„Wer sich in der Sprache bewegt, braucht seine Fäuste nicht“
Um Kinder- und Jugendliteratur ging es jetzt im Heine-Haus, Literaturexpertinnen gaben Eltern Tipps für die richtige Wahl.
9000 neue Kinder- und Jugendbücher erscheinen jedes Jahr. Gerade für Eltern, die den richtigen Lesestoff für ihre Kleinen suchen, ist es da nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. Schließlich soll die richtige Wahl für noch mehr Freude am Lesen sorgen. Ein Buchtipp kann da eine große Hilfe sein. Deswegen gab es am Samstag im Heine-Haus an der Bolkerstraße eine Lesung für Eltern und Kinder mit Experten aus dem Bereich Kinder- und Jugendbücher.
Ute Wegmann, Leiterin der Sendung „Die Besten 7“ im Deutschlandfunk und Susanna Wengeler, unter anderem Jurymitglied der „Besten 7“, stellten eine Auswahl der schönsten und wichtigsten Bilder-, Kinder- und Jugendbücher vor, die in diesem Jahr erschienen sind.
Im Zentrum des Nachmittags stand die Frage: Was soll auf die weihnachtliche Wunschliste? Und was ist für welches Alter das Richtige? Für die ganz Kleinen ab 3 Jahren empfehlen die Experten Julie Völks „Stille Nacht, fröhliche Nacht“, ein Bilderbuch mit so vielen unterschiedlichen Figuren, dass es zum mehrmaligen Lesen einlädt, da es immer wieder neue Details zu entdecken gibt. Ein Lesespaß für Klein und Groß soll „Das große Wissens-Sammelsurium“ sein, ein Buch voll mit nützlichem und unnützem Wissen, findet Ute Wegmann. Jeder könne hier auf spielerische Weise etwas lernen. 30 Wissensbereiche werden präsentiert, etwa die Anatomie der Buchstaben, der Aufbau der Atome oder die Entstehung des Morsealphabets. Autor Richard Platt beantwortet Fragen, auf die nicht jeder eine Antwort hat. Zum Beispiel, wie viele Knochen hat der menschliche Körper? Es sind übrigens 206 Knochen.
Eine geheimnisvolle, mit viel Fantasie erzählte Geschichte ist nach Expertenmeinung „Der große Wald“ von Anne Brouillard, die bereits über 40 Kinderbücher geschrieben hat. „Die Geschichte über den schwarzen Hund Killiok, der sich auf die Suche nach dem roten Zauberer Vari von Drunter begibt und dabei einige Überraschungen erlebt, besticht durch viele poetische Momente und tolle Illustrationen“, sagt Wegmann. Empfohlen wird das Bilderbuch für Kinder ab 6, doch Susanna Wengeler würde es auch jedem Erwachsenen ans Herz legen.
Auch ein Klassiker findet sich unter den Empfehlungen von Wegmann und ihren Kolleginnen: Zum 200. Geburtstag Theodor Storm erschien in diesem Jahr eine Neuauflage von „Der kleine Häwelmann“ mit Illustrationen von Ulrike Möltgen. „Klassisch und doch modern. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk“, sagt Wegmann.
Besonders begeistert sind Wegmann und Ursula Nowak, Moderatorin der Veranstaltung und Literaturkennerin, von dem Jugendroman „Und du kommst auch drin vor“ von Alina Bronsky. Er würde sich gut auf der Wunschliste von Lesern ab 13 machen. Erzählt wird die Geschichte der 15-jährigen Kim, die sozusagen ihrer eigenen Lebensgeschichte begegnet.
Die Mütter und Väter im Publikum sind dankbar für solche Veranstaltungen. Beim Angebot von Kinder- und Jugendliteratur falle es oft schwer, die richtige Wahl zu treffen. Martina Gretha lauscht mit ihrer Tochter Julika bei Kaffee und Plätzchen konzentriert den Empfehlungen. „Schöne Spartenbücher mit wertvollen Geschichten zu finden, ist gar nicht so einfach. Deshalb bin ich immer froh über jeden Tipp und Veranstaltungen wie diese hier“, sagt sie. Für sie war es selbstverständlich, Julika von früh an vorzulesen. Ihre erste Gute-Nacht-Geschichte war „Noch zehn Minuten, dann ab ins Bett“. Heute lesen sie gemeinsam „Ismael“, über den es inzwischen eine ganze Reihe von Jugendbüchern gibt. Martina Gretha glaubt, dass Kinder entweder gar nicht lesen, oder aber schnell zu wahren Bücherfressern werden. Dass ihre zwölfjährige Tochter so gerne liest, freut Gretha.
Ute Wegmann zufolge ist es wichtiger denn je, Geschichten zu erzählen, weil sie von anderen Welten berichten. „Durch Bücher lernen wir die Vielfalt der Welt und der Kulturen kennen“, so die Autorin, die selbst eine ganze Reihe von Kinderbüchern verfasst hat. Literatur sei nicht zuletzt als Medium wichtig, um Werte zu vermitteln: „Wie wollen wir Streit vermeiden, wie wollen wir Probleme lösen, wenn wir keine Worte dafür haben? Es ist wichtig, sich in der Sprache bewegen zu können, um nicht die Fäuste nehmen zu müssen, um sich auszudrücken.“