Sie sagen: Es ist etwas anderes, einen geliebten Menschen mit 30 oder mit 70 Jahren zu verlieren. Wieso?
Trauergruppe für junge Erwachsene in Düsseldorf „Tod ist der erste krasse Lebensbruch“
Düsseldorf · Wer mit 30 den Partner verliert, trauert anders, sagen die Seelsorgerinnen. Sie leiten eine Trauergruppe.
Pfarrerin Katharina Bous und Trauerbegleiterin und Notfallseelsorgerin Birgit Mahlke leiten eine neue Trauergruppe, die sich an junge Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren richtet. Es ist ein Angebot, das es in der Form nur selten gibt, aber notwendig ist, sagen sie. Denn junge Hinterbliebene stehen oft vor ganz anderen Herausforderungen als Ältere.
Katharina Bous: Man kann nicht sagen, dass Trauer schlimm oder weniger schlimm ist. Trauer ist immer das, was sie ist. Aber bei jungen Menschen ist der Tod oftmals einer der ersten richtig krassen Lebensbrüche. Er kommt in einer Situation, in der man ihn nicht erwartet. Und der perfekte Lebensplan, den man mit 20 oder 30 hat, kracht zusammen.
Birgit Mahlke: Ältere Trauernde blicken oft auf ein erfülltes Leben zurück, haben verstorbene Partner lange begleitet, viel Zeit miteinander verbracht. Stirbt aber der Lebenspartner oder die eigenen Eltern in jungen Jahren, fehlt diese Zeit. Diese Betroffenen können sich darum schlecht vorstellen, mit Menschen in einer Trauergruppe zu sitzen, die mit dem verstorbenen Partner goldene Hochzeit gefeiert haben, während sie selbst gerade erst zusammengezogen sind.
Wie groß ist der Bedarf?
Bous: Die Anfragen haben uns überrascht, das waren viele, auch aus umliegenden Städten. Wir haben die Gruppe auf maximal acht Personen ausgelegt, damit jeder Raum für seine Trauer bekommt.
Mahlke: Solche Angebote sind rar gesät, es gibt kaum Trauergruppen für junge Erwachsene. Es gibt welche für Kinder, für Ältere, aber dazwischen fast nichts. Dabei ist der Bedarf da. Auch in jungen Jahren gehört der Tod zum Leben dazu, es gibt Betroffene, deren Eltern oder Lebenspartner sterben, bei Unfällen oder nach schweren Erkrankungen. Wir haben in der Gruppe akute Trauerfälle, andere sind mehrere Jahre her.
Wie verändert sich Trauer im Laufe des Lebens?
Bous: Es gibt dieses Bild von Trauer von einem großen Stein, der einen fast erschlägt. Die Hoffnung ist, dass Trauer immer handhabbarer wird. Irgendwann ist es ein kleiner Kieselstein, der in die Tasche passt. Der ist noch da und kommt an Jahrestagen raus, aber er erschlägt einen nicht mehr.
Wie sehen die Treffen aus?
Mahlke: Anders als wir gedacht haben (lacht). Wir sind vorher nicht davon ausgegangen, dass sich alle Teilnehmer öffnen und ihre Geschichten erzählen. Tatsächlich haben wir die ersten Abende ausschließlich mit dem Austausch verbracht.
Bous: Wir haben ganz viel Raum dafür gegeben. Wir haben immer zusammen gegessen, mit kleinen Impulsen und auch Theorie mit bearbeitet, zum Beispiel über unterschiedliche Facetten von Trauer.
Mahlke: Es war toll, wie die Teilnehmer sich gegenseitig unterstützt haben, obwohl sie sich noch gar nicht kannten. In der Gruppe sitzen Menschen mit ganz ähnlichen Schicksalen, die immer dachten, dass sie mit ihren Situationen ganz alleine sind. Das tut gut und stärkt.
Kann der Gesprächsbedarf der Teilnehmer im Alltag nicht gedeckt werden?
Bous: Die Frage ist da: Wie geht unsere Gesellschaft mit dem Tod um? Wo ist Raum für Trauer? Diese sicheren Orte sind beschränkt und genau so einen wollten wir schaffen. Das ist auch eine Besonderheit für junge Leute nach einem Verlust – für Ältere hat der Tod eine andere Normalität. Dort gibt es mehr Verständnis und ein Skript, wie man damit umgeht.
Mahlke: Der geschützte Raum gibt auch Teilnehmern die Sicherheit, ihre Geschichte zu erzählen, die sie sonst vor anderen nicht erzählen würden. Oft sind solche Räume und die Zeit nicht da. Junge Erwachsene müssen auch nach einem Schicksalsschlag weiter funktionieren. Die stecken im Alltag, müssen arbeiten, studieren, sich um Kinder kümmern. Sie können sich gar keine Auszeit nehmen, um zu trauern. Darum raten wir, die Trauer in den Alltag einzubauen.
Wie kann das aussehen?
Mahlke: Man kann sich etwa einmal die Woche Zeit für sich nehmen, etwa mit Ritualen, zum Friedhof gehen, meditieren, Fotos von gemeinsamen Zeiten anschauen oder Musik hören, die an den Verstorbenen erinnert. Das ist sehr individuell.
Dieser fehlende Raum für Trauer – sind das Erwartungen an sich selbst oder kommt das auch von außen?
Mahlke: Sowohl als auch. Trauer ist immer noch ein Tabu. Trauer ist traurig und passt nicht in unseren bunten Alltag. Da gibt es schon häufig die Erwartung: „Jetzt ist mal wieder gut“. Wir versuchen, den Betroffenen mitzugeben, dass die Trauer immer Bestandteil des Lebens sein wird, dass es so lange dauert, wie es dauert und dass das auch genauso sein darf.
Bous: Oft kommen die Erwartungen von außen aus Hilflosigkeit. Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit Menschen umgehen sollen, die gerade leiden.
Was hilft denn tatsächlich?
Mahlke: Was nicht hilft, ist der Satz: Melde dich, wenn du etwas brauchst. Die Trauernden sind nicht in der Lage, von sich aus aktiv zu werden. Gut ist, daran zu erinnern, dass man da ist. Eine Nachricht schreiben, ob man spazieren gehen möchte, mit einem konkreten Vorschlag für den Tag. Mal etwas zu Essen vorbeibringen, und wenn man es vor die Tür stellt. Und vor allem: über die verstorbene Person zu reden, gemeinsame Erinnerungen zu teilen und nicht so zu tun, als wenn die Person nicht mehr existiert.
Bous: Genau, den Namen nennen und aussprechen. Und keine Angst haben. Man macht es meistens schlimmer, wenn man nichts sagt und der Situation aus dem Weg geht.
Mahlke: Dann lieber sagen: Mir fehlen die Worte, ich bin betroffen, ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich nehme dich jetzt in den Arm.
Was haben Sie aus den bislang vier Treffen mitgenommen für die Trauerarbeit mit jungen Erwachsenen?
Bous: Wie wichtig Austausch unter Gleichgesinnten ist. Menschen, die ähnliche Schicksale erlebt haben, können sich mit einer ganz anderen Empathie begegnen. Und dass junge Erwachsene einen Schutzraum brauchen, in dem sie auch unter Gleichaltrigen sein können. Es hilft, in ähnlichen Lebenslagen zu stecken und denselben Herausforderungen zu begegnen.
Mahlke: Wir haben zum Beispiel einmal über No-Gos gesprochen und dumme Sprüche, die die Betroffenen gehört haben. Das tat gut, auch unbeschwert über so etwas zu sprechen und darüber zu lachen. Es hat sich vieles spontan entwickelt und diese Flexibilität haben wir gelernt. Es gibt kein starres Konzept für so eine Trauerarbeit.
Und was lernt man über das Leben, wenn man sich so intensiv mit dem Tod beschäftigt?
Mahlke: Jeden Tag bewusst zu genießen.
Schaffen Sie das tatsächlich?
Mahlke: Immer mehr. Ich kann das ja nicht nur predigen, sondern muss das auch selbst umsetzen. Ich habe mich auch praktisch mit dem Tod auseinandergesetzt, meine Bestattung steht schon (lacht). Ich habe eine Trauer- und Lebensfeier geplant. Das ist die letzte Party, die man gibt, und die will ich selbst gestalten.
Bous: Ich habe gelernt, wie kostbar das Leben ist. Man sollte gestalten, was man gestalten kann und Sachen nicht aufschieben. Beeindruckt hat mich auch, wie viel Kraft Menschen nach so einem Verlust haben können. Es gibt immer Wege, wie es weitergehen kann.
Mahlke: Das stimmt. Gerade Menschen, die in jungen Jahren einen Verlust erlitten haben, haben eine andere Stärke in sich. Und es gibt auch uns ganz viel, das ist erfüllend.