Kindeswohl Kinderärzte und Jugendamt starten Projekt gegen Kindesmisshandlungen
Düsseldorf · Neues Info-Papier listet alle Hilfsangebote in Düsseldorf für Eltern in Nöten auf – es wird ins gelbe Untersuchungsheft eingeklebt. 1500 Hinweise auf Kindeswohlgefährdung erreichen das Jugendamt pro Jahr.
Publik werden meistens nur die schlimmsten Fälle von Kindesmisshandlung oder Verwahrlosung. Wenn ein Kind sogar ums Leben kommt. Oder wenn es – wie bei dem 2018 in Düsseldorf bekannt gewordenen Fall – mit vielfach gebrochenen Knochen ins Krankenhaus eingeliefert wird und dann auch noch herauskommt, dass die anderen neun Geschwister ebenfalls verwahrlost lebten und misshandelt wurden. Doch viel häufiger leiden Kinder in Deutschland unbemerkt – und selbst das durchaus dicht gewebte Präventionsnetz mit den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt bewahrt sie davor oft nicht. Denn viele Eltern wissen gar nicht, an wen sie sich im Krisenfall wenden können. Deshalb haben die Kinder- und Jugendärzte jetzt in Kooperation mit dem Düsseldorfer Jugendamt eine ganz praktische Handreichung für Eltern zum Schutz gefährdeter Kinder entwickelt.
Selbst Kinderärzte kennen nicht alle Hilfsangebote
18 Angebote zu Frühen Hilfen“ listet das einseitige Papier auf, das jetzt immer vorne in das gelbe Kinderuntersuchungsheft eingeklebt wird, das alle Eltern bei der Geburt ihres Kindes bekommen. eine entsprechende App wird ebenfalls eingerichtet. Sie reichen von „Eltern-Kind-Angeboten 0-3 Jahre“ über Familienpaten, „Babylotsen“, Eltern-Säuglings-Beratung, die „Schreibaby-Ambulanz“ bis zu „Ärztlichen Kinderschutzambulanz“ am EVK. Die Herstellungskosten für die ersten 20 000 Einkleb-Papiere übernimmt der Verein Sterntaler mit der Vorsitzenden Caro Merz, der sich seit 2000 in vielfältiger Form für hilfebedürftige Kinder in Düsseldorf engagiert.
Information und Kommunikation zwischen allen für das Kindeswohl Verantwortlichen: Das sei das A und O, sagt Hermann-Josef Kahl, der Düsseltaler Kinderarzt, der zugleich Bundespressesprecher der Kinder- und Jugendärzte ist: „Medizinisch erkennen wir Defizite ganz schnell, einen Herzfehler oder die Hüftfehlstellung. Aber eine gefährdete Familiensituation oft nicht.“ Dass überforderte Eltern, oft handelt es sich um sozial schwache, arme Menschen, unter dem Radar bleiben, habe mehrere Ursachen, sagt Kahl: „Sie schämen sich, wechseln lieber häufig den Kinderarzt, bevor Missstände auffallen.“
Dass bei gestressten Eltern etwa von Schreibabys, insbesondere bei Alleinerziehenden, schnell die Nerven blank liegen können, das versteht der Kinderarzt: „Man darf überforderte Eltern damit nicht allein lassen.“ Tatsächlich ist so manches gute Hilfsangebot unbekannt, Wilfried Kratzsch, der 26 Jahre das kinderneurologische Zentrum am Gerresheimer Krankenhaus leitete und besonders mit den psychischen Folgen der Misshandlungen für die Kinder konfrontiert war, hat zum Beispiel herausgefunden, dass sogar manche Kinderärzte in Düsseldorf nicht wussten, dass es eine Familien-Kinderkrankenschwester gibt, die Hausbesuche macht.
Das städtische Jugendamt erreichen immer öfter Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung, 2018 waren es etwa 1500. Doch daraus lässt sich kein Trend ableiten, alle Experten betonen, dass die Zahl der Kindesmissbräuche und -verwahrlosungen seit Jahren ein Problem sind – aber kein größer werdendes. Vor allem aber ordnet Stephan Siebenkotten-Dalhoff vom Jugendamt die Zahl 1500 nüchtern ein: „Meistens sind es Hinweise auf viel Schreierei in einer Familie. Nur hinter zehn Prozent aller Hinweise steht ein Fall von Verwahrlosung oder gar Misshandlung.“ Dennoch sei es wichtig und hilfreich, dass das öffentliche Bewusstsein so geschärft sei, jeder Hinweis sei willkommen, weil daraus oft einfache Hilfen resultierten.