Wie eine Peruanerin den Karneval in Düsseldorf sieht
Karina Rodriguez vergleicht das lustige Treiben mit dem Karneval, den sie aus ihrer Heimat kennt. Und sie lobt Jacques Tilly für seine Arbeiten.
Düsseldorf. Ich erinnere mich, dass es am Morgen eines Donnerstags im Februar 2015 war, als mich der Düsseldorfer Karneval überrascht hat. Es war plötzlich ein lautes Helau! eines Clowns, der mit mir an der Haltestelle Graf- Adolf-Platz ausgestiegen war und weswegen ich lauthals loslachen musste. Was für eine schöne Überraschung schon am frühen Morgen.
(Karina Rodriguez)
Vier Monate vorher war ich aus meiner Heimat Peru nach Düsseldorf umgezogen und hatte wegen des Umzugs und meines Deutschkurses gänzlich vergessen, dass die Karnevalszeit schon lange angefangen hatte und schon fast wieder zu Ende war. Wie habe ich mich gefreut, auf den Straßen verkleidete, fröhliche und lärmende Menschen zu sehen und zu hören, die die ganze Stadt Düsseldorf fröhlich verändert haben. Plötzlich hatte ich das Gefühl, nochmal in Peru zu sein, wo wir im Februar auch die Tradition des Karnevals haben. Ich habe mich voller Farben, Lärm aber besonders voller Leben gefühlt.
Im Vergleich zu dem Land, aus dem ich komme, ist mir beim Düsseldorfer Karneval besonders das Lachen, ja das Lachen aufgefallen, dem ich während meines ersten Rosenmontagszugs überall begegnet bin. Obwohl einem seit Anfang des Jahres wegen des Anschlags in Frankreich eigentlich das Lachen vergangen war, waren mein Erstaunen und meine Freude groß, als ich im Rosenmontagszug einen Mottowagen sah, auf dem eine Terrorszene als Karikatur gezeigt wurde, die in klarer Form eine direkte Botschaft hatte, nämlich: „Satire kann man nicht Töten!“ Wow! Unglaublich! Im diesem Moment, während ich den Beifall und das abgehackte Lachen der Menge hörte, die immer noch weitere Mottowagen begeistert erwartete, dachte ich, dass Lachen und Humor die Angst und den Terror getötet haben.
(Der Mottowagen zum Anschlag auf Charlie Hebdo von Jacques Tilly. Foto: D. Young)
„Wer ist der Künstler hinter diesen Mottowagen?“ fragte ich eine sympathische Frau, die neben mir stand. „Unser Jacques Tilly!“ kam die Antwort mit offensichtlichem Stolz wie aus der Pistole geschossen. Nach diesem Karneval habe ich mich gefragt, ob wir bei ähnlichen Traditionen unterschiedliche Gründe für das Lachen haben. Wo ich herkomme, sind der Karneval und die Feste im Februar eine Mischung zwischen dem Dank an die Mutter Erde („Pachamama“ in Quechua) oder an manche Gottheit wie z.B. die „Mamita Candelaria“, nicht nur für die Ernte, die der Boden uns gegeben hat, sondern auch für alle weiteren Wohltaten, die wir während des Jahre erhalten haben. Durch Musik, Tanz und Spiel geben wir etwas zurück und danken für deren Großzügigkeit. So wie das Wasser, das eine Pflanze braucht um Früchte zu tragen, sind das Lachen und die Freude der Menschen das Mittel, damit die Natur und die Götter ihre Arbeit machen können. Es gefällt ihnen, wenn wir lachen. Wie aber klingt eigentlich das Lachen während des Karnevals in Düsseldorf? Drei Karnevalszeiten nach meinem ersten Rosenmontag, sollte mir das Schicksal die Möglichkeit geben, von Jacques Tilly, dem Schöpfer von derlei Kühnheit, darauf eine Antwort zu erhalten.
Und nach dem unterhaltsamen und interessanten Gespräch, das ich mit dem Künstler hatte, verstand ich, dass das Lachen während des Karnevals in Düsseldorf frech, unhöflich, respektlos, ohne Tabus und ohne Zensur ist. Gestützt auf die Tradition seit dem Mittelalter, hat der Narr während des Karnevals die Macht, seine Wahrheit klar zu sagen, den Mächtigen oder der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten, damit diese ihre Fehler darin widergespiegelt sehen können. Und obwohl Jacques Tilly, einer der Schöpfer und Provokateure solchen Lachens, sich von Natur aus eher nicht als Spaßvogel, sondern mehr als introvertierten Menschen versteht, ist es für mich ganz klar, dass er seit mehr als 30 Jahren gekonnt die politische Satire und den kritischen Humor als seine Waffen einsetzt, damit wir uns totlachen. Um diese Tradition jeden Februar am Leben zu erhalten, zeigt er uns sein Talent, indem er uns seine Kreationen in 3-D zeigt, diese Szenarien in Bewegung, diese Kurzgeschichten, deren komplexe soziale, politische und religiöse Zusammenhänge sich nicht nur auf Düsseldorf, sondern auf die ganze Welt beziehen. Wo seine Figuren nicht mehr nur aus Pappmaché sind, sondern zu Schauspielern werden, deren Aufgabe es ist, uns das raue Leben mit wenigen Worten, aber mittels einer einzigartigen Emotion, die nur Jacques Tilly in diesen Festtagen vermitteln kann, vor Augen zu führen. Diese überschäumende und übertriebene Darstellung seiner Charaktere — oder Opfer, wie er sie nenntt— erlaubt sogar demjenigen, der noch unter dem gestrigen „Kater“ leidet, die Botschaft zu verstehen und zu fühlen, was uns der Künstler damit erzählen möchte. Eine Botschaft die, genau wie die gesamte Stadt Düsseldorf, kein Blatt vor den Mund nimmt; wo das Lachen während des Karnevals, gewollt oder ungewollt, aber immer revolutionär, Humorlosigkeit in Spott, Angst in Kühnheit und Terror in Freiheit verwandelt.
Jedes dieser Lachen, welches Jacques Tilly Jahr für Jahr durch seine Kunst provoziert, erweicht, verändert und verwandelt Stück für Stück die gelähmten Kiefer derer, denen das Lachen keine Gewohnheit ist. So wie der stete Wassertropfen den Stein aushöhlt, so verändert der Künstler auch, obwohl er das so nicht für sich in Anspruch nehmen möchte, die Art, wie Menschen die Welt sehen und verstehen.
Lachen wir also während unserer Karnevals -und anderer Festlichkeiten im Februar, seien diese düsseldorferisch oder peruanisch, aber lasst uns einfach lachen, ohne jedoch die Emotion zu vergessen, dieser grundlegende Bestandteil, den ich entdeckt habe, der uns im Lachen eint und charakterisiert. Ganz gleich ob wir nun kritisieren oder danken, es sind Emotionen, die beides in Bewegung setzen.