Stadt-Teilchen Es wird Zeit für einen Abstecher
Terra incognita in Eller, Grafenberg und Gerresheim
Düsseldorf. Ich habe mir neulich mal Gedanken gemacht, wie ich meine Heimatstadt nutze, was ich brauche, wohin meine Wege mich führen. Ich habe mir dann eine Karte von Düsseldorf geschnappt und dort alle meine Wohnorte eingetragen. Meine Geburtsklinik in Heerdt, mein Kinderdomizil in Oberkassel, meine Einschulungsadresse in Bilk, meine Pubertätsresidenz in Bilk, meine erste WG in Bilk. Es folgte 1985 der Auszug aus meiner WG und der Umzug in eine gänzlich fremde Welt — nach Oberbilk.
Ich zog in eine große Wohnung an der Höhenstraße. Sie war günstig und lag direkt über einem ruhigen Restaurant. Ich packte meine Kartons in die Wohnung und fuhr in Urlaub. Als ich aus dem Urlaub zurückkehrte, war das Restaurant verschwunden. Stattdessen lag ein Zettel in meinem Briefkasten, der für das nun unter mir eingezogene „Rockcafé Sunshine“ mit „Spitzensound“ warb. Die Werbung war ausnahmsweise nicht übertrieben. Von dem Spitzensound konnte ich mich fortan in all meinen Räumlichkeiten überzeugen. Und wenn das Rockcafé am frühen Sonntagmorgen mal Pause machte, bekam ich akustischen Ersatz von der Kirche gegenüber. Bimm und Bamm und dann wieder Bimm.
Ein Dreivierteljahr habe ich das ausgehalten, dann musste ich wieder zurück in meine Heimat — nach Bilk. Dort habe ich dann auch noch ein paar Mal die Wohnung gewechselt, aber die Grenzen meines Stadtteils habe ich immer beachtet. Ich wusste, ich komme da draußen nicht klar.
Dementsprechend wirkt Bilk auf meiner Karte ziemlich vollgekleckert, komme ich doch auf sechs Adressen innerhalb der Stadtteilgrenzen. Jahrelang habe ich daher verleugnet, ein Düsseldorfer zu sein. Ich habe mich immer als Bilker vorgestellt. Zu Bilk konnte ich stehen. Bilk war meine Heimat.
Ja, man muss war sagen. Weil mich die Liebe dann doch wieder eines Besseren belehrt hat. Seitdem verbringe ich viel Zeit in der abgeschiedenen Ruhe eines Eifelörtchens und genieße gleichzeitig die Vorteile einer Wohnung im Hafen, also in Unterbilk. Ausland zwar, aber doch ein erstaunlich angenehmes Umfeld. Viele junge Menschen unterwegs. Remmidemmi in Maßen. The Best Of Both Worlds nenne ich das, und erstaunlicherweise funktioniert das. Man kann also auch im hohen Alter noch seine Gewohnheiten ändern.
Ich habe die Karte dann noch erweitert und all jene Orte eingetragen, an denen ich in Düsseldorf studiert, gefeiert, gearbeitet habe. Ich habe diese neuen Punkte dann mit den Wohnpunkten verbunden. Mit dünnem Stift habe ich Linien gezogen zwischen Wohn- und Arbeitsorten. So ist ein richtiges Spinnennetz entstanden, das ein bisschen was über mich aussagt.
Ich habe nämlich festgestellt, dass ich mich vornehmlich auf der Rheinschiene bewegt habe. Kaiserswerth und Benrath waren Schwerpunkte für Studium und Beruf. Die Altstadt ist auch dabei, als juveniler Erlebnisraum quasi.
Was meine Karte aber vor allem zeigt: wo ich nicht war. Es gibt in Düsseldorf Stadtteile, die ich sträflich vernachlässigt habe. Zu Lierenfeld, Unterrath und Eller habe ich quasi keinen Bezug. Ich bin da höchstens mal durchgefahren. Ehrlich gesagt kenne ich mich in Köln besser aus als in Eller. Meine Abneigung kann natürlich damit zu tun haben, dass es in meiner Jugend berüchtigte Banden gegeben haben soll in Eller. Das haben wir uns zumindest in unserem Bilker Jugendklub erzählt, wenn wir mal ein bisschen Spannung brauchten. „Die aus Eller“ sind im Anmarsch hieß es dann, und alle haben ein bisschen gebibbert. „Die aus Eller“ galten als schlimme Schläger. Gekommen sind sie meines Wissens nie. Wahrscheinlich waren ihre Mofas kaputt, oder ihnen war es zu mühsam, die Bahn zu wechseln, um nach Bilk zu kommen.
Gekommen sind meist nur „die vom Fürstenplatz“. Die waren auch berüchtigt. Wenn die in unsere Jugendheim-Disko einmarschierten, konnte man sicher sein, dass es Kloppe gab. Nicht für alle, aber das eine oder andere Mal war auch ich Opfer. Nicht wirklich schlimm, aber auch nicht angenehm.
Während das meine Abneigung gegen Eller halbwegs erklären mag, habe ich für meine Unkenntnis von Gerresheim, Mörsenbroich und Grafenberg keinerlei schlüssige Erklärung. Für mich sind diese Stadtteile nach wie vor Terra incognita, unentdecktes Land. Im Falle von Grafenberg mag das vielleicht damit zusammenhängen, dass Grafenberg früher das Synonym war für die psychiatrischen Kliniken. Wir nannten das früher in unserer betont laxen Weise Irrenhaus. Wenn uns einer nicht passte, sagten wir: „Der gehört nach Grafenberg.“ Dabei soll Grafenberg sehr schön sein.
Ich denke, es ist Zeit, mal ein paar neue Striche auf die Karte meiner Heimatstadt zu zeichnen. Ich habe meinen nächsten Bali-Urlaub abgesagt. Ich mache jetzt Trekking. Erst Eller, dann Grafenberg, und vielleicht ist dann auch noch ein Abstecher nach Gerresheim drin. Soll ja toll sein dort. Vielleicht kann man dort mit Eingeborenen reden. Hinterher schreibe ich dann ein Buch. „Erlebnisse im Ausland“ heißt das dann oder „Out of Bilk“. Ich bin sehr gespannt, was Düsseldorf mir noch so zu bieten hat.