Kino Hesse – Sinnlichkeit und Askese neu interpretiert

Für „Fälscher“ hat Regisseur Stefan Ruzowitzky den Oscar eingefahren. Nun bringt er einen Klassiker der deutschen Literatur ins Kino. Und was bleibt, wenn das allzu Menschliche verpufft ist?

Vom engen Klosterinternat hinaus in die große Welt: Sabin Tambrea (l) als Narziss und Jannis Niewöhner als Goldmund in einer Szene des Films „Narziss und Goldmund“.

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Hermann Hesse ist sowas wie eine Einstiegsdroge für Bücherfreaks. Hesse hielt nichts von Literaturverfilmungen, erst lange nach seinem Tod schafften es wenige seiner Werke ins Kino. Nun setzt der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky die berühmte Erzählung „Narziss und Goldmund“ erstmals auf der Leinwand um. Der menschheitsalte Gegensatz von asketischem Leben in Bescheidenheit und hedonistischem Schöpfen aus dem Vollen bekommt damit eine packende filmische Version.

Es kommt nicht oft vor, dass sich Oscar-Gewinner mit neuem Filmstoff bei Nobel-Preisträgern bedienen. David Lean, bereits 1962 für „Lawrence von Arabien“ ausgezeichnet, nahm sich drei Jahre später mit grandiosem Erfolg „Dr. Schiwago“ von Boris Pasternak vor. Mit Hesses „Narziss und Goldmund“ hat Ruzowitzky nach seinem Oscar-Erfolg „Die Fälscher“ (2007) nun deutschsprachige Erzählkunst eines Nobel-Klassikers verfilmt.

Kloster-Streber Narziss (Sabin Tambrea) bekommt eher widerwillig den Neuankömmling Goldmund (Jannis Niewöhner) unter seine Fittiche. Von Beginn an stehen die beiden für die Gegensätze von nach innen gekehrter Askese und offensiver Suche nach den schönen Dingen. Ungeachtet dieses Widerspruchs entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den so unterschiedlichen Charakteren. Doch mehr und mehr realisiert Narziss, dass Goldmund ausbrechen muss aus den kargen Klostermauern. Hinaus in die Welt!

Den Weg Goldmunds durch romantische Wälder und verdreckte Dörfer nutzt Ruzowitzky zu einer üppig bebilderten Reise über die Höhen des Lebens - ebenso wie durch dessen Abgründe.

An den weitgehend schon bei Hesse angelegten Stationen wird Goldmund den eigenartigsten Menschen begegnen. Ruzowitzky lässt dabei den jeweils dort Agierenden wie Uwe Ochsenknecht, Sunnyi Melles, Emilia Schüle, Henriette Confurius oder Kida Khodr Ramadan viel Raum, den Rollen mitunter auch sehr schräge Noten zu geben. Jessica Schwarz als Jüdin Rebekka bleibt es vorbehalten, den frühen Warnungen Hesses vor Nazis und Antisemitismus einen bitteren Bezug in heutige Realitäten zu geben.

Der Film lässt den Protagonisten ihre Vielschichtigkeit

Narziss hat sich derweil zum Abt hochgebetet. Er wird durch sehr weltliche Handlungen seinen Freund Narziss vor einem vorzeitigen Ende des zunehmend zur Katastrophe geratenen Lebens retten. „Narziss ist ebenso wenig der reine Geistesmensch, wie Goldmund der reine Sinnenmensch“, schrieb Hesse über seine Charaktere. „Es schien alles Dasein auf der Zweiheit, auf den Gegensätzen zu beruhen“, heißt es in der Erzählung.

Auch Ruzowitzky lässt den beiden Protagonisten diese Vielschichtigkeit. Dazu kann er sich eindringlich etwa der homoerotischen Motive bedienen, die schon Hesses Zeilen durchweben. Sabin Tambreas Spiel mit der emotionalen Zerrissenheit seines Narziss gehört dabei zu den beeindruckendsten Teilen der Verfilmung.

Umgekehrt lassen Ruzowitzky wie Hesse den Goldmund auch in Momenten örtlicher Distanz mental ganz nah an Narziss rücken: „Ich sah, dass aus dem Narrenspiel und Totentanz des Menschenlebens etwas übrigblieb und überdauerte: die Kunstwerke.“ Da ist der Gott eines Narziss nicht mehr weit.

Ruzowitzkys Film provoziert immer wieder Assoziationen zur Verfilmung von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ des französischen Regisseurs Jean-Jacques Annaud von 1986. Was bei Hesse nicht zu finden ist, baut Ruzowitzky zum dramatischen Finale aus: Wie bei Eco wird ein im Glauben erstarrter Mönch zum Gegenspieler der Helden, ein der Welt vermeintlich zu nahes Kunstwerk soll im Feuer enden. Als ließen sich der Geist eines Narziss, die Emotionen eines Goldmund verbrennen.