Klimastreit Hambacher Forst - Am Tropf der Bilder-Propaganda

Düsseldorf · Die Protestbewegungen der Gegenwart stilisieren sich selbst in Echtzeit. Aber die Flut der Fotos und Videos schafft nur Emotionalität, wo Aufklärung gefragt wäre. Ein Plädoyer für eine Bilderdiät im Klimastreit.

„Du kannst keine Bewegung räumen“, steht auf ihrem Banner: Aktivisten des Bündnisses „Ende Gelände“ machen sich von ihrem Lager auf den Weg zum Tagebau Hambach, um dort die Braunkohle-Infrastruktur lahmzulegen.

Foto: dpa/David Young

Als ich Oberstufenschüler war, gab es in Bonn von 1981 bis 1983 drei große Friedensdemonstrationen. Beim ersten Mal kamen 300.000 Menschen, beim zweiten und dritten Mal jeweils eine halbe Million. Ich war auch darunter.

Es ging um den Nato-Doppelbeschluss und die atomare Hochrüstung. Ich erinnere mich an Heinrich Albertz, Petra Kelly und später Willy Brandt als Redner. Ich erinnere mich an Helmut Schmidt als Feindbild. Vor allem aber erinnere ich mich an das coole und tröstende Gefühl, Teil einer solchen Masse vermeintlich Gleichgesinnter zu sein. Immer wieder sind wir am Straßenrand auf Mauervorsprünge gestiegen, um uns einen Überblick zu verschaffen. Und am Abend in der Tagesschau und am nächsten Morgen in den Zeitungen wurden die Aufnahmen und Fotos dahingehend überprüft, ob sie in dem Platz, der ihnen eingeräumt wurde, auch der Bedeutung entsprachen, die wir uns selbst gegeben hatten.

Niemand muss sich mehr auf Mauervorsprünge stellen

Dieser Moment der Abgleichung mit einer Außenwahrnehmung ist längst im Schlund der Digitalisierung verschwunden. Die Protestbewegungen der Gegenwart müssen nicht mehr bis zum Abend oder dem anderen Morgen warten, um die eigene Wirkung zu überprüfen. Sie erschaffen das Bild in Echtzeit aus sich selbst heraus. Niemand braucht sich mehr auf Mauervorsprünge stellen, um sich einen Überblick zu verschaffen: Er bekommt die perfekt produzierte Drohnenaufnahme schon per Twitter auf sein Handy geliefert, während die Füße noch schmerzen und der Magen knurrt, weil man sich für die Demonstration zu wenig zu essen eingepackt hat.

Samstag vor einer Woche: Die Braunkohlegegner von „Ende Gelände“ haben zu einem neuerlichen Aktionswochenende aufgerufen. Diesmal soll die Infrastruktur des Braunkohletagebaus am Hambacher Forst lahmgelegt werden. Das heißt: Bagger und Gleise sollen besetzt werden. Das sei zwar nicht legal, aber angesichts der Dramatik des Klimawandels und der Tatenlosigkeit legitim, argumentieren die Aktivisten.

Wie die Demonstranten vorgehen werden, wissen bis zuletzt nur die wenigsten, um keine Verhinderungsaktionen der Polizei zu ermöglichen. Alles ist perfekt organisiert. Die 5- bis 6000 Teilnehmer werden in kleine Bezugsgruppen aufgeteilt, die sich zu größeren Einheiten zusammenfinden, den so genannten Fingern. Manche Aktionen dienen nur dazu, Polizeikräfte zu binden, um an anderer Stelle besser zu den Gleisen durchdringen zu können.

Das alles wird von Anfang an begleitet durch eine permanente Bilder- und Videoflut. „Das ist echt ein cooles Gefühl, Teil von so einer großen Bewegung zu sein und zu wissen: Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte“, spricht „Ende Gelände“-Sprecherin Nike Mahlhaus in die Kamera. Und schon ist der Clip online. Noch während die Demonstranten sich auf den Weg machen, können sie bereits die ersten Luftaufnahmen abrufen.

Das folgende Katz- und Mausspiel mit der Polizei, der massenhafte Ansturm über fremde Äcker auf die Gleise: Der Hashtag #endegelaende wird zum visuellen Ermutigungstropf der Braunkohlegegner. Aber je länger ich die Fotos und Videos verfolge, desto befremdlicher erscheint mir diese Form der kollektiven Selbstsuggestion. „Ich kanns gar nicht oft genug anschauen! Hab selten so hilflose Polizei gesehen. Hat heute schon wer erwähnt, wie absolut großartig ihr seid!!!“, bejubelt ein User ein gepostetes Video des „Freundeskreises Videoclips“.

„Bis dieser Scheißkonzern enteignet ist“

In Serie machen sich die Aktivisten vor der Kamera zu den Konstrukteuren der eigenen Geschichte. Am Sonntagmorgen reiht sich ein Vertreter der Interventionistischen Linken (IL) in den Reigen der Berichterstatter in eigener Sache ein: „Die Stimmung ist großartig. Bis jetzt ist die Polizei ruhig. Ich empfehle ihnen, das auch weiter so zu halten. Wir jedenfalls bleiben hier und blockieren RWE, bis dieser Scheißkonzern enteignet ist und bis alle Kohlekraftwerke stillliegen.“ Im Verfassungsschutzbericht NRW von 2017 heißt es zur linksextremistischen IL, sie versuche durch Beteiligung an bürgerlichen Protesten „bürgerlich-demokratisches Protestpotenzial für eigene Zwecke zu nutzen, die Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Protest zu verwischen und sich als Teil einer legitimen Protestbewegung zu inszenieren“.

Der endgültige Abgrund der Bilder-Propaganda ist aber erst am Sonntagnachmittag erreicht, als die meisten Demonstranten das Gleisbett der Hambachbahn wieder freiwillig verlassen haben und die Polizei die Räumung beginnt. Um die Menschen, die nicht freiwillig gehen wollen, abtransportieren zu können, werden sie in bereitgestellte Züge von RWE verfrachtet. Entsprechende Fotos und Videos von diesen Szenen dienen im Netz allen Ernstes dazu, Vergleiche mit den Judendeportationen der Nazis anzustellen. Hilflos wehrt sich die Polizei via Twitter mit dem Satz: „Der Vergleich zu Deportationen im 3. Reich ist absolut geschmacklos und verbietet sich aus unserer Sicht.“

Aktivisten des Aktionsbündnisses «Ende Gelände» sitzen nach ihrer Sitzblockade auf den Gleisen der Kohlebahn in einem Zug von RWE.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Der Suggestionskraft von Bildern kann sich niemand entziehen: die Politik nicht, die Medien nicht, die Protestbewegungen nicht. Aber in der Massierung auf allen Kanälen verlieren die Bilder mehr und mehr ihre aufklärerische Kraft und drohen zu einem reinen Instrument der Emotionalisierung zu verkommen. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, behauptet der Volksmund. Angesichts der Selbsstilisierung der Braunkohlegegner vor einer Woche scheint mir aber der verhärtete Klimakonflikt in der Region eher tausend erhellende Worte zu benötigen.

Kein peppiges Bild von grauen Anzugträgern

Am Montag nach dem Aktionswochenende habe ich eine Diskussionsveranstaltung der Energiewirtschaft besucht. Da saßen dann so allerlei Anzugträger beieinander: aus der Gasbranche, aus den Stadtwerken, aus Bundes- und Landtag, aus von Bürgern getragenen Windenergie-Gesellschaften. Ein peppiges Bild gaben sie alle zusammen  eher nicht ab. Eine Drohnenaufnahme hätte sich jedenfalls nicht gelohnt. Es ging um die Probleme der Energiewende, um Netzausbau und so unerotische Worte wie die intelligente Sektorenkopplung. „Klimaschutz ist Handarbeit“, haben die Hambach-Demonstranten immer wieder in die Kamera gesagt. Ohne das eine gegen das andere ausspielen zu wollen: Wäre es nicht vielleicht doch denkbar, dass manchmal auch graue Anzugträger den Klimaschutz voranbringen können? Die Produktion der Braunkohlekraftwerke im Rheinischen Revier ist jedenfalls trotz der Blockaden vom vergangenen Wochenende unvermindert weitergegangen.

In Kerpen-Manheim haben in dieser Woche dann noch knapp tausend ehemalige Bewohner des inzwischen für den Braunkohleabbau geräumten Dorfs demonstriert. Sie hatten die Nase voll von der Vereinnahmung ihrer alten Heimat, von Besetzungen und Straftaten. Man sei nicht generell gegen Umweltdemonstrationen. Aber „es muss um die Sache gehen“.

Die Sache mit dem Natodoppelbeschluss ist am Ende übrigens weniger eindeutig ausgegangen, als ich das damals gedacht hatte. Die Geschichte hat sich eher auf die Seite von Helmut Schmidt geschlagen. Irgendwann habe ich ihn klammheimlich wieder von meiner Liste der größten Bedrohungen der Menschheit gestrichen. Ich hatte mir wohl ein falsches Bild gemacht.