Tänzerin Viviana Escalé: 70-Minuten-Solo zum Abschied von der Bühne
Die Künstlerin beendet ihre Karriere mit dem Stück „Bruixa“. Eine eigenwillige Mischung aus Melancholie und Selbstironie.
Düsseldorf. Sie schleicht und wälzt sich über den Boden. Manchmal vernimmt man ein Stöhnen. Dann stimmen Engelschöre feierliche Lobgesänge an. Die anfangs geheimnisvolle Gestalt hat einen Stoffturm über ihr Gesicht gestülpt. Nur schemenhaft nimmt man die Konturen von Viviana Escalé wahr. Zumal es stockfinster ist auf der Kleinen Bühne im Tanzhaus NRW. Die katalanische Tänzerin soll erinnern an eine Wahrsagerin à la Kassandra oder, wie der Titel des Stücks „Bruixa“ es nahelegen will, vielleicht an eine Hexe (so die deutsche Übersetzung von bruixa).
In erster Linie aber geht es in dem 70-Minuten-Solo, zu dem sich ab und zu die achtjährige Schlagzeugerin Malu gesellt, weniger um prophetisierende Zauberei denn um eine nicht mehr ganz so junge Frau, die Abschied nimmt. Von der Bühne, von einem Leben als gefragte Solistin der zeitgenössischen Tanz-Szene. „Ich bin über 40“, sagt sie kokett. Sie sei noch fit. „Viele Tänzerinnen hören auf mit vierzig. Stéphanie gab mir die Chance für eine letzte Vorstellung.“ Und so erklärt sie dem Publikum (einige gehören zu ihren Fans), wie das so ist mit einer modernen Tanz-Produktion. Ursprünglich sollte ein Tänzer dabei sein, sagt sie. „Doch dafür reicht das Geld nicht, deshalb macht Stephanies Tochter Malu mit.“ Ironie oder die Wahrheit? Ein Schmunzeln geht durch die Reihe.
Unter den Stühlen der Zuschauer, die im Kreis um die Künstlerin sitzen, liegen Requisiten. Perücken, Würste und Brotscheiben. Vieles ist anders bei Stephanie Thiersch, die seit vielen Jahren im Tanzhaus NRW ihre kreative Heimat gefunden hat. Die Choreographin, deren Tochter schlagfertig die Percussion bedient, es ganz gerne mal so richtig laut hat, häkelt zwischendurch Wolle. Und reicht Viviana Requisiten an. In ihrem Abschiedsspiel berührt Vivian Escalé durch eine eigenwillige Mischung aus Melancholie und Selbstironie, aus vorgespielter Heiterkeit und stiller Trauer über die vergangene Zeit. Sie spricht über sich, Gott und die Welt — wie im Tanztheater seit den frühen Pina-Bausch-Jahren üblich — sie singt, tanzt und mimt.
Von Szene zu Szene verwandelt sich die Katalanin, entblättert sich, schreitet im Kreis, gerät ins Wanken, knickt ein, fällt hin. Manchmal mutiert sie zur Ritualtänzerin, die sich in Ekstase stampft. Oder rollt über den Boden, lässt sich Würste und Brot von den Zuschauern reichen, macht Kopfstand oder balanciert auf den flachen Toastscheiben.
Später übt sie das Nichtstun, legt sich auf eine Fließdecke in Babyrosa und chillt, in Gesellschaft von Malu. Das Mädchen bleibt bis zum eindringlichen Finale ihre treue Begleiterin. Viviana legt sich nieder, räkelt sich. Malu dekoriert sie mit Blumen, legt die Pflanzen neben und auf Vivianas Gliedmaßen. Die Blumen scheinen ihr zu gefallen. Trotz der Ästhetik wirkt das Tableau beklemmend: Viviana liegt so da, als ob man sie lebendig begraben hätte. Ruhe in Frieden, möchte man sagen. Dabei beginnt für Viviana ja jetzt eine neue Lebensphase.