Notfallseelsorger Uwe Rieske: „Wir brauchen eine Task Force für Terroropfer“
Notfallseelsorger Uwe Rieske steht Überlebenden von Anschlägen und ihren Angehörigen bei und trifft sich mit ihnen regelmäßig in Düsseldorf.
Düsseldorf. Der evangelische Pfarrer Uwe Rieske arbeitet mit Betroffenen von Terroranschlägen. Bereits vier Mal kamen in Düsseldorf bei Hinterbliebenen-Treffen Betroffene zusammen. Auch Menschen aus dem Raum Düsseldorf nahmen teil. Sie überlebten den Anschlag in Tunesien 2015, bei dem ein Attentäter am Strand 38 Touristen erschoss. Zum ersten Einsatz in der Notfallseelsorge kam Rieske nach dem Tsunami von 2004. Seit 2011 arbeitet er im Landespfarramt für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Herr Rieske, wie erleben die Opfer von Terrorismus die Zeit nach dem Anschlag?
Rieske: Es gibt eine ganze Bandbreite von Reaktionen. Betroffene von verschiedenen Terrortaten nahmen an unseren Treffen teil. Es ist ein Unterschied, ob man einen Terroranschlag selbst erlebt hat oder ob man die Nachrichten verfolgt und erfährt, dass Verwandte davon betroffen sind. Unter denen, die einen Terroranschlag erleben, gibt es manche, die erstarren und nichts mehr wahrnehmen, aber auch Menschen, die klar und handlungsfähig bleiben.
Gibt es, verglichen mit einem anderen schweren Schicksalsschlag, Unterschiede in der Trauer?
Rieske: Auf den ersten Blick nicht. Zunächst bewegt die Menschen nach einer Terrortat wie nach anderen Ereignissen die Suche nach Orientierung: Was ist passiert? Wen habe ich verloren? Wo bekomme ich Informationen? Bei Terrortaten bestimmt manche sehr stark die Frage „Bin ich hier sicher?“ Insbesondere bei Betroffenen, die im Ausland Terrortaten erlebt haben, ist dies ein Unterschied zu dem, was man beispielsweise bei einem Unfall erlebt. Aber auch nach dem Tsunami 2004 waren Leute keineswegs sicher, dass nicht eine weitere Welle kommt.
Wie arbeiten Sie bei den Hinterbliebenen-Treffen mit den Menschen?
Rieske: Zunächst einmal geben wir ihnen die Chance, ins Gespräch zu kommen. Das nehmen viele dankbar auf. Die Betroffenheit von einem Terroranschlag macht im eigenen Umfeld oft einsam, besonders einige Zeit danach. Auf unseren Treffen können Betroffene offen sprechen. Es ist eine Schicksalsgemeinschaft, die Vergleichbares erlebt hat und zuhört, ohne zu werten. Im eigenen Umfeld wird das häufig nicht so stark erlebt.
Was haben die Menschen aus dem Düsseldorfer Raum erlebt, die an den Treffen teilnehmen?
Rieske: Sie waren bei der Terrortat in Tunesien im Jahr 2015 dabei. Dort hat am Strand ein Attentäter um sich geschossen. Sie haben miterlebt, wie Lebenspartner an ihrer Seite gestorben sind. Viele Betroffene tragen schwer an einer Überlebensschuld, die sie sehr belastet. Es gibt auch Betroffene aus dem Rheinland, die diese Tat überlebt haben, den Attentäter vor der Tat bemerkt haben und dann in Todesangst vor ihm am Strand geflohen sind. Sie haben sich zwei Tage in einem Nachbarhotel verschanzt und nicht raus getraut, weil sie sich nicht sicher waren, ob die Lage wirklich geklärt ist.
Von welchen Erlebnissen berichten weitere Betroffene?
Rieske: Zu uns kommen Menschen, die das Attentat auf dem Breitscheidplatz in Berlin im Dezember letzten Jahres erlebt haben und seither nicht mehr arbeitsfähig sind. Es gibt Menschen, die in der Fähigkeit, in ihrem Alltag zu funktionieren, stark beeinträchtigt sind — durch Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen und ein stark ausgeprägtes Vermeidungsverhalten.
Glauben Sie, dass in Deutschland für die Opfer von Terroranschlägen genügend unternommen wird?
Rieske: Nein, das glaube ich nicht. Deswegen machen wir dieses Angebot. Die Initiative entstand, da es auch im Rheinland Betroffene von Terrortaten gibt, die wenig oder sogar gar keine Hilfen erfahren. Ich würde mir wünschen, dass es bereits in der Frühzeit Akuthilfen gibt. Dazu gehören verlässliche Ansprechpartner und Zugänge zu Informationen. Wir brauchen in Deutschland eine Art Task Force, eine gut ausgebildete Einsatzgruppe, die sich nach Terrortaten um die Betroffenen kümmert und mit regionalen Kräften kooperiert. Nötig ist ein koordiniertes, gut abgestimmtes Zusammenspiel von Behörden, Institutionen, freien Anbietern und Hilfsorganisationen. Die Betroffenen sollten in der Akutphase, aber auch darüber hinaus die bestmögliche Unterstützung erhalten. Das wird von vielen Betroffenen auf unseren Treffen als sehr defizitär empfunden.
Wie gehen Sie und Ihr Team mit dieser Trauer um?
Rieske: Viele Einsatzkräfte wie Rettungssanitäter, Notärzte und Polizisten werden mit starken Belastungsreaktionen von Betroffenen konfrontiert. Da stehen wir nicht alleine. Wir sind eingebunden in das Netzwerk der Psychosozialen Hilfen. In unseren Teams arbeiten wir immer mit Supervision und können uns untereinander austauschen. Wie andere Einsatzkräfte auch haben wir Verantwortung für uns selbst und unsere Familien, für unsere eigene psychische Gesundheit Vorsorge zu treffen.
Was raten Sie den Angehörigen von Terror-Opfern?
Rieske: Sie sollten sich die Geschichten der Betroffenen anhören und wenn möglich, Empathie entwickeln und ehrlich sein. Sie sollten auf Tipps oder Ratschläge verzichten. Viele Terrorbetroffene reagieren sehr dankbar, wenn man ihnen in ihrem eigenen Umfeld nicht ausweicht und nicht erwartet, dass alles wieder wie früher funktioniert. Sehr viele von ihnen unterteilen ihr Leben in eine Zeit vor und danach. Sie sagen, dass es nie wieder so sein wird wie vor dem Anschlag.