen auf ein äußerlich erstarktes Russland ist schon sehr offenkundig.
Das nächste Gastspiel führt Sie in zwei Wochen nach Tel Aviv.
Schläpfer: Ja, eine großartige Stadt, kosmopolitisch und unglaublich jung in ihrem Verhalten. Ich war vor vielen Jahren als junger Tänzer dort und habe die Stadt lieben gelernt.
Sie haben „Ein Deutsches Requiem“ für Israel ausgesucht.
Schläpfer: Die Jerusalem Post hat mich gefragt, warum ich ein deutsches Stück mitbringe? Und wie es ist, als deutsche Compagnie nach Israel zu kommen? Das ist ein Thema. Natürlich. Okay, ich bin Schweizer, aber was heißt das schon. Zu sagen, ich bin neutral und schließe die Grenze, entbindet einen nicht von einer Mitschuld an dem Morden der Nazis. Aber das Ballett am Rhein geht nach Israel, um Tanzkunst zu machen. Nicht explizit deutsche Tanzkunst.
Für die Vorstellungen im Oman haben Sie die Szene gestrichen, in der ein Tänzer vorgibt, Beaujolais zu trinken. Wie weit reicht Ihre Bereitschaft, Ihre Werke den Gegebenheiten unterzuordnen?
Schläpfer: Bei gewissen Aspekten — viel nackte Haut, die ich in meinen Choreographien liebe — muss man sensibel vorgehen. Das ist klar. Es gibt jedoch einen Punkt, an dem ich nicht mehr mitmache. Bei dem Gastspiel im Oman wäre es fast soweit gewesen. Brahms „Kunst der Fuge“ in Barcelona war für die katholische Stadt zu protestantisch, zu intellektuell. Aber man hatte sich das Stück gewünscht. Nach diesen Erfahrungen habe ich entschieden, mich nie mehr zu etwas überreden zu lassen. Notfalls findet das Gastspiel nicht statt.
Brahms Requiem feiert das Leben. Sie zeigen es in einer Region, in der die Völker um Erlösung kämpfen. Das klingt nach einer strategischen Entscheidung.
Schläpfer: Ich bin ein politischer Mensch, aber ich will mich nicht politisch verhalten. Und ich will auch nichts Christliches nach Israel bringen. Brahms war nicht wirklich religiös. Es geht um die Fragen, die sich der Mensch in der Welt stellt.
Sie haben einmal gesagt: Alles ist politisch. Sind Ihre Werke also eine Reaktion auf das, was ist?
Schläpfer: Mein Ziel ist nicht, politische Stücke zu machen. Diese sind, weil sie auf Zustände antworten, temporär stark. Kunst aber muss ihre Aussagekraft über ein aktuelles Zeitfenster hinaus haben. Sie muss einen treffen — unabhängig von allem anderen. Generell sind in Israel politische Stücke sicher sehr wichtig. Die Menschen brauchen sie, um zu verarbeiten, was dort geschieht.
In der Kunst sind aber doch Spannungen wahrnehmbar. Einer Tänzerin wie Marlúcia do Amaral gelingt es eindringlich, diese gesellschaftlichen Spannungen in den Tanz zu übertragen.
Schläpfer: Marlúcia kann so etwas. Sie ist ein Star. Nicht im Sinne von Diva, sondern als Künstlerin. Viele Menschen würden wohl sagen: Das ist Ballett. Ich sehe das aber so: Ich nutze sehr bewusst jeden Muskel meiner Leute.
Reden Sie mit der Compagnie darüber oder geben Sie die Bewegungen bloß vor?
Schläpfer: Ich rede sehr viel. Im Moment bin ich sehr konzentriert. Das hat auch mit dem neuen Balletthaus zu tun. Es engt nicht ein. Ich bin wirklich dankbar für die Studios. Es gibt genug, so dass wir uns für die Proben die Zeit nehmen können, die wir brauchen.
Warum, meinen Sie, gehört Ihre Kunst in die Welt?
Schläpfer: Wir sind nicht so bekannt wie Pina Bausch oder Sasha Waltz. Aber wir müssen uns auch nicht verstecken. Ich möchte herausfinden, inwieweit wir in der internationalen Welt Interesse wecken können. In den vergangenen Jahren habe ich viel Zeit in den Aufbau des Ballett am Rhein investiert. Das war gut so. Jetzt möchte ich noch mehr als Künstler arbeiten.
Haben Sie eine internationale Wunschbühne?
Schläpfer: Ich weiß nicht. Ich möchte gerne nach Polen. Aber wir müssen auch nach Amerika. Das City Center in New York. Es wird Zeit. Langsam laufen die Kontakte an.
Am Samstag gibt es aber erst einmal eine Ballettpremiere in Düsseldorf. Mit Werken von drei großen Meistern.
Schläpfer: Ja, Forsythe, Frederick Ashton und Hans van Manen. Eine ungeheure Körperlichkeit steht im Zentrum dieses Abends. Mit deutlichen Unterschieden. Die „Two Gold Variations“ von Hans van Manen sind vielleicht sogar eines seiner aggressivsten Werke.
Von Ihnen ist kein Stück dabei.
Schläpfer: Nein, dieses Mal nicht. Es tut sehr gut, andere Choreographien anzuschauen und zu studieren.