Gewalt gegen Lehrer: Wie es an NRW-Schulen zugeht

Ein Lehrer aus Wuppertal berichtet, welcher Gewalt Lehrer ausgesetzt sind. Oft fühlen sie sich von der Schulleitung allein gelassen.

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Düsseldorf. Der Referendar schlendert über den Schulflur. Er rechnet mit nichts Bösem. Von hinten rauscht ein Inklusionsschüler heran, schlägt dem Lehrer mit der flachen Hand in den Nacken und läuft laut lachend seines Weges. Was bleibt, ist Entsetzen: ein perplexer Lehrer und ein Schüler, der die Dimension seiner Tat womöglich gar nicht erfasst hat — oder erfassen kann.

Alltag in deutschen Schulen? Der Wuppertaler Lehrer, der uns diese Geschichte am MIttwoch erzählt, weil er mit jenem Referendar in Kontakt steht, kann das Geschehene noch heute kaum fassen. Denn: Der Schüler, der die körperliche Gewalt ausgeübt hat, ist nicht etwa an jenem Tag von der Schulleitung nach Hause geschickt oder gar für einige Tage suspendiert worden. Es ist einfach rein gar nichts geschehen.

„Der Fall war der Schulleitung hochnotpeinlich. Die haben das erst einmal kleingeredet und auf die lange Bank geschoben“, sagt Herbert K., dessen wirklicher Name hier nicht auftauchen soll. Er berichtet bereitwillig von Zuständen an NRW-Schulen, aber er möchte seiner eigenen Schule nicht schaden. Im Wettbewerb der Lehranstalten ist jede Leitung bemüht, mit Preisen für besonders talentierte Schüler zu glänzen und in der Zeitung zu stehen. Aber auf Listen aufzutauchen, auf denen Fälle von Gewalt gegenüber Lehrern gezählt werden? Nein, danke.

Auch das hat dafür gesorgt, dass der genannte Referendar am Ende ziemlich allein auf weiter Flur stand. „Der Schüler hätte abgeholt, und ein Schulsozialarbeiter hätte zeitnah das Gespräch führen müssen. Solch ein Fall muss sofort aufgearbeitet werden“, sagt Herbert K.

Überhaupt sei eben genau das oft ein großes Problem: Lehrer, die von der Schulleitung keine adäquate Unterstützung erfahren. Der Rücken bleibt im Konflikt mit dem Schüler aus Angst vor einer Dienstaufsichtsbeschwerde der Eltern bei der Bezirksregierung ungestärkt. Stattdessen, sagt Herbert K., stecke man als Lehrkraft „blitzschnell in einer Anhörung“. Dann nämlich, wenn der Schulleiter den Fall nicht etwa zuerst mit Schüler, Eltern und Lehrer besprochen und handhabbar gemacht habe, sondern das Ganze gleich an die Bezirksregierung weiterleitet. „Dann muss man als Lehrer einen schriftlichen Bericht anfertigen. Danach wird über den weiteren Fortgang entschieden“, erzählt Herbert K.

Dabei könne alles oft viel einfacher sein: Wenn es eine Schulleitung gebe, die „die Eltern im Gespräch erst einmal einnordet und den Druck rausnimmt. Da ist man wirklich vom Schulleiter abhängig“. Er selbst habe einen solchen Schulleiter. „Der nordet die Eltern ein und teilt mir deren Reaktion nur noch nebenbei als Nichtigkeit mit.“

Herbert K. hat selbst einen krassen Fall erlebt: Ein Schüler, den er wegen ständigen „mit dem Stuhl kippeln“ streng ermahnt hatte, schlug danach wohl aus Wut absichtlich selbst mit dem Kopf gegen den Schrank, zog sich eine klaffende Platzwunde zu und wollte das hinterher lustvoll als Angriffstat des Lehrers dargestellt wissen. „Da war ich so erschrocken, dass ich kurz keinen Puls mehr hatte. Mein Glück war, dass die Klassensprecherin die Courage hatte, dem betreffenden Schüler klarzumachen, alle anderen seien Zeugen, dass es eben ganz anders war.“

Vielleicht ist es bei Fällen wie diesen kein Wunder, dass Stefan Behlau vom VBE die Dunkelziffer der Fälle von Gewalt gegen Lehrer noch weit höher vermutet. Wer will schon Opfer sein? Wer hat nicht Angst vor all den Konsequenzen? Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sagte am Mittwoch zu dem Thema: „Ich möchte jede und jeden ermutigen, Straftaten auch gegenüber den entsprechenden Stellen unverzüglich anzuzeigen. Hier darf es keine falsche Rücksichtnahme geben.“

Herbert K. selbst erzählt, dass der größte Teil der Gewalt im psychischen Bereich spiele: Es sind Drohungen von Schülern oder Eltern. Die Lehrkräfte hätten neben ihrer 28-stündigen reinen Lehrtätigkeit kaum die Zeit, auf die Fälle angemessen zu reagieren. Dafür müssten Schulsozialarbeiter her, fordert Herbert K. „An meiner Schule gibt es zum Glück einen. Der ist bei Konflikten handlungsfähig und fasst schnell nach.“ Zudem sei Präventionsarbeit wie eine Streitschlichter-AG aus seiner Sicht wichtig. Aber ein Beispiel: Schon bei 115 Realschulen im Regierungsbezirk Düsseldorf gebe es nur rund 20 Schulsozialarbeiter, die teils vom Land, teils von den Kommunen bezahlt werden.

Des Lehrers Empfehlung ist, derart auffällig gewordene Schüler eine Zeit lang zu suspendieren. „Das wirkt, weil sich dann die Eltern mit dem Kind auseinandersetzen müssen. Und das wollen beide Parteien danach nicht mehr. Wir lassen hier ganz bewusst die Macht der Institution sprechen.“ Das dürfe die Schulleitung verfügen.

Zustände wie sie 2006 an der Berliner Rütli-Hauptschule in einem öffentlichen Brief der Rektorin zum Vorschein gekommen waren, höre Herbert K. inzwischen von „vielen Schulen in NRW“. Dort verlangten vor allem große, unübersichtliche Gesamtschulen nach Sicherheitsdiensten, weil sie zum Teil „gar nicht dafür bürgen können, welche Personen sich gerade an ihren Schulen aufhalten“.