Buchvorstellung zum „Sprayer von Zürich“ in Düsseldorf Ein wundersames Buch für Harald Naegeli
Düsseldorf · Der 84-jährige Sprayer konnte nicht selbst anreisen, dafür kamen Zürcher Wegbegleiter: Anna-Barbara Neumann und Urs Bühler stellten das Werk vor.
Mehr als ein Drittel seines Lebens hat der „Sprayer von Zürich“ in Düsseldorf verbracht. Von der Limmat an den Rhein gekommen ist er als Exilant. Harald Naegeli hatte sich in seiner Geburtsstadt strafbar gemacht, war verfolgt und sogar inhaftiert worden. Kürzlich ist ein feiner Band erschienen, mit Text und Interviews des 84-jährigen Künstlers. Das Buch wurde jetzt im Heine-Haus vorgestellt.
Naegeli selbst konnte nicht kommen, inzwischen reist er kaum noch. Er hatte aber für die Lesung Postkarten signiert, die an die Besucher verteilt wurden. Aus der Schweiz angereist waren aber Anna-Barbara Neumann und der Zürcher Journalist Urs Bühler, die Herausgeber des Buches mit dem Titel „Den Vogelflug, die Wolkenbewegung misst man auch nicht mit dem Zollstock!“. Die Moderation dieses aufschlussreichen Gesprächs hatte Lothar Schröder übernommen.
Anna-Barbara Neumann als Geschäftsführerin der Harald-Naegeli-Stiftung verwaltet das umfängliche Werk des Künstlers und besucht ihn beinahe täglich. Er sei immer noch ein rastloser Zeichner seiner Welt, erzählte sie. In Zürich begebe er sich an Plätze, von denen aus die Landschaft eine starke Wirkung auf seine Striche und Skizzen erziele.
Das Buch ist selbst ein Kunstwerk, da war man sich einig. Neben fast 200 Bildern und Zeichnungen enthält es auch zahlreiche Texte von Naegeli selbst. Man wollte den Zeichner als Wortkünstler erscheinen lassen, hieß es von den Herausgebern.
Spät kam es zu einer Zürcher Rehabilitierung des Künstlers
Naegelis glücklichste Zeit begann Ende der 70er-Jahre, als er nachts mit einer Spraydose durch die Straßen Zürichs schlich und überall, wo der Beton ihm besonders hässlich erschien, seine Strichfiguren hinterließ. „Meine Figuren sind in ihrer fröhlichen Existenz das Gegenteil von den Orten, wo sie stehen“, erzählte er später.
Für den Beginn der Arbeit des „Sprayers von Zürich“ findet sich in dem Band eine vom Autor selbst kolportierte Legende. Bei einem seiner vielen Ausstellungsbesuche habe ihn Till Eulenspiegel aus einem Bild angeschaut. Diabolisch und schalkhaft habe er ihn ermuntert, auf betonierte Hässlichkeit zu reagieren: „Dann ist vielleicht eine kleine Sprayzeichnung gefällig“, habe er ihm ins Ohr geflüstert. Weil das verboten war, wurde Naegeli zum Schnellsprayer. Bald reichten ihm drei Sekunden, eine lebensgroße Figur zu erschaffen.
Spät, aber mit typisch schweizerischer Gründlichkeit, kam es zu einer Zürcher Rehabilitierung des Künstlers. Vor sechs Jahren durfte er sogar die Türme des Grossmünsters mit den Skeletten seines „Totentanzes“ besprühen. Lange hatte Naegeli für die Wandbilder gekämpft, so Bühler, der Naegeli oft interviewte. Naegeli erhielt kein Honorar und durfte die Stadt auch sonst nichts kosten. Die Wandflächen im Grossmünster wurden so präpariert, dass die Figuren wieder entfernt werden können. In vier Jahren sollten sie verschwinden. Davon ist inzwischen glücklicherweise keine Rede mehr.
Info Urs Bühler und Anna-Barbara Neumann (Hg.): „Den Vogelflug, die Wolkenbewegung misst man auch nicht mit dem Zollstock!“ Der Sprayer von Zürich. Texte und Gespräche 1979–2022. Nimbus-Verlag, 272 Seiten, 36 Euro.