Wie das Kaffeetrinken komplizierter wird
Mit einer seltsamen Strategie hat Nespresso Erfolg.
Düsseldorf. Kürzlich berichteten alle Medien dieses Planeten (soweit ich das überblicke) über den Large Hadron Collider, den weltgrößten Teilchenbeschleuniger, welcher gerade, grob gesagt, der Menschheit die eine Antwort auf sämtliche Fragen liefert. Das Dumme daran ist, dass außer ein paar Physikern kein Mensch kapiert, was da eigentlich passiert, und du kannst es auch nicht überprüfen, woraus folgt, dass die Physiker einem sonst was erzählen können. (Ich jedenfalls könnte der Versuchung nicht widerstehen. Hätte ich es geschafft, Physik-Nobelpreisträger zu sein, ich würde die abenteuerlichsten Theorien in die Welt setzen.) Deshalb ist der Large Hadron Collider auch nicht die aufregendste Erfindung der Neuzeit.
Das ist eindeutig Kaffee. Kaffee versteht jeder. Bei Kaffee kann jeder mitreden. Wenn es in Deutschland 80 Millionen Bundestrainer gibt, dann gibt es auch 80 Millionen Kaffeetanten. Kaffee ist eines der irrsten Produkte überhaupt, jahrhundertelang haben die Menschen ihn einfach so getrunken, und dann kam auf einmal eine Firma namens Nespresso um die Ecke, und das Pulver war neu erfunden.
Das wird auch auf der Kö endlich anschaulich, denn Nespresso eröffnet Ende 2012 einen Flagship-Store an der Hausnummer 17 (unter einem Flagship-Store macht es ja keiner mehr), seit ein paar Tagen weist ein Werbeposter vor der Baustelle „Kö-West“ darauf hin, so dass nun, was Insidern schon länger bekannt war, die ganze Welt weiß, was da auf die Kö zuschwirrt. Der Clou ist, dass Nespresso gleich neben dem Flagship-Store von Abercrombie & Fitch eröffnet, und wenn es stimmt, was ich an dieser Stelle einmal behauptet habe — dass nämlich Abercrombie & Fitch, diese verkappte Disko, neu definiert, was ein Geschäft ist —, dann ist Nespresso die Neudefinition der Neudefinition.
Gemeinsam werden die zwei Läden der geballteste Konsumbeschleuniger aller Zeiten sein, der Large Hadron Collider kann sich schon einmal nach einer Tuningfirma umsehen. Ähnlich den Physikern, die unser Verständnis vom simplen Leben unsäglich verkomplizieren, verkompliziert Nespresso das Kaffeetrinken. Darüber hinaus macht es den Kaffeegenuss so richtig teuer.
Weil das Unternehmen mit dieser allen Regeln der Betriebswirtschaft widersprechenden Strategie — Verkomplizierung gepaart mit hohem Preis — super erfolgreich ist, habe ich eben den Ausdruck Neudefinition der Neudefinition gebraucht. Ich weiß, wovon ich rede. Wir sind Besitzer von inzwischen zwei Nespresso-Maschinen, eine fürs Büro, eine fürs Zuhause, wo wir, nebenbei, eine weitere Kaffeemaschine betreiben; der Trend geht ganz klar zur Zweit-Kaffeemaschine (werden wir eines Tages Ähnliches mit dem Toaster erleben?).
Und das alles, obwohl es Nespresso-Kapseln nicht im Rewe gibt, das wäre ja zu einfach. Ist man Mitglied im Nespresso-Club, gibt man seine Bestellung telefonisch durch; mit etwas Glück wird man im Call-Center höchstens drei Mal verbunden, ehe man an den richtigen Mitarbeiter in der Bestellungsannahme gerät. (Kunden- und Kreditkartennummer parat haben!) Man zahlt vorab (geniales Strategiedetail) und kriegt die Ware geschickt, oder man holt sie in einem der raren Nespresso-Läden ab. Das ist das Schärfste an dem Konzept: der Besuch eines dieser Läden, vor allem der dortigen Test-Lounge: Wie sich die Menschen mit geradezu demütigen Mienen (dass sie nicht knien, ist alles) in einem gelackten Ambiente von engelhaft schwebenden Verkäuferschönheiten neueste Kreationen kredenzen lassen, das hat etwas von new religion (in Köln liegt der Store in der Nähe des Doms - Zufall?).
Bei Cartier geht es kaum exklusiver zu, nur dass Cartier-Produkte im Schnitt zehntausend Mal teurer sind als eine Kaffee-Kapsel — da ist also noch Luft nach oben. Tja. Weil Nespresso aber zu allem Unglück echt gut schmeckt, werde auch ich mir in dem Kö-Store einen Köffein-, äh, Koffein-Schock verabreichen, woraufhin ich die korrekte Betriebstemperatur habe, um im Nachbarhaus ein paar Polos und Hoodies zu fitchen, meinen Krombie, ich meine Kombi parke ich natürlich cool vor der Tür. (Ein Puls von 180 gibt der Shoppingtour zu jumbojetlauten Beats inmitten einer Horde zappelnder Jugendlicher den ultimativen Kick.)
Die einzige Chance, die dem Large Hadron Collider meiner Meinung nach bleibt, um gleichzuziehen, besteht darin, dass er ebenfalls auf der Kö einen Flagship-Store eröffnet.