Was Düsseldorfer machen, wenn sie an der Ampel warten

Es ist ein entzückendes Schauspiel: Fußgänger, die (zu lange) an einer roten Ampel warten müssen. Ein Verkehrspsychologe gibt eine Einschätzung.

Foto: nel

Düsseldorf. Es ist schon erstaunlich, wie wenig Zeit es braucht, bis ein Geduldsfädchen reißt. Und nirgends lässt sich das besser beobachten, als an Fußgängerampeln, die besonders lange Rot zeigen. Wie die an der Stelle, wo die Grabenstraße über die Kasernenstraße führt — und wo ewig eine Baustelle war. Bis vor Kurzem spielten sich da noch bezaubernde Szenen ab.

Füße, die auf die Fahrbahn gesetzt werden, und dann doch noch zurückgezogen werden. Nervöse Auf-und-ab-Geher, die entnervt nach einigen Momenten einfach über Rot gehen — und die Mitläufer, die diesem dann hinterhergehen. Ein solches Gespann ruft dann wieder die Rechtschaffenen auf den Plan, die den Rechtsbrechern kopfschüttelnd hinterherblicken. Besonders irritiert reagierten Touristengruppen, vornehmlich aus Asien, auf diese tückische Ampel. Folgender Gedanke scheint sich mit jeder Sekunde der Rotphase zu verfestigen: Ist das Ding vielleicht kaputt? Und wenn nicht, muss ich mir das wirklich bieten lassen?

Denn: Die Straße ist seit dem Ende der Baustelle mehr als überschaubar. Trotzdem gab es hier eine extrem lange Rotphase. Autos kommen selten — wenn überhaupt. Und: Vor und nach dieser Ampelanlage — die übrigens aus vier einzelnen Ampelsäulen besteht, auf jeder Seite sicherheitshalber zwei — erstreckt sich die Fußgängerzone. Also die große Freiheit für Fußgänger. Und aus diesem fast anarchistischen Rausch wird der Fußgänger jäh gerissen, wenn er an diese Ampel kommt. Und dann muss er warten, warten, warten. Vorbei ist es mit der Freiheit.

Auch zur Wahrheit gehört, dass die Baustelle über Jahre ein gewisses Freiheitsgefühl an dieser Stelle erlaubt hat — wo Bagger fahren, muss man doch eher darauf achten, diesen auszuweichen, irgendwie über die Straße zu kommen, und nicht unter die Räder. Da ist das Rotsignal fast zweitrangig.

Was auch immer der Beweggrund sein mag, zu Zeiten der Baustelle oder auch danach: Es fällt schlicht vielen schwer, geduldig an der Ampel zu warten. Und das ist messbar: „Nach 30 bis 40 Sekunden fangen viele an, zumindest darüber nachzudenken, einfach zu gehen.“ Das sagt der Düsseldorfer Verkehrspsychologe Kai Lenßen. Je länger es über diesen Punkt hinaus dann noch dauere, desto wahrscheinlicher werde es, dass jemand bei Rot über die Ampel geht. Und auch die Gruppendynamik sei nicht zu verachten: Wenn einer geht, ermutigt das eben viele andere.

Dem ganzen liege ein waschechter Bedürfniskonflikt zugrunde, sagt Lenßen. Wir wissen, was wir dürfen, wissen aber auch, was wir wollen. Und kommt dann noch Eile hinzu, dann gewinnt ganz schnell der Wille. Denn Zeitdruck ist etwas Emotionales, das über Rot gehen könnte in der misslichen Lage Abhilfe schaffen. Also ist da nur noch die Frage, wie viel den Konfliktgebeutelten zurückhält — da kann dann die Moral deutlich ins Gewicht fallen. Bin ich davon überzeugt, dass ich bei Rot nicht gehen sollte? Warten vielleicht auch Kinder an der Ampel?

Damit wären wir dann wieder bei der Gruppe der Kopfschüttler, während der Auf-und-ab-Geher gerade einen innerlichen Kampf um seine Bedürfnisse austrägt.

Düsseldorfer Ampeln schalten übrigens im Schnitt innerhalb von 70 Sekunden ein Mal auf Grün. Wie lange bei Rot gewartet werden muss, hängt also davon ab, wie lange die Grünphase innerhalb dieses Zyklus ist. Die Stadt erklärt auf Anfrage, dass für Fußgänger eine maximale Wartezeit von 85 Sekunden angestrebt wird. Ab der Hälfte dieser Zeit werden laut Lenßen die meisten aber schon nervös — und müssen sich dann eben in Geduld üben.

Das muss man an der Kasernenstraße übrigens nicht mehr. Die Ampel wurde umgestellt, von einer gefühlten halben Ewigkeit auf eine Rotphase von gerade mal 16 Sekunden. Das ist gefühlt blitzschnell. Und es ist etwas schade um das Getänzel, das dort nun nicht mehr zu beobachten sein wird.